Dies sei «eine besondere Generalversammlung» für ihn, sagte Heino von Prondzynski im Swissôtel in Zürich Oerlikon zu den Aktionären. Denn «es ist meine erste als Präsident von Nobel Biocare». Dass es zugleich die letzte war, ahnte er damals, am 30. März 2011, nicht. Drei Monate später trat er mit sofortiger Wirkung vom Amt zurück.

Befriedigende Erklärungen für diesen ungewöhnlichen Schritt sind noch immer Mangelware. Zumal der Deutsche seinen Wunschkandidaten Richard Laube, einen früheren Roche- und Nestlé-Topmanager, als CEO zu Nobel Biocare holen konnte, zumal das Unternehmen nun ein Dreivierteljahr von einem Interimspräsidenten, dem Zürcher Staranwalt Rolf Watter, geführt werden muss – und Prondzynski, wie die «Finanz und Wirtschaft» verlauten liess, als Manager mit «hohem ethischem Anspruch» gilt. Als Deutung herumgereicht wird vor allem die Spaltung im Nobel-Verwaltungsrat. Seit längerem schwelt ein Konflikt zwischen zwei Gruppen in dem, bis zu Prondzynskis Rücktritt, achtköpfigen Gremium: auf der einen Seite die «Schweden», auf der gegenüberliegenden die «Schweizer», Letztere wahlweise auch «Profis» genannt.

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Die Front soll sich gebildet haben, als Laubes Vorgänger Domenico Scala mehr als 100 hoch dotierte Arbeitsplätze aus dem schwedischen Göteborg, wo Nobel Biocare den Ursprung hat, an den Konzernhauptsitz in Kloten transferierte. Auch die Absetzung des langjährigen Marketingchefs Robert Gottlander, der als Intimus der früheren Chefin Heliane Canepa gilt, sah die Schweden-Fraktion als Affront an. Die Luft in den VR-Sitzungen dürfte also ohnehin schon zum Schneiden gewesen sein und muss sich nach der letzten Generalversammlung, die auch für Prondzynski die letzte war, noch verschlechtert haben: Antoine Firmenich, bis dato Mitglied des Aufsichtsgremiums, wollte sich offensichtlich mehr auf seine private Firma konzentrieren und trat nicht mehr zur Wiederwahl an; damit waren von den zuvor fünf «Schweizern» nur noch vier übrig. Der frei werdende Sitz wurde nicht wiederbesetzt.

Pattsituation. So spielten die Verwaltungsräte von da an öfter «vier gegen vier». Offensichtlich konnte Prondzynski nur mit seiner präsidialen Doppelstimme, die ihm im Fall eines Patts zusteht, den Verwaltungsrat arbeitsfähig halten. Ein Konzernmanager berichtet von Einzelgesprächen, die Prondzynski mit allen Verwaltungsräten geführt habe; offenbar hat auch das Gremium insgesamt die Rolle des Präsidenten diskutiert. Prondzynski zog es schliesslich vor zurückzutreten, statt zu kämpfen und zumindest zu versuchen, die Streithähne im Verwaltungsrat mit härterer Hand auf Linie zu bringen – im Zuchtmeisterstil, wie ihn etwa Jürgen Dormann bei ABB pflegte. Zahnersatz-Präsident Prondzynski muss sich eine gewisse Beisshemmung vorwerfen lassen.

Das ist allerdings nicht die ganze Geschichte. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt: Prondzynski, abrupter Rücktritt, Verwunderung beim Publikum – so etwas gab es schon einmal. Beim Laborausrüster Tecan war Prondzynski, Verwaltungsrat seit April 2006, für das Präsidentenamt vorgesehen. Aber noch vor der Inthronisierung warf er, im Februar 2007, alles hin. Und die beiden Fälle weisen erstaunliche Parallelen auf. Bei Tecan war die Beteiligungsgesellschaft BB Medtech grösster Aktionär; Prondzynski, auch dort Verwaltungsrat, vertrat das Vehikel bei Tecan. Bei BB Medtech wiederum gab vor allem Martin Bisang, Mitgründer der Bank am Bellevue, den Ton an. Via Prondzynskis Promotion auf den Präsidentensessel bei Tecan wollte Bisang offensichtlich Kontrolle über das margenstarke Unternehmen gewinnen, das damals auch ein Aktienrückkaufprogramm zur Stützung des Börsenkurses auf den Weg gebracht hatte. Bisang hatte bereits im Vorfeld sein Anteilspaket am Tecan-Grossaktionär BB Medtech aufgestockt – und hätte damit vom erwarteten Kursanstieg profitieren können.

