Der Rückgang hat sich angekündigt: Seit drei Jahren ist der Verkauf von Tonträgern - also CD-Singles, CD-Alben, Musikkassetten und Schallplatten - zurückgegangen - konstant im einstelligen Prozentbereich. In diesem Jahr allerdings stürzen die Umsätze regelrecht ab. Der Interessenverband der schweizerischen Tonträgerproduzenten (IFPI Schweiz) rechnet mit einem Rückgang von über 10%. Branchenkenner gehen von 18% aus. Das bedeutet, dass die fünf Grossen («Majors») der Plattenindustrie - BMG, EMI, Warner Music, Sony und Universal Music - und die übrigen 25 grösseren Hersteller in der Schweiz Tonträger für rund 290 Mio Fr. ausliefern werden. Im Vorjahr generierte die Branche noch einen Umsatz von 330 Mio Fr.

Der Sekretär von IFPI Schweiz, Peter Vosseler, führt den dramatischen Umsatzeinbruch auf die Internet-Piraterie, also das illegale Downloaden von Musiktiteln aus dem Internet, zurück. Im vergangenen Jahr dürften User weltweit rund 6 Mrd Musik-, Film- und Softwaredateien illegal aus dem Internet gezogen haben. Das sind über 11 000 Downloads pro Minute. Der Musikindustrie entgehen dadurch jährlich 4,3 Mrd Dollar, schätzt IFPI International.

*Ruf nach Gesetzen und besserem Kopierschutz*

Die heruntergeladenen Dateien speichern die Internet-Anwender auf CD-Rohlingen, meist auf mehreren - Privatkopien für Familie und Freunde. Die Anfertigung solcher Kopien ist laut Vosseler der zweite Grund, warum die Umsätze der Musikbranche darniederliegen. Der Branchensprecher und Rechtsanwalt glaubt, die beiden miteinander verknüpften Probleme in den Griff zu kriegen, wenn strengere Gesetze zum Schutz der Urheberrechte aufgestellt, die Kopierschutzvorrichtungen auf den Tonträgern verbessert und jegliche Umgehung dieses Kopierschutzes gesetzlich verboten werden.

Den Einwand, dass sich kopiergeschützte Tonträger öfters nicht auf PC oder in Auto-Audioanla-gen abspielen liessen, kontert Vosseler so: «Gerade CD müssen nur in einem Spieler funktionieren.» Die Konsumenten hätten keinen Anspruch darauf, dass sie die neusten Hits auch am PC anhören können. Sie hätten das Malheur gar mitzuverantworten. «Der Kopierschutz ist ein Hilfeschrei der Musikbranche», argumentiert Vosseler.

In der Zwischenzeit kämpft der Fachhandel um die Konsumenten. Mit stetig wechselndem Angebot versuchen Händler, die Kunden einigermassen bei Laune zu halten. Bei der CD-Kette City Disc etwa werden beinahe wöchentlich Sortimentsbereinigungen durchgeführt. «Insbesondere das Angebot bei den Samplern und den Maxi-Singles wird gestrafft», sagt Marketingleiter Christian Fankhauser. Kein Wunder: Schliesslich ist der Umsatz in diesen beiden Bereichen zwischen 20 und 30% eingebrochen. Wie hoch die Einbussen im gesamten Tonträgerbereich sind, kann Fankhauser noch nicht sagen. «Zuerst müssen wir die Umgestaltung des Sortiments abschliessen.» Die entrümpelten CD-Regale bleiben aber nicht leer. «Mit den DVD erzielen wir zweistellige Wachstumsraten», freut sich Fankhauser. In einem City-Disc-Geschäft nimmt die DVD-Abteilung deshalb bereits die Hälfte der Ladenfläche ein.

*Läden wollen Sortimente ohne Ladenhüter*

Ähnlich geht die Warenhauskette Manor vor, die bei den Tonträgern heuer rund 10% verlieren dürfte, wie Einkäufer Daniel Bär schätzt. Manor strafft dahr das Sortiment bei den Maxi-Singles und den Samplern. «Gewisse Produkte sind bei uns nicht mehr gelistet, weil wir davon ausgehen können, dass sie sich als Ladenhüter erweisen werden», so Bär. Beispiele nennt er keine. Doch ein Branchenkenner weiss: Der Sampler «Bravo»-Hits etwa verkaufte sich früher in der Schweiz bis zu 20 000-mal. Heute wollen höchstens noch 5000 Kunden die Doppel-CD in ihrem Regal haben. Dafür steigen auch bei Manor die Umsätze bei den DVD. «Wir erzielen Wachstumsraten von bis zu 10%», sagt Bär.

