Spitze Spritzen vermögen Matthew Robin nur mässig zu beeindrucken. Das hat seine Ursache zum einen in der Herkunft des 39-Jährigen Robin ist Sohn eines Arztes , zum anderen ist der Chef von Ypsomed, dem weltweit grössten, unabhängigen Hersteller von Injektionssystemen zur Selbstmedikation, auch berufsbedingt täglich umgeben von haarfeinen Kanülen und Nadeln. Die einem Filzstift nicht unähnlichen Injektions-Pens sollen es beispielsweise Diabetikern ermöglichen, Insulin annähernd schmerzfrei zu injizieren.

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Weil Diabetes sowie auch andere Gesellschaftskrankheiten weltweit im Vormarsch sind, geht es Ypsomed, das 2003 aus der Injektionssparte des Medtechunternehmens Disetronic hervorgegangen ist, wirtschaftlich ausgezeichnet. Alleine im vergangenen Geschäftsjahr konnte der Umsatz um annähernd 50% auf 200 Mio Fr. gesteigert werden, in naher Zukunft geht Matthew Robin, der bereits bei Disetronic führende Aufgaben wahrgenommen hat, von jährlich 15 bis 25% Umsatz- und Gewinnwachstum aus.

Die Gleichung ist schnell angestellt: Wo Krankheiten sind, sind unweigerlich auch Patienten, und wo Patienten sind, braucht es Medikamente. Medikamente, die ihrerseits in den menschlichen Organismus eingebracht werden müssen oral, mit einer Spritze oder eben per Injektions-Pen. «Wenn man so will, kann man schon sagen, dass wir davon profitieren, wenn es den Menschen schlecht geht», räumt der Firmenchef freimütig ein, «klar ist aber auch, dass nicht wir diejenigen sind, die an diesen gesundheitlichen Problemen Schuld tragen.»

Freundschaften fürs Leben

Die Verpackungsabteilung des Burgdorfer Unternehmens arbeitet an diesem nebligen Nachmittag auf Hochtouren. Zwischen all den ratternden Maschinen und plastikummantelten Nadeln, zwischen all den flink sortierenden Händen und weissbehaubten Gesichtern wirkt Matthew Robin mit seinen fast 2 m Körpergrösse ein bisschen wie der sprichwörtliche Leuchtturm in der Brandung. Weitherum sichtbar, sichtbar Sicherheit vermittelnd. Sachten Schrittes schreitet der gebürtige Engländer durch die engen Produktionsgassen. Spricht er, so spricht er besonnen, die Worte wohl gewählt, und die Stimme ist auf einen angenehmen, schon fast zurückhaltenden Level eingependelt.

Bei dem gängigen Mass an Dynamik, das in der Pharma- und der Medizinaltechnikbranche herrscht herrschen muss , will er, der Chemie-Ingenieur und Betriebswissenschaftler, nicht zusätzliche Hektik ins Spiel bringen. Robin ist, sagt er, kein unüberlegter Tempobolzer, weder im Sport, unter dessen Rubriken er primär das Radfahren liebt, noch im Beruf. «Ich bevorzuge die langen Anstiege, nicht die schnellen Sprints. Und was wichtige Entscheidungen im Geschäft anbelangt, bin ich der festen Überzeugung, dass immer Zeit zum Innehalten vorhanden sein muss.» Zwei, drei Tage der Reflexion; neue Perspektiven einnehmen, abwägen, überschlafen und dann die richtigen Schlüsse ziehen. Allerdings: «Ich vertrete die Ansicht, dass es besser ist, lieber einmal einen falschen Entscheid zu fällen als gar keinen.»

Die Karriere des in Birmingham geborenen und aufgewachsenen Arztsohnes ist bis zum heutigen Tag geradlinig und in regelmässigem Takt verlaufen, Knicke sucht man vergebens. Aus Affinität zu Mathematik und Wissenschaft und nicht zuletzt wohl auch, um sich vom Vater abzugrenzen, dessen Wirkungsfeld ihn grundsätzlich auch interessiert hat, wählte Matthew Robin den Studienweg zum Chemie-Ingenieur und Betriebswissenschaftler. Mit 18 zog er nach London, um neben den wöchentlich 40 Pflichtstunden an der Uni zusammen mit den Kommilitonen in den Metropolengroove einzutauchen. Die Feste, die Freuden, die Leiden «die Studienzeit ist jene Zeit, in der man Freundschaften fürs Leben knüpft», erinnert sich der einstige Rugby-Spieler und talentierte Schwimmer, «eine Tatsache, die man aber erst später so richtig erkennt und zu schätzen weiss».

Statt Frankreich das Wallis

Dass er nicht ewig auf der Insel bleiben wollte, das stand für Matthew Robin schon früh fest. «Das Leben ist zu kurz, um lange in England zu bleiben», habe er sich stets gesagt und entsprechend fleissig Fremdsprachen gebüffelt. Vor allem «la vie francaise» und die dazu gehörende Umgangssprache hätten es ihm in jungen Jahren angetan. Dass es ihn nach einigen Praktika in Frankreich und nach Abschluss des Studiums ausgerechnet nach Visp verschlagen hat, erachtet Robin heute mit einem Schmunzeln als Fügung.

