Kübelweise Optimismus vergoss Microsoft-Chef Steve Ballmer, als er Anfang Februar zum ersten Mal an der weltgrössten Elektronikmesse, CES in Las Vegas, auftrat. «Heute hat nur rund eine Milliarde Menschen einen PC, also gibt es über fünf Milliarden Menschen, die noch nie einen PC besessen haben!», brüllte er von der Bühne und sah in der gegenwärtigen Rezession «eine unglaubliche, unglaubliche Chance für unsere Branche»: Wer jetzt in Technologie investiere, werde einen beträchtlichen Wettbewerbsvorteil erringen.

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Eine schöne Umschreibung dafür, dass sich Ballmer den wirtschaftlich denkbar schlechtesten Zeitpunkt ausgewählt hat, um sein neues Flaggschiff Windows  7 zu präsentieren. Doch Microsoft hat wenig andere Wahl, als in Rekordgeschwindigkeit die neue Version des allgegenwärtigen Betriebssystems zu lancieren, um Windows Vista, die aktuelle, möglichst schnell vergessen zu machen. Denn diese ist ein Flop. Dabei steuert Windows noch immer mehr als die Hälfte zum Betriebsgewinn des weiterhin grössten Softwarehauses der Welt bei. Einen neuen Fehlschlag darf sich Ballmer deswegen nicht leisten. Zumal das Unternehmen letzte Woche einen Gewinneinbruch von elf Prozent im abgelaufenen Quartal und den Abbau von 5000 Stellen melden musste. Auch die übrige Branche, von Rezession und Jobverlust gebeutelt, hofft auf neuen Schwung durch Windows  7.

Käuferstreik bei Vista. Vorgänger Vista stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Die Version kam mit mehrjähriger Verspätung auf den Markt, anfänglich gab es Kompatibilitätsprobleme zuhauf, wenn sie mal läuft, nervt sie den Benutzer mit ständigen Sicherheitshinweisen. Vor allem ist sie bei gleicher Hardware klar langsamer als ihr Vorgänger. Deshalb funktioniert Windows Vista auch nicht auf den extrem populären Netbooks, die hauptverantwortlich sind für den derzeitigen Laptopboom. Ausserdem wurde die Version mit Features überladen, die keiner braucht.

Die Folge: Nur wenige Firmen haben bisher auf Vista umgerüstet. Auch viele Private entschieden sich beim Kauf eines neuen Rechners für ein Downgrade auf die Vorgängerversion Windows XP. Diese ist aber schon sieben Jahre alt. Den Käuferstreik spürte Microsoft in den Bilanzen: Im letzten Quartal sank das Geschäft mit Windows um acht Prozent, bereits vorher lagen die Wachstumszahlen deutlich hinter jenen von Microsoft Office zurück. Mit Windows  7 will – und muss – Microsoft nun die Kurve kriegen.

Windows  7 geht die Schwächen von Vista konsequent an, läuft deutlich schneller und ohne ständige Warnmeldungen. Und es ist leichter zu bedienen, auch wegen der Möglichkeit, es via Touchscreen zu steuern. Für manche Beobachter ist es dennoch ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Cloud Computing ist das Schlagwort, um das sich seit einiger Zeit in der IT-Szene alles dreht, wobei Cloud (Wolke) nichts anderes bedeutet als die Weiten des Internets. Die Philosophie: Programme laufen nicht mehr lokal auf dem Rechner unter dem Schreibtisch, sondern auf einem Server irgendwo in den Tiefen des Netzes. Auch die Daten werden nicht mehr vor Ort gehalten. Ein beliebiger PC mit Webbrowser reicht, um von überall darauf zuzugreifen. Eine Idee, die seit den Anfängen des Internets herumgeistert, aber erst jetzt wirklich an Brisanz gewinnt – auch dank dem mächtigen Rivalen Google, der ganz auf die Cloud-Idee setzt und etwa ein komplettes Bürosoftwarepaket online bereitstellt.

Das bringt für alle Seiten Vorteile. Für den Kunden, weil er im Netz immer die aktuelle Version des Produktes findet und sie nicht für jeden Rechner neu installieren muss. Für den Softwareanbieter, weil er – bei kostenpflichtigen Diensten – einen stetigen Umsatzstrom verbuchen kann, statt nur alle paar Jahre ein teuer abgepacktes Produkt zu verkaufen, dessen Hauptkonkurrent der Vorgänger ist.

Microsoft aber bringt dies in Bedrängnis. Denn jedes Programm, das in der Cloud läuft, nagt an der Existenzberechtigung von Windows. Ist Version  7 also das letzte Betriebssystem für Desktoprechner? «Windows wird weiterhin im Zentrum des technologischen Sonnensystems stehen», gibt sich Ballmer kämpferisch. Aber Windows  7 bezieht bereits Funktionalitäten aus dem Netz, die bei Vista noch fest installiert waren – etwa die Fähigkeit zur Fotobearbeitung oder das E-Mail-Programm. Es ist also ein hybrides, sprich halbherziges Modell, das Microsoft nun verfolgt.

Ansturm auf Windows  7. Konsequent zu Ende gedacht, müsste aber das Betriebssystem auf ein Minimum entschlackt werden und alle zusätzlichen Funktionalitäten aus dem Netz saugen. Dann bräuchte es ein aufgeblasenes Produkt wie Windows mit seinen über 50 Millionen Zeilen Code gar nicht. «Was die Leute als dieses Minimum betrachten, ändert sich ständig», widerspricht Parri Munsell, Produktmanager von Windows  7 bei Microsoft. Hinzu kämen unterschiedliche Bedürfnisse und damit unterschiedliche Vorstellungen dieses Minimums: «Windows ist ein Balanceakt.» Das Thema Cloud Computing geht Microsoft dafür von anderer Seite an. Mit einem eigenen Betriebssystem namens Azure, das jene Rechner befeuern soll, die in den Tiefen des Internets das Cloud Computing ermöglichen. Und als Reaktion auf die Online-Bürosoftware von Google stellt auch Microsoft ein webbasiertes Office zur Verfügung. Vor allem KMU sollen es nutzen.

Nach Ballmers Rede wurde die Beta-Version von Windows  7 zum kostenlosen Download ins Netz gestellt. So gross war der Ansturm, dass die Server zusammenbrachen. Erste Kritiken sind positiv. Einen genauen Starttermin der endgültigen Version gibt Microsoft nicht bekannt – wohl auch, um die Absätze von Vista nicht zu torpedieren. Das rasante Tempo, das Microsoft angeschlagen hat, lässt aber vermuten, dass Windows  7 noch diesen Herbst in die Läden kommen könnte. Vista, sagt Parri Munsell, wird noch eine Zeit lang parallel weiterverkauft werden. Sofern es denn jemand will.