Der Sturm hat sich gelegt, die Wogen sind geglättet, die Entrüstung ist gewichen. Vermeintlich. Doch der Kompromiss um den Neuen Lohnausweis (NLA) macht niemanden wirklich glücklich. Der Geschäftswagen für den Privatgebrauch und gewisse Weiterbildungskosten müssen zwar versteuert werden, der Firmenparkplatz, die Jubiläumsgeschenke und das Halbtaxabo bleiben aber ausgenommen. «Wir haben einiges herausgeholt», rechtfertigt sich Marco Taddei, Vizedirektor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). «Wir warten jetzt erst einmal ab.»

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Müssen die Firmen von nun an jeden Gratiskaffee, jedes Mineralwasser an den Geschäftssitzungen, die Sandwiches für den Apéro, die Rabatte auf hauseigene Waren auf dem Lohnausweis der Mitarbeiter als Lohnbestandteil deklarieren? Ja, sagen die Steuerbehörden, sofern sie ein bestimmtes Mass überschreiten. Nein, sagen die Spitzenverbände der Wirtschaft wie der SGV oder Economiesuisse. Doch so ganz trauen sie ihren Worten selbst nicht.

Was gilt, bleibt so unklar wie je. Der Gewerbeverband gibt sich für den Moment moderat. Diplomatie ist angesagt. In einer Pilotphase zwischen April und Juni soll der NLA bei 150 Firmen getestet werden. Falls keine Friktionen auftreten, könnte er 2006 eingeführt werden. Zeigen sich schwer wiegende Probleme, müsste seine Einführung auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Nicht abwarten will man im Kanton Luzern. Am Vierwaldstättersee schlagen die letzten Wellen der Empörung hoch, und es weht noch ein raueres Lüftchen. Das Parlament hat dem Fiskus in einem Akt der Insubordination kurzerhand verboten, den NLA in Kraft zu setzen.

Widerstand formiert sich auch in Bundesbern. Eine Arbeitsgruppe der nationalrätlichen Kommission für Wirtschaft und Arbeit (WAK) forderte, dass der NLA bis 2007 aufgeschoben werde. Und FDP-Nationalrat Hans Rudolf Gysin verlangte von den Räten in einer parlamentarischen Initiative, dass das Dossier den Kantonen entzogen werde. Für den Chef der Wirtschaftskammer Baselland eröffnet der NLA nur eine weitere Frontlinie der staatlichen Bürokratie gegen die Wirtschaft.

Für Gysin ist offensichtlich, dass der NLA vorab die kleinen und mittleren Unternehmen teuer zu stehen kommt. «Der Fiskus», sagt er, «will sich neue Einnahmequellen erschliessen.» Was Erwin Widmer von der Schweizerischen Steuerkonferenz (SSK) nicht ganz abwegig findet. Fringe-Benefits wie SBB-Generalabo, Fitnessabo oder freier Zugang zum Golfclub müssten auf dem Lohnausweis eigentlich seit Jahren angegeben werden. Die Firmen tun es aber nicht. «Ein Zustand», sagt Widmer, «der mit dem Neuen Lohnausweis korrigiert werden soll.» Bis zu 3,5 Milliarden Franken, so lauten die Berechnungen, sollen zusätzlich in den Staatssäckel fliessen. Eine enorme Summe.

Auf die Firmen kommen mit dem NLA aber auch weitere Belastungen zu: höhere Lohnnebenkosten und ein grösserer administrativer Aufwand. Steigt mit der Lohnsumme nämlich das Steuersubstrat, so steigen auch die Beiträge an die AHV, Pensionskassen und die anderen Sozialversicherungen wie ALV oder NBU. «Das kann ins Tuch gehen», sagt Toni Brey, Direktor bei der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC). Gemäss Schätzungen summieren sich die Lohnnebenkosten auf weitere drei Milliarden Franken.

Dazu steigt der bürokratische Aufwand. «Wir werden zu Hilfssheriffs für die Steuerbehörden degradiert», moniert Gysin. Er befürchtet vorab einen riesigen Aufwand für das Erfassen aller Daten, die schliesslich im Lohnausweis Niederschlag finden. Für jeden Mitarbeiter muss ein Datenblatt «Fringe-Benefits» eröffnet werden. Kleine Firmen seien davon schlichtweg überfordert und hätten auch das Geld für die entsprechende Software nicht.

