BILANZ: Mike Fries, ist Ihre Firma Liberty Global das Griechenland unter den Kabelnetzanbietern?

Mike Fries: Wie kommen Sie darauf?

Sie ist mit 16 Milliarden Dollar verschuldet. Das ist mehr als das Eineinhalbfache des Umsatzes.

Mag sein, aber es ist auch das Viereinhalbfache des Cashflow. Das ist in unserer Branche nicht ungewöhnlich. Wir haben eine Liquidität von fünf Milliarden Dollar: Unser Schuldenniveau ist also erträglich, zumal es alles langfristige Verbindlichkeiten sind.

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Die letzten sechs Jahre haben Sie nur Verluste geschrieben – ausser in einem Jahr, als Sie Ihre Beteiligungen in Japan abstiessen.

Für uns ist Gewinn nicht massgeblich. Er ist nicht die richtige Kennzahl in dieser Branche, ist es nie gewesen. Deshalb werden Sie von uns wohl nie einen Gewinn sehen. Wichtig ist für uns Cashflow.

Aber wie lange kann eine Firma ohne Gewinne überleben?

Für immer. Zumindest solange man Cash generiert. Wenn Sie am Ende des Jahres mehr Cash auf dem Konto haben als am Anfang, ist alles kein Problem. Jeder Kabelnetzbetreiber der Welt funktioniert so. Denn die Einnahmen sind stabil und gut planbar, sie können also relativ hoch mit Krediten beliehen werden.

Es ist also Ihr Ziel, keine Gewinne zu machen?

Nein, das klingt unverschämt. Unser Ziel ist es, Wert für die Aktionäre zu schaffen. Deshalb reduzieren wir mit Rückkäufen konstant unsere gehandelten Aktien. Dafür verwenden wir den Grossteil unseres Free Cashflow. Gleichzeitig investieren wir in die Infrastruktur. Unser Aktienkurs ist nahe dem Allzeithoch.

Sie haben für UPC Cablecom 2,83 Milliarden Franken bezahlt. War sie das wert, nach all den Problemen?

Absolut. Das war eine fantastische Investition. Der Umsatz hat sich seither verdoppelt. Wir hatten ein paar Probleme, das stimmt, aber die haben wir behoben.

Ist UPC Cablecom profitabel?

Wir messen Erfolg ja wie gesagt nicht am Profit, sondern am Cashflow. Und UPC Cablecom erfüllt unsere Erwartungen. Die Firma investiert jährlich mehr als 200 Millionen Franken in ihr Netz.

Und sie kauft regelmässig andere kleine Kabelbetreiber auf. Dennoch wächst Konkurrent Swisscom schneller bei den digitalen Fernsehanschlüssen. Warum?

In unserem Anschlussgebiet, also dort, wo wir uns mit Swisscom messen, haben wir zuletzt klar mehr digitale Kunden gewonnen. Swisscom ist aber zweifellos eine sehr gute Firma – eine der besten unter all unseren Konkurrenten weltweit. Aber auch sie steht vor grossen Herausforderungen, denn ihr Netz ist nicht sehr robust. Wir werden uns noch lange ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.

Bei den Inhalten hat die Swisscom die Nase vorn.

Es ist eine grosse Ungerechtigkeit, dass die Swisscom Sportveranstaltungen wie Fussball und Eishockey exklusiv vermarkten darf. Dass eine staatlich kontrollierte Firma die wichtigsten Sportrechte horten darf und damit andere Konsumenten ausschliesst – ist das in Ihren Augen richtig? Die Behörden dürfen dies nicht weiter zulassen, sonst muss sich die Schweiz dafür schämen! Wenn wir diese Inhalte besässen, würden wir sie jedem zugänglich machen, auch der Swisscom.

Sie hätten in der Schweiz den Mobilfunkanbieter Orange kaufen können als Ergänzung Ihres Fixnetangebots. Warum haben Sie es nicht getan?

