Irgendwann in den Fünfzigerjahren in einem Haus im zürcherischen Gossau. FDP-Kantonsrat Ernst Brugger, der spätere Bundesrat, und vier seiner Söhne haben sich versammelt. Über zwanzig Zugkompositionen schnurren über die Gleise und Weichen der Modelleisenbahn-Anlage. Ein Bub baut an den Gleisen, ein anderer behebt Kurzschlüsse, einer repariert Lokomotiven, und einer formt die Kuppen des Geländes.

Es ist die Erinnerung an das Bild einer Familie als natürlicher Arbeitsgemeinschaft, das Vater Ernst Brugger 1980 bei der Eröffnung der Modelleisenbahn-Ausstellung im Verkehrshaus Luzern in seine Ansprache einflicht. Seinen fünften und jüngsten Sohn – «Jöggi» genannt – erwähnt er nicht. Ernst A. Brugger, Jahrgang 1947, muss damals noch zu klein gewesen sein, als dass er hätte mitspielen können. Vermutlich schaute er aber dem leidenschaftlichen Tun zu. Sah, wie Züge in Tunnels verschwanden und wieder auftauchten. Wie Auffahrunfälle sich anbahnten und verhindert wurden. Sah Chaos und erkannte nach und nach Ordnung. Sah ein Netz von Schienen.

Das war einmal. Aus «Jöggi» ist Dr. Ernst A. Brugger geworden. «Ernst A. Brugger ist für mich Mister Network der Schweiz», sagt Thomas Bergen, Geschäftsführer der Luzerner Firma GetAbstract. Bis Ende Februar war Ernst A. Brugger Verwaltungsratsmitglied in Bergens Unternehmen, das im Internet Zusammenfassungen von Managementliteratur anbietet. «Wir haben durch ihn enorm profitiert. Dank ihm sind wir mit Leuten zusammengekommen, zu denen wir ohne ihn nie Zugang gehabt hätten», sagt Bergen. Ein anderer sagt: «Für mich ist er der kultivierteste Strippenzieher.»

Heute überblickt der 55-jährige Ernst A. Brugger mit seiner Beratungsfirma BHP Consulting von Zürich aus die Forschungs-, Verwaltungs- und Wirtschafts-Schweiz. Der gelernte Wirtschaftsgeograf wisse, sagen jene, die mit ihm arbeiten, Prioritäten zu setzen. Er sei teuflisch schnell im Denken und rasch im Umsetzen. Er stelle die richtigen Weichen. Seine Dienste sind entsprechend teuer – getreu dem gutschweizerischen Motto «Was gut ist, das kostet». Ernst A. Brugger, inzwischen selber Vater von zwei erwachsenen Kindern, rangiert, arrangiert und wird dabei unerlässlich. Er schaut nicht mehr bloss zu, verliert das Netz der Schienen aber dennoch nicht aus den Augen.

Ernst A. Bruggers Beziehungen sind erstklassig. Sie reichen vom Internationalen Roten Kreuz (IKRK), bei dem er «Membre» ist, über das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) bis nach Costa Rica in den dortigen Ableger der Harvard Business School. Leise beraten Brugger und seine dreissig Mitarbeiter akademische Einrichtungen, halböffentliche Institutionen wie die Suva, Grossunternehmen wie Swiss Re und Zurich oder private Gebilde wie Andreas Reinharts Volkart Stiftung in Winterthur. Ernst A. Brugger will keine Öffentlichkeit. Er ist kein Kommunikations-Zampano. «Ich bin Berater in Strategiefragen», sagt er.

Vater und Sohn haben als Lehrer begonnen
Umso ärgerlicher ist, dass die – wie er sie nennt – «harmonische Zellteilung» von seinem langjährigen Büroteilhaber, Christian Hanser, und das Nachrücken der neuen Partnerin, Barbara Rigassi, in den letzten Wochen für gehöriges Echo in den für ihn wichtigen Vorzimmern der Entscheidungsträger gesorgt haben. Studienkollege Hanser hat sich vor Jahresfrist unter dem Dach einer gemeinsamen Holding in eine eigene Aktiengesellschaft zurückgezogen. Rigassi, Chefbeamtin aus dem Seco, hat sich unlängst reichlich ungeschickt via Internet von den Ihren in Bundesbern verabschiedet. Sofort hat Stratege Ernst A. Brugger die Gefahr der Reputationskarambolage erkannt und reagiert: Er hat sich am 21. März in der Gessnerallee in Zürich allen geladenen Geschäftsfreunden erklärt. Es sind nicht wenige erschienen.

Ernst A. Bruggers formidables Beziehungsnetz basiert auf mehreren Ebenen. Die erste hat der Vater, Bundesrat und Volkswirtschaftsminister von 1970 bis 1978, kraft seiner Bekanntheit vorbereitet. «Jöggi» heisst wie sein 1998 verstorbener Vater Ernst. Sie seien sich in ihrem Wesen ähnlich, sagen diejenigen, die beide gekannt haben. Ausgleichend, diplomatisch, analytisch, motivierend, von einnehmender Höflichkeit, mit verschmitztem Witz. Vater Ernst war Sekundarlehrer in Gossau ZH, Sohn Ernst zuerst Primarlehrer in Zürich.

