Selbstverantwortung kostet. Satte 10 Mio Euro will die europäische chemische Industrie in den nächsten Jahren in die Erforschung und Vermeidung von Risiken durch Nanomaterialien investieren. Bereits hat der deutsche Nanopartikelhersteller Degussa die Ergebnisse von zahlreichen Untersuchungen zu Nanomaterialien veröffentlicht. «Untersuchungen im Rahmen von Genehmigungsverfahren werden aus Wettbewerbsgründen allerdings erst nach Verfahrensabschluss publiziert», meint Degussa-Sprecherin Hannelore Gantzer. Damit versuche man, dem Interesse der Öffentlichkeit nach Information gerecht zu werden.

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Grosse reaktive Oberfläche

Dass Forschung zur Produktions- und Produktsicherheit von Nanoapplikationen Not tut, merken allmählich auch die Behörden. Schon heute sind über 500 Nanoprodukte auf dem Markt, Tausende werden in den nächsten Jahren folgen. Nach Schätzungen von Swiss Re erzielen Nanoanwendungen 2005 einen zweistelligen Milliardenumsatz. Bis 2010 werden weltweit dreistellige, bis 2015 vierstellige Milliardenumsätze erwartet. Die Palette der Nanoprodukte reicht von UV-Filtern für Sonnencremes (Ciba) über Pestizide (Syngenta) bis zu Nanopulver für kratzfeste Beschichtungen (Bühler, Uzwil).

Welche Gesundheitsrisiken von diesen Applikationen ausgehen, ist unklar. Sicher ist: Nanoteilchen können durch die Lunge in die Blutbahn gelangen oder über Nase und Riechnerv direkt ins Gehirn wandern. Ferner gibt es Hinweise, dass Kleinstpartikel ungehindert in Zellen eindringen und dabei das Immunsystem austricksen. Nanopartikel besitzen zudem eine besonders grosse reaktive Oberfläche und damit möglicherweise eine gesteigerte Toxizität. Dieser Befund war für die EU Grund genug, im letzten Juni einen «Aktionsplan 20052009» aufzugleisen mit dem Ziel, Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltrisiken von Nanoprodukten vor und während des gesamten Lebenszyklus anzugehen.

Ähnlich dem Asbestrisiko?

Ebenfalls aktiv geworden sind die Royal Society und die Academy of Engineering. Die renommierten britischen Forschungsinstitutionen fordern, dass Nanopartikel als neuartige Substanzen behandelt und entsprechend reguliert werden. Grund für diese Empfehlung ist der Umstand, dass viele Materialien bei der «Nanoisierung» völlig neue chemische, biologische und elektrische Eigenschaften entwickeln. Insbesondere bei so genannten Nanotubes, winzigen Kohlenstoff-Röhrchen, stellt sich die Frage, ob sie ein ähnlich hohes Gesundheitsrisiko wie Asbestfasern darstellen. An der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (Empa) laufen zurzeit entsprechende Abklärungen.

Doch bevor Gesundheits- und Umweltbehörden regulierend eingreifen können, müssen technische Aspekte geklärt werden. Beispielsweise braucht es Messverfahren und Teststandards, um zu beurteilen, wie stark Forscher, Verarbeiter und Konsumenten mit den in den Produkten enthaltenen Nanoteilchen in Berührung kommen.

Das Fehlen staatlicher Regelungen und die Unklarheit bezüglich möglicher Risiken machen die Nanotechnologie auch für die Versicherungen zur Knacknuss: Für Haftpflichtforderungen ist entscheidend, ob eine klare Beziehung zwischen Ursache und Wirkung hergestellt werden kann. In einer Studie von Swiss Re heisst es: «Es ist wahrscheinlich, dass bei gewissen Nanoprodukten genau nachgewiesen werden kann, woher sie kommen, wer sie hergestellt hat und was sie beim Geschädigten ausgelöst haben.»



Debatte zur Nanotechnologie: Ein Schritt an die Öffentlichkeit

«Die gegenwärtige Regulierungslücke schafft erhebliche Unsicherheit nicht nur für die Industrie, Versicherer und Politiker, sondern zunehmend auch bei Konsumenten und Öffentlichkeit», konstatiert Christoph Meili, Geschäftsführer der Innovationsgesellschaft.