Nicht zuletzt seiner Sprachbegabung ist es wohl auch zuzuschreiben, dass er sich bei Lonza im Wallis durchzusetzen vermochte, erst das lokale und alles andere als einfach zu verstehende Idiom annahm, dieses später wieder ablegte und es, nach einem Wechsel ins Basler Stammhaus, durch ein mehr oder weniger lupenreines Durchschnittsschweizerdeutsch ersetzte. Drei Jahren Amerika, noch immer in Diensten des Basler Chemieunternehmens, folgte zu Ende der 90er Jahre der Wechsel zu Disetronic, wo er in der Geschäftsleitung Einsitz nahm. Ein Schritt, der wohlüberlegt gewesen sei, betont Robin. «Zum einen nämlich wollte ich weg von der Chemie, die in ihrem Wesen und von der Dynamik her eher eine langfädige Angelegenheit ist, zum anderen aber lockte auch die Schweiz mit all ihren Vorteilen.»

Der mit einer Schweizerin verheiratete und in Liestal wohnende Angelsachse zieht die Augenbrauen hoch. Es sei wohl schon so, dass vielen Eidgenossen heutzutage gar nicht bewusst sei, wie gut und schön sie es in ihrem Land hätten. «Die Lage im Herzen Europas als Ausgangspunkt ist einzigartig, die Natur, die Berge, die Landschaft sind es ebenfalls; erst gestern zum Beispiel bin ich mit dem Velo fünf Minuten von der Stadt entfernt eine Stunde lang über Landstrassen gefahren, auf der mich gerade mal vier Autos gekreuzt haben. Das ist schon toll, diese Nähe von Stadt und Land.»

Der Job sensibilisiert

Das «Gümmelen» hat der hoch aufgeschossene, asketisch wirkende Brite vor ein paar Jahren neu für sich entdeckt. Mit Puls 160 durch die Gegend zu pedalen, das bringt ihm den notwendigen Ausgleich zum Job. 7000 km hat er solchermassen diese Saison schon abgestrampelt. Bleibt nicht viel Zeit zum Arbeiten, oder? Robin schiebt sich die weinrote Krawatte mit dem Kaffeetassenmuster zurecht und winkt ein wenig verlegen ab. Zwei Ferienwochen in der Toskana und auf Mallorca, eine Stunde über Mittag, wenn die anderen Essenspause machten, sommers nach Feierabend zwei Stunden oder, wenn das Wetter mitspielt, den Arbeitsweg zwischen Liestal und Burgdorf statt mit dem Auto mit dem Renner zurücklegen da komme unter dem Jahr ganz schön was zusammen.

Wäre er nicht schon immer sportlich gewesen, sagt Robin, spätestens hier, zwischen all den spitzen Nadeln und Injektionssystemen, wäre er es geworden. Sagt es und klemmt sich seine dicke Agenda unter den Arm.

Die Termine jagen sich zurzeit. Denn diese Woche will das Management von Ypsomed zum ersten Mal seit dem Börsengang im September Zahlen präsentieren. «Ich darf dazu noch nichts sagen», gibt sich Matthew Robin zugeknöpft. Die Tatsache aber, dass er, der er den Weitblick klar über den kurzzeitigen Effort stellt, so kurz vor dem wichtigen Auftritt in ein persönliches Gespräch eingewilligt hat, deutet allerdings klar darauf hin, dass das anvisierte Ziel mehr als nur erreicht werden konnte.



Profil

Name: Matthew Robin

Funktion: CEO Ypsomed

Alter: 39

Geburtsort: Birmingham GB

Wohnort: Liestal

Familie: Verheiratet

Karriere:

1987-1998 Lonza-Gruppe, Visp, Basel, USA; Führungspositionen u.a. im Bereich Marketing und Verkauf

1998-2003 Disetronic, Burgdorf; erst Head of Production and Logistics, dann Head of Injection Systems Division

Seit 2003 Ypsomed, CEO



Firma: Ypsomed

Anfang 2003 veräusserte Gründer und Hauptaktionär Willy Michel sein Pharmaunternehmen Disetronic an Roche, die Sparte Injektionssysteme kaufte er gleich wieder zurück und positionierte sie als Ypsomed am Markt. Zum Kerngeschäft gehören Injektions-Pens, mit deren Hilfe Medikamente wie Insulin und Hormone in den Organismus eingebracht werden. Das Burgdorfer Medizinaltechnikunternehmen beliefert die Pharmaindustrie, beschäftigt rund 800 Personen und setzte im vergangenen Geschäftsjahr 200 Mio Fr. um. Ypsomed ist seit September 2004 an der Börse.