Nur ein Mittelinitial trennt den Sohn vom Vater. Und doch. Das A. kann für «anders» stehen. Ernst A. Brugger ist in den letzten Jahrzehnten einen eigenen Weg gegangen. Anders als andere Bundesratssöhne wie beispielsweise Eric Honegger (Sohn Fritz Honeggers, Bundesrat 1978–82), Rolf Ritschard (Sohn Willy Ritschards, Bundesrat 1974–83) oder Gilles Petitpierre (Sohn Max Petitpierres, Bundesrat 1945–61). Er hat weder ein politisches Amt gesucht – Rolf Ritschard ist Regierungsrat, Gilles Petitpierre Nationalrat –, noch hat er in der ersten Reihe der Wirtschaftsführer sitzen wollen wie Eric Honegger als Verwaltungsratspräsident bei Swissair und NZZ.

Von 1974 bis 1976 arbeitete Ernst A. Brugger im Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Biga) in der Regionalstelle für Wirtschaftsförderung in Bern, das heute im Seco aufgegangen ist.

Dies ist die zweite Beziehungsebene, und sie ist in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Spitzenpolitiker kommen und gehen, Chefbeamte und deren Stäbe jedoch bleiben. Im mittleren Kader fallen die Vorentscheide, wer welchen Auftrag, welches Mandat bekommen soll. Ernst A. Brugger kennt aus seiner Zeit in Bern diese einflussreiche Beamtenkaste. Durch das volkswirtschaftliche Zentralfeld Biga (oder Seco) laufen zudem die Interessenspuren anderer Bundesämter und Bundestäter: Hier treffen sich Spezialisten der Regional- und Raumordnungspolitik, des Tourismus, der Standort- und der Exportförderung, der Kultur. Das System ist fein verästelt und reicht weit hinauf in die Bundesberner Administration.

In diesen Zusammenhang versuchen Beobachter den Wechsel Barbara Rigassis von der Stelle als Bereichsleiterin Standortförderung des Seco zu Ernst A. Brugger zu stellen. Die ehemalige persönliche Mitarbeiterin von Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz und später von UBS-Chef Marcel Ospel ist mehr als zehn Jahre jünger als Ernst A. Brugger. Die aufstrebende Berner FDP-Politikerin wird Brugger neben viel Talent, Ehrgeiz und Wissen sicherlich jene Beziehungen auf Chefbeamtenniveau in Bern sichern, die er aus biologischen Gründen in den nächsten Jahren zu verlieren droht. Einige von Bruggers Berner Bekannten gehen oder sind bereits in Pension gegangen.

Forschen für die Nation
Titularprofessor Ernst A. Brugger ist ein Vertreter der seltenen Spezies, die auf privatwirtschaftlichem, behördlichem und akademischem Parkett gute Figur machen können. Die Tür zur Forschung hat sich ihm Ende der Siebzigerjahre geöffnet. Dem damals dreissigjährigen Wirtschaftsgeografen Ernst A. Brugger oblag die Leitung der Studien «Regionalprobleme in der Schweiz» (Nationales Forschungsprogramm, NFP 5), die erstmals detailliert Auskunft über die Regionalpolitik des Bundes gaben. In der Geschichte der nationalen Forschungsprojekte – alle naturwissenschaftlichen Arbeiten ausgeklammert – gilt NFP 5 bis heute noch immer als die umfangreichste Arbeit mit gegen hundert Einzelstudien. Elf Millionen Franken hat NFP 5 gekostet und von 1978 bis 1984 gedauert. Ernst A. Brugger verfasste die Synthesen und demonstrierte bereits damals eine seiner Stärken: das Zusammenfassen von Erkenntnissen und Meinungen, das Synthetisieren, das von ihm an Kongressen und Tagungen heutzutage gerne verlangt wird.

Von der Spitze des riesigen Werks NFP 5 aus lernte er das Land kennen wie kaum ein Zweiter. Heute kommt ihm dies entgegen, wenn er über seine Beraterfirma regionalpolitische Studien für Gemeinden, Kantone oder den Bund anbietet. Ob in Solothurn, Luzern oder Chur: Brugger und Hanser sind mit von der Partie, wenn es um die Reorganisation von Wirtschaftsförderungen oder um Tourismusfragen geht. «Ernst A. Brugger kennt jeden Winkel der Schweiz – dank der Nationalforschungsstudie in den Achtzigerjahren», sagt einer seiner Freunde. Ein früher Weggefährte, der keineswegs Werbung für Brugger machen will, meint: «Es gibt heute keinen besseren Kenner gesellschaftlicher, sozialer, politischer und ökonomischer Verhältnisse in der Schweiz als ihn.»