Wir erreichen mit dem Kabelangebot nur etwas mehr als die Hälfte der Schweizer Haushalte, mit Orange müssten wir alle bedienen. Die Synergien lägen also nur bei 50 Prozent. Und im Mobilfunkgeschäft herrscht ein ziemlicher Wettbewerb, es braucht signifikante Investitionen, aber das Wachstum ist nicht so hoch wie im Kabelgeschäft. Über Kooperationen können wir unseren Kunden ebenfalls Mobilfunk anbieten, ohne gleich einen ganzen Carrier kaufen zu müssen.

Das wussten Sie alles schon, bevor Sie die Due Diligence bei Orange machten. Haben Sie nur mitgeboten, um einen Blick in die Bücher der Firma werfen zu können?

Wir schulden es unseren Aktionären und unserem Board, die Sache näher anzuschauen. In anderen Ländern sind wir durchaus im Mobilfunkgeschäft präsent. Das wird immer wichtiger für uns. Wir haben die Bücher von Orange nicht angeschaut, weil wir neugierig sind, sondern weil wir in dieses Geschäft investieren.

Sie wollten auch in der Schweiz schon längst ein Mobilfunkangebot lancieren. Bis heute kam nichts. Was läuft falsch?

Da läuft nichts falsch. Wir starten nächstes Jahr damit im Rahmen einer paneuropäischen Plattform. Die ist einfach noch nicht fertig. Es ist ein offensiver Schachzug, kein defensiver – deshalb eilt es auch nicht damit.

Die Swisscom überzieht die Schweiz gerade mit einem Glasfasernetz bis in die Haushalte. Das Netz von UPC Cablecom basiert noch auf Kupferleitungen. Was tun Sie, um konkurrenzfähig zu bleiben?

Unser Netz besteht schon heute zu über 95 Prozent aus Glasfasern.

Aber nicht auf der entscheidenden letzten Meile.

Ich habe keine Zweifel, dass unser Netz konkurrenzfähig ist und bleibt. Wir können die Leistung schon heute bis zu einem Gigabit pro Sekunde hochfahren, genauso schnell wie ein Glasfasernetz. Ein Kupfernetz ist die flexibelste Plattform auf diesem Planeten, sie hat sich über 40 Jahre immer wieder neu erfunden. Dagegen würde ich nicht wetten.

Sie werden also selber nicht in ein Glasfasernetz investieren.

Nein, das brauchen wir nicht.

Herr Fries, wie viele TV-Stationen benötigt ein Mensch?

Das ist eine interessante Frage, aber ich würde sie umformulieren: Wie viele Fernsehprogramme braucht ein Haushalt? Sie brauchen vielleicht fünf oder sechs, Ihre Frau auch, und die beiden Kinder auch je noch einmal.

Das macht rund zwei Dutzend Sender. Sie bieten in der Schweiz 165 Sender an. Die anderen rund 140 sind also nur mehr vom Gleichen?

Jeder dieser Fernsehsender hält sich für speziell, und jeder bietet Inhalte, die irgendjemand konsumiert. Als wir in der Schweiz auch nur ein paar Spartensender aus dem analogen Angebot nehmen wollten, war das für uns keine positive Erfahrung, denn die Proteste waren enorm.

Und trotzdem ist kaum jemand zufrieden mit dem Fernsehprogramm.

Das Problem ist nicht, dass wir zu viele Sender anbieten. Das Problem ist, dass wir keine gute, bequeme und moderne Benutzeroberfläche bieten, mit der man den spannenden Content finden kann, der sich auf einer der 165 Stationen versteckt. Keiner zappt durch so viele Sender. Man wäre viel glücklicher mit einem Interface, das es erlaubt, alle verfügbaren Inhalte zu durchsuchen, zu personalisieren und zu empfehlen. Und genau das werden wir diesen Herbst mit unserer neuen Plattform Horizon in der Schweiz anbieten.

95 Prozent aller Fernsehinhalte sind Schrott – einverstanden?

Nein. Das liegt im Auge des Betrachters. Wir bezahlen ja die Sender, damit sie ihre Inhalte in unser Netz speisen. Und wir stellen dafür Bandbreite zur Verfügung. Das machen wir nicht für Schrott.

Internet auf TV-Geräten hat sich noch nicht durchsetzen können. Warum?