Prondzynski allerdings trat unerwartet zurück. Die Gründe blieben auch hier nebulös. Aber es ist kein Geheimnis in der Branche, dass sich Bisang und Prondzynski heute nicht mehr viel zu sagen haben.

So weit, so kompliziert. Aufschlussreich ist allerdings ein Satz im Bericht der «NZZ am Sonntag», die über den Fall schrieb: Die Beteiligungsgesellschaft, hiess es, suche in Tecan vermutlich «einen neuen Kurstreiber im Portefeuille, da die grösste Beteiligung, Nobel Biocare, fast ausgereizt scheint».

Scherbengericht. Tatsächlich erreichte die Nobel-Aktie am 10. April 2007, also nur gut zwei Monate nach Erscheinen des Artikels, ihr Allzeithoch von 90.75 Franken. Der Kurs sank danach schnell und nachhaltig, BB Medtech baute das Engagement in Nobel Biocare ab. Bisang persönlich soll allerdings noch ein grösseres Aktienpaket – unterhalb der Meldeschwelle von drei Prozent – halten; Insider sprechen von etwa 1,5 Millionen Papieren, das wären etwa 1,2 Prozent mit einem aktuellen Marktwert von 24 Millionen Franken. Nachweisen lässt sich das nicht: Nobel Biocare verweigert Auskünfte aus dem Aktienregister, Bisang selbst, der sich in den Ferien befindet, und seine Bellevue Gruppe waren zu keinem Kommentar bereit.

Trifft es zu, was ein Konzernmanager sagt, dann würde Bisang mit seinem restlichen Aktienpaket gern «noch einmal das gleiche Spiel mit Nobel spielen, wie es schon einmal unter Heliane Canepa geklappt hat»: Befeuert von viel Marketing und Rabattaktionen zum Quartalsende, pumpte Canepa viel Luft in den Börsenkurs – zur Freude der Aktionäre. Auch die Ex-Chefin soll noch ein grösseres Paket, im Wert von 22 Millionen, halten. Und im Verwaltungsrat von Nobel sitzt heute die ehemalige Medtech-Analystin der Bank am Bellevue, Daniela Hengartner. Sie gilt als Bisangs Brückenkopf in den Konzern.

Gut möglich, dass Prondzynski, der sich wie Bisang nicht äussern wollte, auch vor dieser Konstellation kapituliert hat. Zumal er bei der GV im März die mit Abstand meisten Gegenstimmen kassiert hat: auf den Präsidenten entfielen rund 1,5 Millionen Nein-Stimmen mehr als auf die anderen Verwaltungsräte.

Die Scherben zusammenkehren muss nun, neben Laube, vor allem der künftige Präsident Michel Orsinger. Er hat bereits Gaststatus im Verwaltungsrat. Laube und er kennen sich aus gemeinsamen Zeiten beim Konsumgüterkonzern Procter & Gamble; Laube soll dort zeitweilig Orsingers Chef gewesen sein. Ein erstes Treffen der beiden in Zürich sei harmonisch verlaufen, heisst es. Auch diese beiden waren nicht zu sprechen. Laube gilt als guter Marketingmann, der den verunsicherten Vertriebstruppen von Nobel wieder Selbstvertrauen implantieren kann. Orsinger kennt als Chef von Synthes die Medtech-Branche bestens und sass von 2004 bis 2006 schon einmal im Nobel-VR.

Beide muss das Ziel einen, den ent-eilten Konkurrenten Straumann einzuholen und den wachsenden Niedrigpreis-Markt für Zahnimplantate besser zu bedienen. Auf den wichtigen Märkten Deutschland und Brasilien, wo Nobel als schwach gilt, könnten zudem Akquisitionen zum Thema werden. Auch dann könnten beide Hand in Hand arbeiten. Laube sammelte bei Nestlé Erfahrung mit der Integration von Zukäufen – und Orsinger bringt von seinem goldenen Fallschirm bei Synthes bis zu 50 Millionen harte Dollar an Akquisitionswährung mit.

Dirk Ruschmann
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