Das Spin-off der Universität St. Gallen mit Sitz an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) hat deshalb die Flucht nach vorn ergriffen und eine Multi-Stakeholder-Plattform lanciert. Ziel ist es, der Nanotechnologie einen sicheren Weg in die Zukunft zu weisen und zu vermeiden, dass die Nanodebatte eskaliert wie seinerzeit die Gentechnik-Diskussion: «Eine umfassende Risikobeurteilung, klare Regulationsmassnahmen und ein transparenter öffentlicher Dialog können dies verhindern», ist Meili überzeugt. Unterstützt wird das Projekt von Industrie (Bayer, Bühler, Coop, Juvena International, EMS) und Behörden (Buwal, BAG), Wissenschaftsorganisationen (Empa, PSI, TA-Swiss, Uni Bern). NGO und weitere Teilnehmer aus der Industrie sind laut Meili willkommen. (eko)



Nachgefragt: «Stigmatisierung verhindern», Georg Karlaganis

Die Nanotechnologie ist ein Wachstumsmotor der Schweizer Volkswirtschaft. Um diese Zukunftstechnologie nicht in Misskredit zu bringen, brauche es staatliche Regulierung, sagt Georg Karlaganis, Chef der Abteilung Stoffe, Boden, Biotechnologie im Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) und Professor an der medizinischen Fakultät der Uni Bern. Er sagt, was die Schweiz in diesem Bereich plant.

Wo ist eine staatliche Regulation der Nanotechnologie am dringendsten? Die unmittelbarsten Risiken sehe ich in Forschungslabors und an den Arbeitsplätzen in der Nanotech-Industrie insbesondere bei ungenügender Ausrüstung und Ausbildung. Hier braucht es Codes of Conduct, Normen oder staatliche Regelungen, damit keine Unfälle wie seinerzeit in der Asbestverarbeitung passieren. Angezeigt sind Sofortmassnahmen.

Was plant die Schweiz in diesem Bereich? Wir haben beim Bund eine informelle Arbeitsgruppe mit Vertretern aller betroffenen Ämter. Vorgesehen ist ein Aktionsplan für Nanomaterialien ähnlich wie in der EU. Zudem wollen wir auf die Erfahrung der Empa abstützen, die uns ihre internen Laborrichtlinien zum sicheren Umgang mit Nanotechnologien zur Verfügung stellen wird.

Wie weit ist man mit den Beurteilungsgrundlagen für eine Nanoregulierung? Es geht um Fragen der Grösse, Form und Konstruktion. Was ist überhaupt ein Nanopartikel? Dazu gibt es noch keine verbindlichen Beurteilungskriterien. Entsprechende Definitionen müssen international festgelegt werden. Das ist ein Thema auf OECD-Ebene. Aber ich erwarte, dass einzelne Länder schneller reagieren und eigene Definitionen vorlegen.

Wie sieht es aus beim Schutz der Konsumenten vor potenziellen Gefahren? Man muss klar unterscheiden zwischen freien und strukturell gebundenen Nanopartikeln. Fix in andere Materialien eingebundene Teilchen sind kaum gefährlich. Anders sieht es bei freien Nanopartikeln aus, die via Atmung und Riechnerv in den Körper und ins Gehirn gelangen können und dort möglicherweise Schaden anrichten. Da gilt das Prinzip der Selbstverantwortung und Selbstkontrolle der Industrie. Der Staat muss allerdings mit Stichproben überprüfen und sicherstellen, dass die Verarbeiter diese Pflichten tatsächlich erfüllen.

Wie beurteilen Sie die Möglichkeit von freiwilligen Vereinbarungen mit der Industrie? Die Chancen stehen gut. Gerade an der Nanotechnologiemesse von letzter Woche in St. Gallen hat sich gezeigt, dass die Industrie in der Schweiz und den OECD-Ländern ein offenes Ohr für solche Anliegen hat. Denn letztlich wollen die Hersteller eine Stigmatisierung ihrer Produkte vermeiden. Weniger günstig dürfte es dagegen in den Schwellenländern aussehen.