Es ist nicht ganz einfach, aus dem Internet heruntergeladene Inhalte auf den Fernseher zu bringen. Man hat diese sogenannten Silos – vertikale Ökosysteme. Das ist frustrierend für den normalen Konsumenten. Aber auch das wird sich mit Horizon ändern.

Es wird seit längerem über ein TV-Gerät von Apple spekuliert. Wie gross sehen Sie die Bedrohung?

Warten wir mal ab, was die tun. Ich glaube, sie werden eher unser Partner werden als unser Konkurrent. Sie wollen das Benutzererlebnis in ihrem Ökosystem verbessern. Das ist ihnen beim TV noch nicht gelungen.

Auch die Mobilfunkanbieter haben Apple unterschätzt und dachten, die Firma sei ein Partner. Inzwischen hat Apple sie aus dem Content-Geschäft gedrängt und zu reinen Datentransporteuren degradiert.

Das wird uns nicht passieren. Zum einen wäre es für Apple unheimlich schwierig, unsere vorhandenen Kundenbeziehungen auf ihre Seite zu ziehen. Und selbst wenn sie mit ihren Diensten Erfolg hätten, brauchte es dazu mehr Bandbreite. Aber wir sind der beste Provider von Bandbreite in die Haushalte.

Aber genau das ist doch den Mobilfunkanbietern passiert! Früher verkauften sie Inhalte, jetzt nur noch Bandbreite.

Ich kenne keinen Carrier, der im Inhaltegeschäft Erfolg hat. Der eine hat vielleicht eine gute Sport-App, der andere eine gute Kino-App, aber keiner hat alles.

Wie sehen wir in fünf Jahren fern?

Auf der Couch vor einem Fernseher. Mit einer ausgeklügelten Benutzeroberfläche, die es erlaubt, die Inhalte effizient und persönlich zu verwalten. Und Sie können die gleiche Sendung auf Ihrem Smartphone, Tablet-Rechner oder PC weiterschauen – mit der genau gleichen Benutzeroberfläche. Das geht nahtlos und viel weniger kompliziert als heute. Auch das wird Horizon bieten.

Werden wir noch linear fernsehen, also das schauen, was uns die Sender gerade vorsetzen, oder wird alles auf Abruf sein?

Lineares Fernsehen ist nicht tot. Besonders nicht für Sport oder Nachrichten. Viele Menschen finden das komfortabel, sie mögen es, wenn programmiert wird. Sie vertrauen den Sendern, das gerade Spannendste auszuwählen und zu liefern. Aber eine gute Zukunft haben nur jene Sender, die auch die anderen Zuschauer berücksichtigen, die sich ihr eigenes Programm zusammenstellen wollen.

Aber die Internetgeneration schaut heute schon nicht mehr fern.

Also meine beiden Töchter tun es. Sie finden niemanden, der mit Technik besser umgehen kann als die zwei. Meine 11-jährige Tochter macht jede Woche selber einen Film auf ihrem PC, der Sie umhauen würde. Sie ist der IT-Chef in unserem Haushalt, sie schaut Videos auf jedem Gerät, das sie besitzt, vom Handy bis zum iPad. Und wenn ich ihr und ihrer 14-jährigen Schwester sagen würde, sorry, kein Fernsehen mehr zu Hause, dann gäbe es eine Revolution. Im Ernst!

Schön. Sie sind aber nicht Normalkunde.

Ihre Aussage gilt für eine Generation, die zwischen 18 und 26 Jahre alt ist. Die Jüngeren sind mit einem viel ausgeklügelteren Fernsehen gross geworden, mit einem, bei dem der Harddisk-Rekorder und Video on Demand viel wichtiger sind als lineares TV. Ihr Fernseherlebnis ist ein ganz anderes, ein besseres als früher. Die Generation davor, die das nicht hatte, die ging vielleicht verloren. Aber das ist nur ein Segment.

Michael Fries ist CEO von Liberty Global, einem der weltgrössten Kabelnetzanbieter, dem auch die Schweizer UPC Cablecom gehört. Fries arbeitet seit 27 Jahren in der Branche. In seiner Freizeit bestreitet er Triathlons, fährt Ski und surft.