Zum Business Lunch im Firmenrestaurant genehmigt sich Paul Bulcke ein Glas Rotwein. Und obwohl die Zeit drängt und der Nestlé-Boss viel zu erzählen hat, bezwingt er Salat, Filetsteak und Dessert ohne Probleme. Unter all den Wasser trinkenden Konzernchefs, die in ihrem Redeschwall das Essen vergessen, ist Genussmensch Bulcke eine Rarität. Nach der Nachspeise wundert sich der Gast ein zweites Mal: Zum Kaffee sind die hauseigenen Marken im Angebot. Aber statt sich einen edlen Nespresso aufbrühen zu lassen, greift Bulcke zu einem Nescafé-Glas, löffelt Instant-Pulver in seine Tasse und giesst heisses Wasser darüber. Nespresso wählen offensichtlich nur Neulinge.

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Morgens kommt er gegen 8.30 Uhr ins Büro, was er selbst «manchmal schon etwas spät» findet. Neun Kilometer liegen zwischen seinem Haus in Montreux-Territet und Vevey, dazu 24 Ampeln, morgens sind sie auf grüne Welle geschaltet. Sitzungen mit Bulcke beginnen nicht vor neun. Dafür arbeitet er in die Abende hinein – wenn er den Heimweg im BMW-X5-Geländewagen antritt, «blinken die Ampeln bereits». Was in der Westschweiz allerdings nicht erst um zehn beginnt, gesteht Bulcke grinsend zu. Bedarf, an seinem Image zu feilen, sieht er offensichtlich nicht. «Er führt den Konzern sehr überlegt, aber entspannt», sagt ein Kollege aus der Führungsspitze. Vontobel-Analystin Claudia Lenz bestätigt: «Bei Präsentationen argumentiert Bulcke zurückhaltend, aber sehr gezielt.»

Bei Nestlé gehört es zur Natur der Unternehmung, dass Bulckes Selbstbewusstsein zuvor kaum sichtbar wurde – vom CEO abgesehen, kultiviert der Lebensmittelriese ein «Low Profile»-Image der Führungskräfte und erwartet distinguierte Zurückhaltung. Genau das also, was Paul Polman nicht hatte. Bulckes Gegenspieler im Wettkampf um den CEO-Stuhl, ein proaktiver Kommunikator, war der Liebling der Finanzanalysten, und Blätter vom Aargauer «Sonntag» bis zum «Wall Street Journal» schrieben Polman die Favoritenrolle zu. Was Bulcke damals dachte? «Ich dachte: Spekulationen!», lacht er, der sich als Beobachter und zugleich Beteiligter in einer etwas «surrealen» Lage befand. Aber sein Glück sei nicht vom Sieg abhängig gewesen, versichert er – wer «seinen Erfolg an einer Endstation misst und nicht an der Reise», sich selbst und seine Karriere nur am Topjob definiere, «der konditioniert sich selbst zum Desaster». Sagt Bulcke, lächelt fein und nippt am Rotweinglas. Mit Standing Ovations feierte ihn das Management am Nestlé-Konzernsitz in Vevey, als er zum CEO und Delegierten des Verwaltungsrats ernannt wurde. Bulcke stehe für «weniger Sprüche und mehr Performance», sagt ein Kadermitglied, er lebe die Firmenkultur («wir versuchen für das Unternehmen da zu sein, nicht umgekehrt») wie kaum ein anderer. Einer der Ihren hatte es an die Spitze geschafft.

Bulckes «Reise» begann im belgischen Roeselare, als eines von sechs Kindern, «eine dieser grossen flämischen Familien», lächelt er. Schon wenige Monate nach seiner Geburt zieht die Familie weiter nach Oostende, Paul besucht das Onze Lieve Vrouwecollege, später die Universitäten Leuven und Gent, lernt hier seine Frau Marilène kennen, eine Physiotherapeutin. Auch sie hat fünf Geschwister, «es gibt also genügend Gründe, immer mal wieder nach Belgien zu fahren». Ausser einem Bruder in Los Angeles leben Bulckes nahe Verwandte noch alle in der Gegend. Flamen können feiern, und die Familienbande sind eng. Als Bulckes Mutter kürzlich 80 wurde, gab es wieder eine grosse Party.