Der NLA ist nur eine weitere Schikane für die ohnehin schon bürokratiegeschädigten Firmen. «Die Bürokratie nimmt in allen Bereichen immer mehr zu», sagt PwC-Direktor Brey. Diesen Befund bestreitet nicht einmal der Bundesrat, oberster Hirte über die Schweizer Beamten. So schrieb er in einem Bericht über die «Massnahmen zur administrativen Entlastung in den Unternehmen» aus dem Jahr 2003: «Die gesetzlichen Vorschriften sind in den letzten Jahren meist nicht einfacher geworden.» Und Rudolf Walser, zuständig für die Wirtschaftspolitik bei der Economiesuisse, sagt dezidiert: «Es ist eine Sisyphusarbeit. Wenn irgendwo eine bürokratische Hürde fällt, wird anderswo eine neue aufgebaut.»

Zolldeklarationen ausfüllen, Statistiken für die Arbeitskräfteerhebung (Sake) und die Arbeitslosenversicherung bereitstellen, das Baugesuch in vierfacher Ausführung, die Sozialversicherungsabrechnungen und die Rückforderung der Verrechnungssteuer nicht vergessen, die Bewilligungen für die Wochenendarbeit einholen – die Firmenchefs arbeiten Monat für Monat stundenlang für die staatliche Administration. «Der Aufwand hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt», sagt Alexander Baumann, SVP-Nationalrat und Chef der Kreuzlinger Firma Rausch.

Derzeit zahlt die Schweizer Wirtschaft rund zehn Milliarden Franken für die administrativen Anforderungen von Bund, Kantonen und Gemeinden. Drei Milliarden verschlingen allein die Aufwendungen für die Sozialversicherungen, zwei Milliarden Franken gehen für die Steueradministration drauf – für den Versand der Lohnausweise, das Ausfüllen der Steuererklärung, die Abrechnung der Mehrwert- und anderer Steuern.

Doch dies ist bei weitem nicht alles. Die Überprüfung der Arbeitssicherheit in
einem Produktionsbetrieb mit 10 bis 15 Angestellten kostet rund 3000 Franken, weil der Beizug eines Spezialisten vorgeschrieben ist. Dessen Einsatz wird pro Arbeitnehmer und Jahr auf 2,25 Stunden festgelegt – bei einem Ansatz von 100 Franken pro Stunde. Beamtenwahnsinn pur.

55 Stunden arbeiten Schweizer Firmen im Durchschnitt für die wuchernde Bürokratie. Gemäss Angaben der Suva werden in der Schweiz für administrative Tätigkeiten jährlich 100 Millionen Stunden aufgewendet. In Baselland sind es pro Betrieb je nach Branche 80 bis 270 Stunden pro Jahr allein für die kantonalen Belange, wie eine Umfrage der Wirtschaftskammer ergeben hat.

Der Beamtenstaat fordert einen hohen Tribut, der vorab die kleinsten Firmen trifft. Pro Mitarbeiter und Jahr müssen die Mikrofirmen (1 bis 10 Angestellte) zwischen 4000 und 5000 Franken für Behördenarbeit aufwenden. Für grössere Firmen bis 50 Angestellte macht dieser Aufwand zwischen 1000 und 2000 Franken aus. Erst bei mittleren und grossen Unternehmen hält sich der administrative Overkill in Grenzen. Er fällt auf unter 1000 Franken pro Mitarbeiter und Jahr.

Für die Detailhandelskette Otto’s mit über 1000 Angestellten kein Problem. «Wir haben Erfahrung im Umgang mit den Behörden und machen das professionell», sagt Verwaltungsratspräsident Otto Ineichen, ein sonst heftiger Kritiker staatlicher Wucherungen. Er räumt zwar ein, dass die Regelungsdichte etwas abgenommen hat: «Aber das ist absolut minim.» Nur nehmen die bürokratischen Behinderungen in jüngster Zeit zum Teil groteske Formen an:

– die Mehrwertsteuer-Kontrollen: «Das Schlimmste sind die Mehrwertsteuer-Inspektionen», sagt Ineichen. Ihr Aufwand steht oft in keinem Verhältnis zum Ertrag. In einem Fall waren die Inspektoren zwei Wochen in der Firma und fanden gerade mal 3000 Franken, die nicht deklariert waren. Die Verfehlungen werden unnachsichtig mit Bussen und Nachzahlungen sanktioniert, inklusive Verzugszinsen. Die Kosten für eine solche Inspektion in der Höhe von 10 000 Franken kommen noch dazu. Über die Mehrwertsteuer wird in KMU-Kreisen am meisten geklagt. Der Dschungel von 2100 Seiten an Gesetzen, Verordnungen und Weisungen ist für den Normalbürger nicht mehr durchschaubar. «Die Firmen machen doch nicht mit Absicht Fehler bei der Mehrwertsteuer-Abrechnung», sagt Ineichen.

