Am Freitag, dem 29. Februar 2008, packte Urs Riedener seine Siebensachen bei der Migros am Zürcher Limmatplatz, wo er sieben Jahre und sieben Monate die Marketingabteilung geleitet hatte. Eigentlich wollte er einen Monat ausspannen. Es reichte gerade mal für ein Wochenende. Am Montag, dem 3. März, bezog er auf Drängen seines neuen Arbeitgebers das Büro an der Habsburgerstrasse 12 in Luzern. Sechs Wochen später der Sprung ins kalte Wasser: Der frischgebackene Chef des Milchkonzerns Emmi musste der Presse die Zahlen für das Geschäftsjahr 2007 präsentieren.

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Und die waren grottenschlecht: Zwar war der Umsatz um gut sieben Prozent gewachsen, doch der Gewinn um ein Viertel eingebrochen und die auch so schon dünne Marge auf 1,6 Prozent geschrumpft. Vor allem Probleme im Auslandgeschäft machten sich in der Erfolgsrechnung von Emmi negativ bemerkbar; das Management unter Riedeners Vorgänger Walter Huber, der übrigens zur Migros wechselte, hatte die Absatzentwicklung im internationalen Geschäft zu optimistisch eingeschätzt.

Obwohl ein absolutes Greenhorn im Milchgeschäft, lieferte Riedener vor der Presse eine Präsentation ab, wie man sie bei Emmi in dieser Klarheit noch nie erlebt hatte. In knappen Sätzen deckte er auf, was falsch gelaufen war und wohin man den Milchkonzern steuern wollte. «In der Vergangenheit hat sich Emmi darauf konzentriert zu wachsen. Künftig werden wir uns darauf fokussieren, dass nicht nur der Umsatz, sondern auch die Profitabilität zulegt.» Dieser Strategiewechsel, obwohl mit dem Verwaltungsrat abgesprochen, wurde von den rund 3500 Zentralschweizer Bauern, die via ihre Genossenschaft Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP) mit einem Anteil von 54,3 Prozent die Mehrheit an Emmi halten, nur mit Mühe geschluckt.

Forscher Gang über die Grenzen

Noch ausdauernder zu kauen hatten die Milchlieferanten am zweiten Pfeiler von Riedeners Langfristplanung: der kräftigen Expansion im Ausland. Der an der Hochschule St. Gallen ausgebildete Betriebswirtschaftler, Fachrichtung Marketing, hatte rasch erkannt, dass der heimische Markt durch geringes Wachstum, dafür hohen Preisdruck gekennzeichnet ist. Wachstum war nur im Ausland zu holen, und zwar über Akquisitionen, Minderheitsbeteiligungen, Kooperationen. Riedeners Vision: Innerhalb von zehn Jahren sollen sich In- und Auslandgeschäft bezüglich Umsatz die Waage halten. Ein ambitiöses Ziel; 1997 stellte sich der Auslandumsatz gerade mal auf 23 Prozent.

Riedener legte sogleich ein horrendes Tempo vor. Alle paar Monate meldete die Konzernzentrale einen neuen Firmenkauf. Innerhalb von gut sechs Jahren wurden 14 bedeutendere Akquisitionen getätigt, für die Emmi total 400 Millionen Franken ausgab. Dazu gesellten sich einige Minderheitsbeteiligungen. Die Einkaufstour führte Riedener in mehrere europäische Länder, aber auch in die USA, nach Mexiko, Chile oder Tunesien. Im Warenkorb landeten in erster Linie Milchverarbeiter und Händler (siehe «Milchdurst» auf Seite 42). Dank der Übernahme der italienischen Firmen A-27 und Rachelli wurde das Luzerner Unternehmen bei Desserts aus Italien europäischer Marktführer, durch die Akquisition der niederländischen AVH Dairy Trade und der amerikanischen Cypress Grove Chevre ein wichtiger Player im Segment der Ziegen- und Schafkäse-Spezialitäten.

Einer der wichtigsten Deals war der Ausbau der Beteiligung auf 66 Prozent am spanischen Premium-Milchverarbeiter Kaiku. Dank der neuen Tochter wurde das Emmi-Spitzenprodukt Caffè Latte in Spanien ein Renner. Und weil Kaiku mit Frischprodukten in Tunesien und Chile engagiert ist, gelang den Luzernern fast nebenbei auch der Eintritt in zwei neue, wenn auch exotische Märkte. «Exotisch vielleicht, doch auch hochattraktiv. Die europäischen Märkte sind gesättigt. Deshalb weichen wir aus in Länder mit hohem Wachstum wie Tunesien, Chile oder Mexiko», stellt Riedener klar.

Schnell, aber überlegt

Trotz des hohen Akquisitionstempos geht Riedener mit Bedacht an mögliche Übernahmen heran. Erst nach umfangreichen Abklärungen zum Wachstumspotenzial des Marktes, zu Absatzkanälen und weiterem wird meistens eine Minderheitsbeteiligung erworben. «Wenn wir sehen, dass alles rundläuft und wir unsere Konzepte und Ideen einbringen können, dann übernehmen wir die Mehrheit.» Und wo die Entwicklung unter den Erwartungen liegt, trennt man sich wieder von der Beteiligung. Hat Riedener keine Bedenken, dass ihm derselbe Fehler unterläuft wie seinem Vorgänger, nämlich im Ausland zu schnell zu expandieren? «Heute stehen wir im Ausland weitaus besser da. Ja, wir haben unter unseren Töchtern viele Perlen.»

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