Mobiler Mitarbeiter. Nach dem Studium, 1976 hatte er als Wirtschaftsingenieur diplomiert und anschliessend ein Postgraduate-Studium in Management angehängt, heuerte er als Finanzanalyst bei Scott Graphics in Bornem an. Aber er wollte raus, die Welt sehen. Ein Freund erzählte ihm, Nestlé suche mobile Mitarbeiter. Bulcke bewarb sich, 1979 stellte der Konzern seinen späteren Chef ein. Im Juni 1980 die erste Auslandstation: Peru. Nach wenigen Monaten trat der «Leuchtende Pfad» auf den Plan, eine maoistische Studentenbewegung, die Peru mit Terroranschlägen in den Bürgerkrieg trieb. «Es war nicht immer sicher, aber viel besser, als man von aussen gedacht hätte», stapelt Bulcke tief, faszinierend sei die Zeit gewesen, das Land von dramatischen Kontrasten geprägt. Auch Marilène wollte arbeiten, aber das stellte sich als zu schwierig heraus. Tochter Julie brachten sie mit, Sohn Pablo wurde drei Wochen vor dem Umzug von Belgien nach Peru geboren, Bart, mit heute 27 Jahren der Jüngste, kam in Lima zur Welt. Sechs Jahre blieben Bulckes dort. Es folgten Ecuador, später Chile – immer arbeitete Bulcke in Marketing und Vertrieb, leitete operative Einheiten, entwickelte Märkte, lernte die Stärken und Grenzen der Konzernmarken kennen.

Ihre prägenden Pubertätsjahre verbrachten die Kinder in Chile, dem europäischsten Land Südamerikas. Tochter Julie, eine Psychiatrie-Pflegefachfrau, fühlte sich so wohl, dass sie zurückkehrte und später ihren heutigen Mann kennen lernte. Pablo und Bart leben in Europa, beide gingen mit 18 nach Belgien und studierten an der Brüsseler Elitehochschule Solvay Wirtschaftsingenieurwesen – wie der Vater. «Eine langweilige Familie», sagt Bulcke selbstironisch. Seit Tochter Julie selbst drei Kinder hat, grinst er, lebe er «mit Grandma» zusammen.

Mentor Maucher. Früh wurde Helmut Maucher auf Bulcke aufmerksam. «Er hat überall erstklassige Arbeit geleistet», sagt der Nestlé-Übervater, der Bulcke gezielt in verschiedene Märkte schickte, damit er sich bewähren konnte. Seinen ersten Job als Länderchef bekam er in Portugal, es folgten Tschechien und die Slowakei, im Herbst 2000 der Ritterschlag: Bulcke wurde Chef des drittwichtigsten Marktes, Deutschland. Hier wartete ein nach Marken aufgeteiltes Konglomerat (Thomy, Herta, Maggi), die Firmenteile arbeiteten nebeneinander her. Bulcke sprach kaum Deutsch, als er anfing, leitete die ersten Sitzungen mit Händen und Füssen. Nun zeigte der freundliche Belgier seine konsequente Seite: Er schloss ein Maggi-Werk, strich Stellen in Verwaltung und Vertrieb und beerdigte jede vierte der rund 50 Konzernmarken. Trotz den Kürzungsorgien blieb es ruhig, die Gewerkschaften schätzen seine argumentative, verbindliche Art. Konzernintern gilt er als Teamplayer, «kommt eigentlich mit jedem gut aus», sagt einer, der dabei war. Wenn es allerdings darauf ankommt, schlägt er zu – «ein messerscharfer Analytiker», attestiert ihm ein Wegbegleiter, «ein Macher, kein Schwätzer», und wenn er «etwas als richtig erkannt hat, setzt er es fast kompromisslos um».

Zukunftsweisend baut er die Vertriebswege aus – in Tankstellen und Kinos, bei Lufthansa und Deutscher Bahn, Nestlé soll möglichst omnipräsent bei den Kunden sein. Heute verkauft der Konzern jeden Tag 1,2 Milliarden Produkte.

