Veit Dengler eilt durch die Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung. Sein Anzug flattert, er ist unerwartet weit geschnitten. Der Österreicher Dengler sieht einem Händler an der Wall Street ähnlich. Einzig die Hosenträger fehlen. Dengler (45) ist CEO der NZZ Mediengruppe. Er posiert für den Fotografen in der Redaktion der NZZ an der Falkenstrasse. Seit Mitte Januar macht er das öfters. Und er macht es nicht ungern, auch wenn er mahnend auf die Uhr blickt.

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Damals gab er bekannt, wofür ihn der Verwaltungsrat im Oktober als CEO vorstellte: Er werde investieren. Zehn Millionen Franken fliessen die nächsten zwei Jahre in den «Ausbau der Publizistik»: in ein neues Content-Management-System, neue Produkte in Verkauf und Marketing, die Neugestaltung des Newsrooms. Dort steht Dengler und sagt: «Es gibt keinen Weg zurück zur alten, heilen Welt. Das ist vorbei. Das müssen wir ganz klar sehen.» Denglers Zukunft ist digital, mobil, schnell, aktuell, und sie ist metergross an die Wand projiziert.

US-Unternehmenskultur für die «alte Tante»

Der Aufzug stoppt im vierten Stock. Schwere Türen, abgewetzter Teppich. Links ein kleines, schummriges, durch Dachschrägen halbiertes Büro. Hier residiert VR-Präsident Etienne Jornod. Zur Rechten Denglers Reich. Grösser, mit schwarzer Ledergarnitur und grauem Teppich. Die Zukunft der NZZ beginnt in atmosphärischer Vergangenheit. Dengler, der Mann für die Zukunft, ist geprägt durch die Straight-Forward-Kulturen der US-Unternehmen Procter & Gamble, McKinsey, Dell, Groupon. Dort verdiente er seine Sporen. «Ich bin jemand, der gerne anspruchsvolle Projekte hat», sagt Dengler. «Mir macht es Spass, schwierige Sachen anzugehen und sie zu bewältigen.»

Dengler bringt das Selbstbewusstsein des polyglotten Managers mit. Zuweilen wirkt er für die «alte Tante» NZZ allerdings zu selbstbewusst. Wenn er am Branchentreffen Dinge sagt wie: «Nicht hilfreich ist, dass wir eine Branche sind, die oftmals nicht ausreichend geschäftsorientiert ist und sich viel stärker über die ihr zugeschriebene Rolle der ‹vierten Gewalt› definiert», dann wird aus dem selbstbewussten Dengler in den Augen der altgedienten NZZ-Garde der Besserwisser Dengler – selbst wenn er recht haben mag.

Der Mann von aussen

Und als er in seinem Antrittsinterview in der NZZ erzählte, dass er als Journalist bei der Wende 1989 jede zweite Woche an einer Titelgeschichte für das «Time» Magazine mitgearbeitet habe – womit er etwas an der Wahrheit vorbeischrammte –, verflog die Vorfreude auf den Mann, der nach Jahren des Sparens bei der NZZ nun investieren soll. «Man muss auch Verständnis dafür haben, woher diese Stimmen kommen», sagt Dengler heute. «Wir sind eine Zürcher Institution. Wenn dann jemand ohne grossen Bezug zur Region kommt, dann tun sich einige vielleicht etwas schwerer damit.» Sagt es und tippt etwas in sein Smartphone.

Dengler ist Twitterer. Die Welt liest mit, was ihn bewegt, was ihn stört, wo er applaudiert. Denglers digitaler Beifall geht oft ins politische Österreich. Der NZZ-Chef zählt zu den Gründungsmitgliedern der Partei «Das Neue Österreich und Liberales Forum» (Neos). Die Partei zog im Oktober auf Anhieb in den Nationalrat ein. Der digitale Aktivismus kommt bei der NZZ nicht überall gut an. «Twitter ist ein zunehmend wichtiger Kommunikationskanal. Und eine meiner Aufgaben ist es zu kommunizieren», entgegnet Dengler, dem die NZZ keine Fesseln zu seinem Gezwitscher auferlegt. «Polo» Stäheli zwitscherte nie, postete nie, retweetete nie. Digital kann er nicht. Denglers Vorgänger war klassischer Kostenmanager. Sein Job ist getan: gespart und die Kasse gefüllt. Nun liegt es an Dengler, serbelnde Print-Erlöse mit künftigen Einnahmen im Online-Geschäft zu substituieren. Heute steuert der Online-Bereich erst zehn Prozent zum Umsatz bei.