Besser bei den Tonträgern schneidet Branchenleader Media Markt ab. Er erleidet in diesem Jahr zwar ebenfalls eine Umsatzeinbusse, mit 7% fiel sie aber weniger hoch aus als bei der Konkurrenz. Als Grund nennt Urs Spahr, Marketingleiter von Media Markt Schweiz, die konsequente Ausrichtung auf ein breites Sortiment, welches neben den «Top 100 der Schweizer Hitparade» ein grosses Angebot aller Stilrichtungen von Pop über Jazz bis zu Klassik und Schweizer Volksmusik umfasst. «Das wissen unsere Kunden zu schätzen», meint Spahr. Dank den wachsenden Umsätzen im DVD-Bereich konnte das Unternehmen das Minus aus dem Tonträgerbereich zu einer schwarzen Null aufbessern.

Am wenigsten betroffen von Rückgängen sind kleinere Händler oder Fachgeschäfte wie Musik Hug und Jecklin. Diese setzen nicht primär aufs Popmusikgeschäft, sondern auf ein hochwertiges Sortiment - unter anderem im Klassik- und Jazzbereich. Das Gros dieser Kundschaft nutzt das Internet (noch) nicht zum Downloaden von Musikdateien, sondern kauft weiterhin im Geschäft.

*Kurzlebige Hits kurbeln die Verkäufe nicht an*

Der Nervenkrieg um sinkende Umsätze im Pop-CD-Geschäft und stetig kleinere Sortimente zehren an der Substanz der Branche. Immer häufiger werden kritische Stimmen laut. Christian Fankhauser von City Disc bringt es auf den Punkt: «In den 90er Jahren setzte die Plattenindustrie verstärkt auf One-Hit-Wunder. Statt in den länger dauernden Aufbau von Künstlern zu investieren, setzte sie auf stromlinienförmige, nichtssagende und austauschbare Boygroups und Stars.» Heute, so Fankhauser, existieren keine Nachfolger für die Dinosaurier des Popgeschäfts. «Die grossen Künstler von heute kommen immer noch aus den 80er Jahren - wie Sting und U2 -, die 90er haben nur einige grosse Künstler gebracht, wie etwa Robbie Williams und Eminem.»

Selbst bei einer Shakira sei ungewiss, ob sie sich lange auf der Erfolgswelle halten werde. Ein Umdenken sei nicht erkennbar: «Mit Best-of-Alben oder Casting-Shows pressen die Labels jede letzte Zitrone aus.» Nachwuchskünstler mit neuen Trends hätten wegen des Mainstreams der Privatradios kaum Chancen, sich im Musikbusiness zu behaupten.

IFPI-Sprecher Vosseler sieht noch eine andere Ursache für die Krise der Musikbranche. «Die Jugendlichen von heute, unsere wichtigste Zielgruppe, verfügen über viel zahlreichere Unterhaltungsmöglichkeiten als früher.» Zudem hätten sie neue finanzielle Verpflichtungen, etwa Handyrechnungen. «Kann Musik plötzlich kostenlos aus dem Internet bezogen werden, interessiert eine CD für 20 Fr. natürlich nicht mehr.»

*Neue Strategien nötig*

In Zukunft, da sind sich Branchenkenner einig, werden drei Bezugsquellen für Musik existieren. «Neben dem traditionellen Verkauf in Geschäften müssen wir dem Versandhandel und dem legalen Download-Geschäft via Internet gewichtige Plätze einräumen», meint Vosseler. Die Industrie werde umdenken und neue Strategien entwickeln müssen. Fankhauser von CityDisc hat das bereits getan und bietet seit ein paar Wochen den legalen Download an. «Mit Erfolg», wie er sagt. Die Labels dagegen, die um ihre Margen fürchten, streiten sich weiter um die richtige Strategie.

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