Bereits über ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seit Meinrad Perler, Sohn eines Bauern aus dem Kanton Freiburg, gewissermassen zurück zu seinen Wurzeln fand. Dies jedoch fernab seiner Heimat und erst, nachdem er in London Wirtschaftswissenschaften studiert und danach in Lugano etliche Jahre als Bankier bei der CS gearbeitet hatte. 1981 kaufte er in Arzo im Mendrisiotto das auf einem Hügelplateau gelegene herrschaftliche Landwirtschaftsgut Tenimento dell’Ör, um sich fortan dem Weinbau zu widmen.

Zum historischen, im lombardischen Stil erbauten Gutshaus gehörten 9 ha bestes Rebland, von dem bereits in Urkunden aus dem 18. Jahrhundert die Rede ist. Doch nachdem Ende des 19. Jahrhunderts die aus Übersee eingeschleppten Rebkrankheiten und

-schädlinge den Tessiner Weinbau in eine tiefe Krise gestürzt hatten, wurden die Weinberge des Tenimento dell’Ör – mit Ausnahme einer kleinen Parzelle – nicht mehr neu bestockt, sondern als Weide- oder Ackerland genutzt. «Als ich anfing, gab es hier kaum mehr Reben», erinnert sich Perler. «Wir begannen praktisch bei null. Zuerst bepflanzten wir die ehemaligen Weinberge mit verschiedenen weissen und roten Rebsorten und verkauften die Trauben der ersten Ernten an lokale Weinproduzenten. 1994 starteten wir dann die Eigenkelterung unserer Trauben.»

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27 verschiedene Rebsorten

Mit dem ersten Merlot, der auf dem Gut erzeugt wurde, zeigte Perler, dass mit ihm in Zukunft zu rechnen sein würde. Der Wein erhielt diverse Auszeichnungen. Seither hat sich viel getan in Arzo. 2002 wurde das Gut mit dem Zukauf des Tenimento La Prella in Genestrerio massiv vergrössert. Heute bewirtschaftet Perlers Agriloro SA auf den beiden Gütern Tenimento dell’Ör und Tenimento La Prella 20 ha Rebland, auf dem nicht weniger als 12 weisse und 15 rote Sorten nach den Normen der Integrierten Produktion (IP) kultiviert werden.

Die grosse Rebsortenvielfalt und die insgesamt 17 verschiedenen Weine, die Önologe Sacha Pelossi aus den Trauben keltert, sind für das Tessin, wo unter den roten Sorten der Merlot dominiert und weissen Varietäten nur wenig Rebfläche (7% der Gesamtfläche von 1037 ha) zugestanden wird, einmalig.

Die Sortenwahl ist mitunter das Resultat von hauseigenen Forschungen. In vier ampelographischen Gärten sind zu Versuchszwecken über 600 Sorten gepflanzt worden. «Unser Ziel ist es, neue Erkenntnisse zu gewinnen bezüglich der Anpassungsfähigkeit der Sorten an Boden und Klima», erklärt Perler. Noch gut erinnert er sich, wie ihn einige Kollegen auslachten, als er als erster im Tessin Gewürztraminer-Reben pflanzte. «Heute findet man diese Sorte auch in den Rebbergen von vier anderen Winzern», sagt Perler mit Genugtuung. «Nur wenn man etwas wagt und Neues ausprobiert, kommt man weiter.»

Lese dauert fast zwei Monate

Meinrad Perler ist weit gekommen. Seine nach traditionellen Methoden vinifizierten Weine gehören inzwischen zu den Vorzeigegewächsen des Tessins. Dass dies keinem Zufall zu verdanken ist, sondern vielmehr ausgeprägtem Qualitätsbewusstsein sowie beharrlicher und systematischer Arbeit, liegt auf der Hand. «Wir halten die Erträge gering. So gering wie nötig, damit wir ausbalancierte, harmonische Weine mit einem guten Alterungspotenzial erhalten», kommentiert Perler. Alle Sorten werden getrennt gelesen und gekeltert. Je nach Jahr kann die Lese bis zu zwei Monate dauern. Die Rotweine werden in Eichenholzbottichen oder im Stahltank vergoren und danach in Barriques oder Doppelbarriques aus französischer Eiche während 12 bis 24 Monaten ausgebaut.

Die Weissweine dagegen kommen sofort nach dem Abpressen in

die Fässer, wo sie die alkoholische und – wenn gewünscht – die malolaktische Gärung durchmachen.

Die Verkostung der Weine macht deutlich, dass sowohl den weissen wie den roten Gewächsen die gleiche klassisch französische Stilistik eigen ist. Die trockenen Weissweine sind tatsächlich trocken, von einem soliden Säurerückgrat gestützt und buhlen nicht – wie inzwischen leider in Italien üblich – mit einem Hauch Restsüsse um die Gunst der Weinbanausen. Die Rotweine präsentieren sich stoffig-fleischig, zugleich aber auch finessenreich sowie – dank ihres moderaten Alkoholgehalts – schön ausbalanciert und geschmeidig-elegant. Gelegentlich wird Meinrad Perler gefragt, ob er seinen Entscheid, Winzer zu werden, nie bereut habe. Ein herzhaftes Nein ist die Antwort.

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Einige ausgewählte Weine

Weissweine

Pinot grigio 2004

Expressives, fruchtbetontes Bouquet mit dezenten Zitrusnoten. Im Gaumen gut strukturiert, frisch, nuancenreich, harmonische Säure, langes, saftiges Finale (26 Fr.).

Viognier 2004

Fruchtig-aromatische, von Pfirsichnoten geprägte Nase. Geschmeidig-eleganter Körper, facettenreiche Aromatik, rassige Säure, gute Länge (26 Fr.).

Granito 2004

Assemblage aus Chardonnay, Weissburgunder, Sauvignon blanc und Grauburgunder. Markantes, vielschichtiges, von dezenten Vanillenoten unterlegtes Bouquet. Im Mund komplex, aromatische Frucht, saftig, langer, facettenreicher Abgang (28 Fr.).

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Rotweine

Syrah 2004

Ausdrucksvolles, schwarzbeeriges Bouquet mit würzigen und pfeffrigen Noten. Fleischige, würzige Fülle, komplex, präsente, gut eingebundene Tannine, langes Finale (32 Fr.).

Merlot Riserva, Tenimento La Prella 2004

Tiefgründige, noble Nase. Vollmundiger Körper, stoffig-vielschichtig, markante, edle Tannine, harmonische Säure, nuancenreicher, langer Abgang (28 Fr.)

Sottobosco 2004

Assemblage aus Merlot, Cabernet Sauvignon, Gamaret und Carminoir. Intensives, reichhaltiges Bouquet mit Cassisnoten. Kräftig, elegant, präsente, aber weiche Tannine. Schöne Harmonie, langer, finessenreicher Nachhall (33 Fr.).