Mit Stephan Schmidheiny in Rio
Nach der Regionalpolitik fand Brugger sein zweites grosses Thema in der so genannten Nachhaltigkeit («Sustainability»). Er eröffnete sich dieses damals noch unmodische Kapitel mit einem zweijährigen Aufenthalt in Costa Rica. 1976 reiste er zusammen mit seiner Familie nach Lateinamerika und schrieb während der folgenden zweier Jahre seine Habilitation über integrierte Entwicklung, die er spiegelbildlich zur Thematik Regionalentwicklung der Schweiz angelegt sah.

Die Liebe zu Lateinamerika und zur Nachhaltigkeit war geweckt und wurde gar stürmisch, als er in den Achtzigerjahren für Stephan Schmidheiny zu arbeiten begann. Während zehn Jahren amtete er als Geschäftsführer und Delegierter des Verwaltungsrats von Schmidheinys Stiftung Fundes (Fundación para el desarrollo sostenible) von Niederurnen und Hurden aus. Brugger lernte Krethi und Plethi zwischen Mexiko und Feuerland kennen, und Señor Schmidheiny hatte seinen Señor América Latina gefunden. Fundes existiert noch immer und will KMUs in Lateinamerika fördern, ihnen Kredite und Bürgschaften gewähren, aber auch mitreden, wenn es ans Umsetzen der Ideen geht. Brugger selber unterhält heute in San José, Costa Rica, eine Filiale seiner Beratungsfirma.

Ernst A. Brugger bereitete mit weiteren Schmidheiny-Getreuen für den Patron den globalen Umweltgipfel von Rio 1992 vor. 1996 indes trennten sich Schmidheinys und Bruggers Wege. Von Abnützungserscheinungen war die Rede. Der inzwischen im glarnerischen Mollis wohnhafte Tausendsassa nahm mindestens zwei Währungen mit: ein grosses Thema und viele Kontakte. Zu seinem Schweizer Netzwerk hatte sich das globale gefügt.

Hinter den Gleisen
Mit 38 Jahren fühlte sich Ernst A. Brugger fit für die Selbstständigkeit. 1985 gründete er an der Lagerstrasse in Zürich sein eigenes Geschäft, zusammen mit Christian Hanser, ebenfalls Wirtschaftsgeograf. Brugger zog und knüpfte auf eigene Rechnung an seinem organisch gewachsenen Netz. Das Thema Nachhaltigkeit trieb und treibt er weiter mit dem jährlich wiederkehrenden, international superb besetzten Sustainability Forum Zurich. Da versucht Direktor Brugger schon einmal neue, zum Teil öffentliche Geldquellen anzuzapfen, indem er sein Kind nahe an die Standortförderung Greater Area Zurich heranführen will. In der von ihm präsidierten Sustainable Performance Group, Feusisberg, widerspiegeln sich ausserdem die Kontakte nach Deutschland. Der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg und heutige CEO von Zeiss Optic in Halle, Lothar Späth, ist ein Multiplikator. Bruggers Verwaltungsratskollege Späth erweitert dessen Netz gegen Norden und schafft zudem eine Verbindung zu Unaxis, wo er Verwaltungsratsmitglied ist.

Seine regionalen Kenntnisse der Schweiz brachten Ernst A. Brugger zuletzt einen Grossauftrag (Rahmenkredit: 0,5 Millionen Franken) der Eidgenossenschaft ein: Er soll seit letztem Sommer während zweier Jahre die aktuelle Regionalpolitik des Bundes überprüfen und neu konzipieren.

Damit nicht genug: Brugger ist Verwaltungsratspräsident des Beteiligungsunternehms Aventic und trifft sich dort mit Daniel Borel (Bank Julius Bär, Logitech-Mitgründer), Jürg Haller (UBS), Robert Lombardini (Dätwyler, Altdorf) oder Jacques Gonella (gemäss BILANZ-Reichstenliste 200 bis 300 Millionen Franken schwer). Ebenfalls als Verwaltungsratspräsident versucht Brugger nun den Turnaround beim Cateringunternehmen SV-Service und bei dessen Tochterfirmen in Zürich. Logisch ist Bruggers Mittun beim Schweizer Ableger des schwedischen Personalvermittlers Mercuri Urval. Coachingerfahrungen und persönliche Netzwerke gelten in dieser Branche als Schlüsselfaktoren. Brugger bringt sie als Verwaltungsratsmitglied ein.

Die Liste von Ernst A. Bruggers Aktivitäten, Kontakten und Engagements wäre beliebig fortsetzbar. «Herr Netzwerk» ist viel unterwegs. In Momenten aber, in denen auch ihm Zeit für Musse bleibt, schaut er vielleicht aus dem Dachgeschoss seines Zürcher Hauptquartiers. Dann blickt Ernst A. Brugger auf dieses Netz von Schienen. Die Gleise des Zürcher Hauptbahnhofs.

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