Zwischen Hammer und Amboss», so charakterisiert Oscar A. Kambly die Situation der schweizerischen Nahrungsmittelindustrie. Ihr Umfeld ist dadurch gekennzeichnet, dass sie mit gewachsenen Agrar- und standortbedingten Hochkostenstrukturen und mit dem sich rasch internationalisierenden Absatz-Wettbewerbsumfeld konfrontiert ist. «Hinzu kommen eine Marktübersättigung und die grenzüberschreitende Hyper-Competition», vervollständigt der Kambly-Chef seine Lagebeurteilung über die aktuelle Branchenverfassung.

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Daraus folgert er für die gesamte Nahrungsmittelindustrie, was er im eigenen Betrieb längst praktiziert: «Es entstehen völlig neue Anforderungen an unsere Produkte und unsere Industriebetriebe, an ihre Wettbewerbsfähigkeit durch herausragende Differenzierung und Effektivität, aber auch an die Bereitschaft zu neuen Dimensionen länderübergreifender Kundennähe.»

Den Herstellern von Markenartikeln muss überdies ein Spagat gelingen, der zunehmend schwieriger werden dürfte: Sie entwickeln fortlaufend neue Produkte, die als Marken einen festen Platz erobern und dann kopiert wird, ohne dass die Kopisten Entwicklungskosten gehabt hätten.

Mit dem Auftritt ausländischer Discounter wird dieses Problem insofern verschärft, als die zunehmend grössere Zahl der Lieferanten von Handelsmarken-Produkten an Migros und Coop vor die Wahl gestellt werden, entweder neu eintretende Marktteilnehmer nicht zu beliefern oder ihren Platz in den Gestellen zu verlieren, wie Brancheninsider bestätigen.

Nahrungsmittelhersteller suchen immer neue Nischen

Gerade die Internationalisierung und Liberalisierung im Rahmen der Bilateralen Verträge zwingt die schweizerischen Nahrungsmittel- und Getränkehersteller immer häufiger dazu, sich mit neuen Mitbewerbern auseinander zu setzen, die ihre Präsenz in der Schweiz festigen und ausbauen wollen. Der Kampf um ein Kuchenstück in einem hoch gesättigten Markt, in dem Migros und Coop über einen Marktanteil von rund 80% verfügen, wird durch den Einzug neuer ausländischer Lebensmittel-Discounter zusätzlich verstärkt. Karin Schefer, bei der UBS für den Konsumgüterbereich zuständig, ortet in ihrer Analyse vor allem eine Herausforderung für Anbieter von Produkten des täglichen Bedarfs, die austauschbar sind. «Sie stehen schon heute unter starkem Druck, Preisnachlässe zu gewähren und durch Kostensenkungen ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.» Der gezielte Vorstoss in den Bereich der Nischen- und Qualitätsprodukte, wo ständig Neuheiten angeboten und höhere Margen erzielt werden können, ist beispielsweise der Schokolade-Industrie allen voran Linth & Sprüngli erfolgreich gelungen.

Dieser Branchenzweig verdient heute bereits jeden zweiten Franken im Ausland. Die Fleischproduktion hingegen wird praktisch nur im Inland abgesetzt. Und die Nachfrage macht Sorgen: «Der Pro-Kopf-Konsum ist seit über zehn Jahren rückläufig», stellt Schefer fest. In einer von ihr gemachten Umfrage ist vor allem bei den Milchverarbeitern besonders deutlich zum Ausdruck gekommen, dass sie ihre Aktivitäten vermehrt über die Grenzen ausdehnen wollen. Von 158 antwortenden Unternehmen ist bereits ein Drittel international tätig, weitere 9% wollen diesen Schritt wagen.

Preisausgleich durch Bilaterale Verträge II

Diese Internationalisierung, eine der grossen Chancen für die schweizerischen Lebensmittelhersteller, muss gegen das hohe Niveau für die Roh- und Verarbeitungskosten ankämpfen. Das im Rahmen der Bilateralen Verträge II mit der EU ausgehandelte Abkommen für verarbeitete Landwirtschaftsprodukte hat gemäss Franz Urs Schmid, Co-Geschäftsführer der Föderation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien (Fial), zum Ziel, die Preisdifferenzen zwischen den mit einem happigen Grenzschutz geschützten und im Vergleich zum Ausland teurer produzierten Schweizer Agrarrohstoffen und jenen aus der EU auszugleichen. Das heisst: Beim Export von schweizerischen Verarbeitungsprodukten in die EU werden die eingesetzten landwirtschaftlichen Rohstoffe auf das Preisniveau der EU verbilligt. Im umgekehrten Fall, also beim Import von verarbeiteten Landwirtschaftsprodukten aus der EU, werden diese an der Grenze mit Importzöllen auf das schweizerische Agrarpreisniveau angepasst.

Damit wird gemäss Thomas Roth vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erreicht, dass für die verarbeitende Nahrungsmittelindustrie der Wettbewerb sowohl im In- wie im Ausland nicht durch unterschiedliche Agrarpreise verzerrt wird. Das erleichtert die dringend notwendige Expansion der Branche.

Laut Martin Rufer vom Schweizerischen Bauernverband ergaben Untersuchungen allerdings, dass die Differenz bei den Konsumentenpreisen für Nahrungsmittel in der Schweiz nur zu einem Drittel auf höhere Kosten für Agrarprodukte, zu einem Drittel auf höhere Margen der Verarbeiter und zu einem weiteren Drittel auf höhere Margen bei den Händlern zurückzuführen ist.

Das Thema Preisdiffenrenzen wird die Branche auch künftig begleiten. Klar ist nur, dass sich die Preissensitivität der Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz erhöht hat. Anders lässt sich der Erfolg der Billiglinie von Migros und jener der spät reagierenden Coop nicht erklären.