2004 stieg Bulcke ins Machtzentrum auf: Er übernahm die Konzernregion Nord- und Südamerika. Peter Brabeck, der Maucher 1997 als Konzernchef nachfolgte, arbeitete selbst eineinhalb Jahrzehnte in Lateinamerika. Noch heute sprechen sie oft spanisch miteinander. Der Belgier machte die «Americas» zur grössten und profitabelsten Region des Konzerns. Er integrierte Zukäufe wie den Eiscrèmehersteller Dreyer’s und leistete der neuen Konzernsparte Nutrition Geburtshilfe: Das Geschäft mit «Nahrung mit Zusatznutzen», etwa für Sportler, Babys, Senioren oder Klinikpatienten, wird nicht von den Regionalbossen geführt, sondern aus Vevey global gemanagt. Kritische Grösse erreichte das Business von Nutrition-Leiter Richard Laube allerdings erst mit den Übernahmen des Babynahrungsherstellers Gerber und der Novartis-Sparte Medical Nutrition. Beide stiessen 2007 zu Nestlé, und speziell auf Gerber war Nestlé schon seit mehr als zehn Jahren scharf. Dass die Schweizer sich die Firmen einverleiben konnten, daran hat Bulcke gemäss Konzerninsidern einen «wesentlichen» Anteil.

Bis hierhin eine ziemlich typische Nestlé-Karriere – «man kann die Welt und verschiedene Kulturkreise sehen, dort leben, Karriere machen», fasst Bulcke zusammen. Wer sich bewährt, steigt auf. Das lockt und kettet ans Unternehmen, viele erreichen bei Nestlé methusalemsche Dienstalter. Auch Bulcke «hatte nie den Wunsch zu wechseln». Doch auf einmal durchleuchtete der Verwaltungsrat mögliche Nachfolger für Peter Brabeck als Konzernchef. Er liess sie zunächst zu Einzelgesprächen antraben und wollte dann auch die Familien besichtigen. Die Ausscheidung konzentrierte sich auf Urgestein Bulcke und Neuling Polman. Der Finanzchef, von Markenartikler Procter & Gamble (Pampers, Gillette) geholt, hatte im Aussenauftritt mächtig gepunktet. Hinter den Kulissen war die Zahl der Anhänger überschaubarer. Nicht nur mit seiner nassforschen Öffentlichkeitsarbeit irritierte Polman die Verwaltungsräte – dass einer so offensiv Beziehungen nach aussen aufbaut und sich von dort via Artikel und Analystenstudien feiern lässt, war an sich schon suspekt. Aber der Holländer produzierte weitere Alleingänge. Aus Lieferantenkreisen wird kolportiert, Polman habe langjährige Partner rüde behandelt, statt Probleme auszudiskutieren, zackig Verträge gekündigt – ein Risiko im sensiblen Lebensmittelgeschäft. Der Rasierklingen-Mann eckte in Vevey kräftig an. In der Nestlé-Kultur stürmt ein Chef eben nicht voran und entscheidet alleine, hier werden Neuerungen breit diskutiert und dann von einem allgemeinen Konsens getragen. Verwaltungsräte fürchteten zudem, ein CEO Polman würde ihnen seine Ideen und Strategien nicht im Sitzungszimmer, sondern über Zeitungsinterviews vortragen. Intern soll Polman, wie ein Insider ätzt, noch intensiv versucht haben, «seinen Beliebtheitsgrad zu erhöhen». Letztlich hatte er keine Chance.

Brabecks grosser Schatten. Geschlossen stimmte der Verwaltungsrat für Bulcke – auch dank der diskreten Vorarbeit Helmut Mauchers. Der Ehrenpräsident spielte eine massgebliche Rolle bei der Besetzung; nicht offiziell natürlich, aber Beobachter berichten, Maucher habe seine hervorragenden persönlichen Drähte für die Gesprächsdiplomatie genutzt. Der Altmeister selbst dementiert das.

Polman blieb noch ein rundes Jahr und wechselte dann an die Spitze des direkten Konkurrenten Unilever, Marketingchef Lars Olofsson, der ebenfalls im Rennen war, ist heute Chef des zweitgrössten Detailhändlers der Welt, Carrefour (siehe «Die erfolgreichen Verlierer» unter 'Weitere Artikel').