– die Betriebsbewilligungen: Zu absurden Resultaten führt etwa die sture Anwendung von Hygienevorschriften in den Betrieben. FDP-Nationalrat Markus Hutter hat in Winterthur eine Kette von Garagen. Bei einem Umbau verlangt das Arbeitsgesetz die Installation von mindestens zwei Duschen mit separaten Umkleidekabinen für Männer und Frauen. Kostenpunkt: mehrere tausend Franken. «Aber», so sagt Hutter, «das ist ein völliger Leerlauf. Niemand duscht heute noch im Betrieb.»

– die Baubewilligungen: Sie dauern nicht nur lange, sondern sind auch eine beliebte Spielwiese des Amtsschimmels. Garagist Hutter wollte eine gemauerte Wand durch Glas ersetzen. «Ich verstehe ja noch, dass es nicht irgendein Glas sein konnte», erzählt er. Kein Verständnis hatte er jedoch, als die Feuerpolizei zusätzlich auf dem Einbau einer Sprinkleranlage insistierte, die zuvor offenbar nicht notwendig war. «Bei den geringsten Änderungen wird alles überprüft, und das macht solche Investitionen extrem teuer», so Hutter.

«Viele Verwaltungsakte sind einfach unnötig», sagt KMU-Förderer Gysin. Er hat die Anliegen der KMU ernst genommen und im Kanton Baselland eine Förderungsinitiative gestartet, über die im Frühling abgestimmt wird. Im Nordwestschweizer Kanton sollen künftig alle Erlasse auf ihre KMU-Verträglichkeit überprüft werden. Ob es langfristig etwas nützt, ist eine andere Frage. Beim Bund jedenfalls haben bisher alle Anstrengungen nichts gefruchtet. Im Gegenteil: Die Gesetzesproduktion hat in den letzten Jahren exorbitant zugenommen. Verabschiedeten die Behörden in den sechziger Jahren noch durchschnittlich 1555 Seiten Gesetze und Verordnungen pro Jahr, so waren es in den Siebzigern und Achtzigern schon 2200 bis 2500 Seiten. Seit den neunziger Jahren dann lief die Gesetzesmaschinerie so richtig auf Hochtouren: 3400 Seiten im Jahresdurchschnitt.

Die gesteigerte Gesetzesproduktion löst weitere Behördenakte aus. Allein der Bund erteilt pro Jahr über 100 000 Bewilligungen. Hinzu kommen detaillierte Meldepflichten, zum Beispiel gemäss Giftgesetz, und Zulassungen, etwa zu den eidgenössischen Medizinalprüfungen oder als Handelsreisender. Bei der Einstellung von ausländischen Arbeitnehmern müssen bis zu fünf verschiedene Amtsstellen konsultiert werden – vom Amt für Wirtschaft und Arbeit über die Fremdenpolizei bis zum Steueramt. Kein Wunder, nimmt die Staatsverdrossenheit zu. In einer bisher unveröffentlichten Umfrage der Universität St. Gallen bei Ostschweizer KMU fühlten sich rund 58 Prozent vom Staat in ihrer unternehmerischen Freiheit behindert. Lediglich 43 Prozent dagegen erklärten, dass sie vom Staat ernst genommen würden. Fazit aus der von Urs Füglistaller im Aufrag der IHK St. Gallen Appenzell durchgeführten Umfrage: Die KMU wollen weniger administrativen Aufwand.

Dass der Beamtenstaat sich so breit machen kann, liegt für SGV-Vizedirektor Taddei an drei Schweizer Besonderheiten. Zum einen fördere der Föderalismus Doppelspurigkeiten von Bund und Kantonen, die nicht wegzubringen seien. Schlagendes Beispiel ist der andauernde Formularkrieg, bei dem die Firmen für diverse Amtsstellen dieselben Daten verschieden aufbereiten müssen. Hinzu komme der Schweizer Perfektionismus. Dieser tendiere dazu, die kleinsten Details zu regeln, was zu einer Flut von Anordnungen führe. Als dritte Besonderheit führt Taddei die Schwäche des Parlaments und die Macht des Beamtenapparats ins Feld. Allein für die Mehrwertsteuer seien 600 Beamte zuständig.

So wird unter bürokratischer Ägide sogar die Liberalisierung der Märkte zum Tummelfeld der Beamtenschaft. Die Öffnung des Arbeitsmarkts erfordert flankierende Massnahmen, die Lohndumping und andere Missbräuche verhindern sollen. «Dazu braucht es», so Taddei, «bis zu 150 Kontrolleure, um deren Einhaltung zu überwachen.» Der Beamtenstaat reproduziert sich selbst.