Derzeit werden in der hiesigen Nahrungsmittelindustrie 15,5 Mrd Fr. umgesetzt, davon gegen 2 Mrd Fr. im Ausland, vor allem mit Dauerbackwaren, Diät- und Spezialnahrungen, Kaffee, Milchprodukten, Schokolade und Zuckerwaren.

Wer immer auch darauf angesprochen wird: Eine der viel versprechenden Möglichkeiten, von Skaleneffekten in dieser Branche zu profitieren, wird im Ausbau des Exportes gesehen.

Top 15 (Umsatz 2004 in Mio Fr.)

1. Nestlé 867691.4

2. Lindt & Sprüngli201712.0

3. Emmi19262.5

4. Hero13596.1

5. Unilever Schweiz74012.8

6. Jowa7333.1

7. Estavayer Lait63710.4

8. Crémo5404.7

9. AZM42213.7

10. Bischofszell4221.2

11. Hiestand 39819.8

12. Hipp 390

13. Hochdorf Nutritec38825.7

14. Masterfoods Schweiz3802.7

15. Chocolat Frey 3505.0

Quelle: «Handelszeitung», top 2005



Fertigprodukte: Markenartikel haben es schwer

Der Markt für Fertigprodukte (Frische Convenience) mit einem wertmässigen Umsatz von 367,4 Mio Fr. hielt sich bei sinkenden Durchschnittspreisen auf dem Niveau des Vorjahrs. Die einzelnen Teilmärkte entwickelten sich aber unterschiedlich: Während die Umsätze bei Saucen und Fertigsalaten leicht sanken, haben sich die beiden grössten Umsatzträger Pasta und Backwaren (Pizza) seitwärts bewegt. Die Fertiggerichte wachsen hingegen seit drei Jahren ununterbrochen mit zweistelligen Wachstumsraten.

Die Marktanteile der Eigenmarken der Grossverteiler nehmen von Jahr zu Jahr zu. Im Jahr 2004 betrug ihr wertmässiger Anteil 88%. Dazu gehören unter anderem die Marke Anna's Best von Migros oder Betty Bossy von Coop. Der zweitgrösste Schweizer Detailhändler holte als Verteiler von Frische Convenience kräftig zur Konkurrentin und der Nummer eins, Migros, auf.

Wegen der Strukturveränderungen im Detailhandel stehen den Herstellern zudem immer weniger Verteilkanäle zur Verfügung. Die Marktanteile jener Hersteller, die als Firmen den beiden Grossverteilern gehören oder ihnen nahe stehen, sind kontinuierlich gewachsen zum Beispiel Jowa (Migros-Tochter) oder Bell (Coop-Tochter). Der Anteil der Hersteller im Migros-Kanal nimmt zu Gunsten der Anteile der migroseigenen Produktionsbetriebe von Jahr zu Jahr ab. (Mér)



Nachgefragt: «Wir fürchten den Preiskampf nicht die Besten werden überleben»

Hügli gehört zu den erfolgreichsten schweizerischen Nahrungsmittelherstellern. CEO Jean Villot will mit dem Unternehmen in Europa weiter wachsen. Und er erklärt, warum Asien vorläufig nicht auf der Prioritätenliste steht.

In einem gesättigten Markt wie der Schweiz muss die Nahrungsmittelindustrie vor allem mit ausländischen Expansionen wachsen. Hügli ist ein Paradebeispiel dafür. Wie hoch ist der Umsatzanteil, der ausserhalb der Schweiz erarbeitet wird? Er bewegt sich im 73%-Bereich. Was aber nicht heisst, dass uns der Schweizer Markt gleichgültig wäre. Im Gegenteil. Aber wir wollen auch dort wachsen, wo die potenziellen Konsumenten ein Vielfaches der Schweizer Bevölkerung ausmachen in Europa.

Und nicht in Asien? Asien steht vorläufig nicht auf unserer Prioritätenliste, nachdem wir bereits mit der derzeitigen Strategie sehr gut fah-ren.

Die Grossverteiler Migros und Coop erhöhen die Zahl der Eigenmarken kontinuierlich. Profitieren Sie von diesem Wachstum? Der Anteil an Private Labels an unserem Umsatz macht derzeit 25% aus. Er liesse sich erhöhen. Das gilt für das In- wie für das Ausland.

Die Veränderungen im schweizerischen Gross- und Detailhandel schränken den Handlungsspielraum von Herstellern ein. Wie reagieren Sie? Wir fühlen uns nicht eingeschränkt und halten an unserem Erfolgsrezept fest: Das ist ein Bouquet in der ganzen Wertschöpfungskette, wobei die Präferenzen der Kunden am höchsten gewichtet werden. Wie soll schmecken, was sie mögen. Auf diesen Punkt legen wir grossen Wert.

Lohnt es sich überhaupt noch, als Nahrungsmittelhersteller in der Schweiz zu produzieren? Und ob. Wir haben überdurchschnittlich engagierte Mitarbeitende. Sie gehören zu unseren Stärken. Und vergessen Sie das favorable Zins- und Steuerklima nicht.

Und die hohen Lohnstückkosten? Die müssen in Relation zur Produktivität gesetzt werden. Dann sieht das Resultat allemal positiv aus.

Migros und Coop haben erheblich in ihre eigenen Produktionskapazitäten investiert. Die müssen ausgelastet werden ... Das ist keine Gefahr für ein Unternehmen, das sich auf eine Nischenpolitik verlegt hat.

Der Preiskampf an der Handelsfront ist im letzten Herbst losgetreten worden und hat sich verschärft. Was heisst das für Sie? In einem Preiskampf überleben die Besten. Wir brauchen ihn nicht zu fürchten.