Dass Bulcke zu seiner Ernennung so viel Applaus zuteil wurde, zeigt, wie Nestlé funktioniert: Es war ein Sieg der Tugend über den Glamour, und die Mitarbeiter goutierten das. Bulckes Wertekosmos – wir dienen dem Unternehmen, wir denken langfristig, wir tun Dinge nicht für den Moment, sondern aus tiefer Überzeugung – entspricht exakt jener Ethik, die Helmut Maucher der Nestlé eingepflanzt hat. Und diesem Credo folgen neben Bulcke mehrere hundert weitere Kader, die Maucher in seiner langen Zeit als Vorgesetzter aufgebaut und gefördert hat. In der aktuellen Konzernleitung stammen praktisch alle aus Mauchers Schule.

Ohnehin braucht es an der Seite von Peter Brabeck keinen weiteren Glamour-Beauftragten. Dem charismatischen Konzernpräsidenten wird nicht nur eine «raumfüllende Präsenz» attestiert, er gibt auch weiterhin die grossen Richtlinien vor. Inhaltlich ergänzt er daher Bulcke frappant. Der Belgier ist ein operativer, manche sagen, ein technokratischer Typ. Für ihn ist Erfolg «vor allem die Exekution hinter der Strategie». Seine Welt sind die Marken, die Zahlen und Abläufe. Folgerichtig betonte Bulcke, gerade CEO geworden, in der «Neuen Zürcher Zeitung», er wolle «vor allem die Gangart beschleunigen».

Maucher hat Nestlé gross gemacht, Brabeck dem Koloss, der nahezu zwei Prozent des Weltmarktes für verpackte Lebensmittel hält, eine steuerbare Organisation verpasst, Bulcke aber fehlt noch das grosse Projekt. «Er steht immer noch im Schatten von Brabeck», beobachtet Vontobels Nestlé-Expertin Claudia Lenz. Der Belgier müsse jetzt versuchen, «dem Konzern seinen Stempel aufzudrücken».

Pizza statt Wellness. Unter der Oberfläche ist allerdings einiges in Bewegung. Brabeck drängte den Konzern Richtung «Nutrition, Health and Wellness», erhob Nutrition zur Geschäftssparte und positionierte das Unternehmen mit diesem Schlagwort so spitz, dass Topmanager sich ständig fragen lassen mussten, ob Maggi-Saucen, Eiscrème oder Cailler-Schokolade noch zum expliziten Gesundheitsanspruch passten.

Bulcke setzt sanft, aber wahrnehmbar einen anderen Akzent: das klassische Geschäft. Der Belgier, beobachtet auch Lenz, «hat den Fokus stark auf Food und Beverages gelegt». So ergab es laut Bulcke Sinn, das Pizza-Business von Kraft Foods zu übernehmen: Nestlé verbreiterte sich in einem attraktiven Markt, hob Synergien, lastete ihre ohnehin vorhandene Kühlkette besser aus und konnte zu einem akzeptablen Preis akquirieren. Dass Analysten wieder nach der strategischen Stringenz fragten, das sei eben «deren Job», seufzt Bulcke, aber «wenn Sie in einen Raum voller Analysten hineinfragen, wer gern Pizza mag, gehen alle Hände hoch».

Dass ein CEO Brabeck in Pizza investiert hätte, bezweifeln einige Beobachter – denn mit gesunder Nutrition gibt es keine ersichtliche Verbindung. Bulcke allerdings definiert den Begriff so: Nestlé-Produkte sollen die Kunden «vom Frühstück bis zum Abendkaffee» begleiten und müssen sich daher dem Lifestyle anpassen. Nutrition sei «nicht wie Medizin», denn die schluckt man, egal, wie sie schmeckt. «Wir wollen im Gegenteil Nutrition in jene Speisen einbauen, welche die Menschen mögen.» Strategiedilemma gelöst.

Der Kontrast schimmerte sogar bei der jüngsten Generalversammlung durch. Während Brabeck den Aktionären in seinem Redetext mehrfach die Dreifaltigkeit von «Nutrition, Health and Wellness» nahebrachte, betonte Bulcke den klassischen Nestlé-Slogan «Good Food, Good Life». Der Belgier wird nicht vergessen haben, was ihm Brabeck via US-Magazin «Fortune» wenige Wochen vor der Übernahme des CEO-Sessels auf den Weg gab: Bulcke sei zwar ein hervorragender Mann, aber «müssten wir fundamentale Änderungen innerhalb kurzer Zeit vornehmen, wäre womöglich Polmans Persönlichkeit die richtige gewesen». Solche Änderungen brauche es derzeit nicht – und wenn, dann besorgt sie der Präsident selber.

Für die Schönheit essen. Vielleicht unter dem Eindruck, dass die Nutrition-Sparte derzeit weder ihre Wachstums- noch Gewinnvorgaben erreicht, hat Brabeck sein Zukunftsprogramm modifiziert. Neuerdings spricht er gern von «Well-being». Das tönt nach Rundum-Wohlfühlprogramm, welches auch die Beteiligung an L’Oréal sowie die gemeinsamen Töchter Galderma und Laboratoires Innéov einschliessen könnte. Auch hier gilt Brabeck als Befürworter eines neuen Weges, Bulcke eher als Skeptiker, der lieber das klassische Geschäft ausbauen möchte. Diskutiert werden intern auch Zwischenlösungen, etwa mit der Nutrition-Sparte näher in Richtung Kosmetik und Pharmazie zu rücken. In der Branche kursieren Schlagworte wie Nutricosmetics und Nutriceuticals: essen, um schöner zu werden oder gesund zu bleiben. Zwar liessen sich solche Schritte auch ohne L’Oréal machen, interessant wäre aber die ausgefeilte Logistik der Franzosen. Verschönerungsmittelchen müssen ganz andere Verkaufsstellen erreichen als Müesliriegel. Offiziell lässt der CEO zu L’Oréal nur verlauten, man habe «alle Optionen offen, etwas Besseres gibt es doch nicht».

Falls Bulcke eine andere Vision als Brabeck für Nestlé im Kopf hat, behält er sie für sich. Auf einen Machtkampf würde er es kaum ankommen lassen, glauben Insider. Ausserdem verstehen sich die beiden bestens, sind sportbegeistert und teilen weitere Interessen: Brabeck ist Gletscherpilot, Bulcke pilotiert im Fliegerclub Lausanne eine Piper. Brabeck reitet eine Harley-Davidson, Bulcke eine fette BMW, am liebsten am Sonntagmorgen, nachdem er Ehefrau Marilène versichert hat, nur schnell Brötchen zu holen. Beide besuchen gerne Musikfestivals. Auch geschäftlich, sagt Bulcke, «haben wir zu vielen Dingen ähnliche Ansichten». Er könne Brabeck jederzeit anrufen und finde in ihm einen guten Sparringspartner. Allerdings sei der «klug genug, nachts das Handy auszuschalten».

Derzeit funktioniert das Tandem. Auch wenn Architekt Brabeck die Konzernplanung selbst verwaltet, gibt es für Bauleiter Bulcke genug Arbeit. Die Konkurrenz wirft billige Kaffeekapseln auf den Markt, um der Cash Cow Nespresso das Pulver abzudrehen. Im Schokolade-Segment hat Nestlé seit je Probleme mit der Markenführung und ist nur im mittleren Preisbereich gut verankert. Obwohl Nestlé mit dem belgischen Nobelchocolatier Pierre Marcolini zusammenarbeitet, hat der Konzern bei der Schokolade nicht geschafft, was beim Kaffee (mit Nespresso und neuerdings Nescafé Dolce Gusto) gelang: der Sprung ins margenträchtige Premium-Segment.

Am anderen Ende der Skala muss Bulcke mit günstigen Lebensmitteln die Wachstumsmärkte aufrollen, vor allem in Asien, sagt ZKB-Konsumgüterspezialist Patrik Schwendimann: «Weil Nestlé dort mit einem Umsatzanteil von beispielsweise zwei Prozent in China noch klar unter dem Potenzial liegt». Gefährlich sind zudem die expansiven Eigenmarken der Detailhändler und die politische Debatte um Wasser in Plastikflaschen. Und in einem Konzern mit 450 Fabriken und 280  000 Mitarbeitenden, der praktisch jedes Land der Erde beliefert, gibt es immer etwas zu optimieren.

Paul Bulcke wird im September 56 Jahre alt, zwei Jahre erst ist er als Konzernchef im Amt – Helmut Maucher regierte Nestlé 16 Jahre, Peter Brabeck ein Jahrzehnt. Der Belgier hat also noch Zeit, «sein» Projekt zu finden. Entspannt genug, um zu warten, ist er jedenfalls.

Dirk Ruschmann
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