Eigene Seilschaft 

Die NZZ wagt mit Dengler und Jornod ein Experiment mit Branchenfremden an der Spitze. Das ist mutig und eine Wette darauf, dass neue Kräfte mit unverstelltem Blick die schwerfällige Branche eher in die Zukunft führen können als altgediente Medienprofis, die ausgetrampelte Pfade nur schwer verlassen. Doch das Geschoss Dengler hinterlässt nicht selten verbrannte Erde. «Er lässt uns spüren, dass er wenig Vertrauen in die bestehende Mannschaft hat», sagt ein Kader. «Es mangelt an Wertschätzung», meint ein Zweiter. Und ein Dritter spricht von einem Wasserkopf, den Dengler in no time aufgebaut habe.

Die Unternehmensleitung hat er um zwei auf neun Mitglieder erweitert. An seine Seite beruft er keine erfahrenen Cracks, sondern junge, branchenfremde Berater, oft mit McKinsey-Hintergrund. Steven Neubauer holte er auf Mandatsbasis als Supporter für Strategieprojekte, bevor er ihn als Leiter Marketing und Produkte in die Unternehmensleitung beförderte. Der 37-Jährige sei dynamisch, eloquent und lasse mit sich reden, heisst es – und Denglers Einflüsterer. Laura Meyer betreut neu das Anzeigengeschäft, und Kai Eberhardt führt das Programm «E-Balance». Dem ehemaligen Henkel-Manager Frank-Rainer Nitschke übertrug Dengler die Einheit Neugeschäfte.

Dengler eckt an

Gefolgsleute zu installieren, ist ein üblicher Prozess. Gleichzeitig schaffe der Konzernchef mit der Platzierung seiner Beratergarde an den Schaltstellen aber eine Zweiklassengesellschaft, werfen ihm Kadermitarbeiter vor. «Man lässt uns mit subtilen Bemerkungen spüren, dass man nicht sehr gefragt ist», sagt ein Kadermann. «Das fehlende Vertrauen lähmt das Unternehmen.» Besonders in Verlag und Administration ist die Unsicherheit gross. Zerknirscht verabschiedete sich eine Reihe erfahrener Kaderleute. Digitalchef Peter Hogenkamp verliess die NZZ einen Monat nach Denglers Antritt, auch Markus Will (Lesermarkt) und Ruth Ellenberger (E-Balance) dankten ab. Dem Vernehmen nach führte Denglers Stil zu Friktionen.

Dabei gibt sich Dengler durchaus Mühe, einen Draht zur NZZ-Garde zu finden. Er organisiert Breakfast Talks mit der Redaktion, informiert die Belegschaft mit E-Mails. Einen Tag nach seinem Antritt schrieb er den 1500 Angestellten: «Ich wünsche mir für die NZZ Mediengruppe eine Kultur des Vertrauens, indem wir uns jeden Tag konstruktiv kritisch mit unserem Unternehmen auseinandersetzen und partnerschaftlich, frei von Angst und mit Spass an der Sache daran arbeiten.»

Zielland Österreich

Das scheint bislang nur bedingt zu klappen. Dengler gehe das Zwischenmenschliche ab und er lasse als Branchenfremder die NZZ-Mannschaft ab und an ratlos zurück, sagen NZZ-Leute. Etwa dann, wenn er in einer Diskussion über den NZZ-Newsletter erklärt, dass man Kunden täglich problemlos mehr als zehn Mal bemailen könne. Das sei eine Erfahrung aus seiner Zeit beim Schnäppchenportal Groupon. Ein anderes Mal liess er ein Kadermitglied irritiert zurück, als er die Produktpalette der Konkurrenz nicht kannte. Und der Produktmanagerin rechnete er vor, dass das sechswöchige Schnupper-Abo für die «NZZ am Sonntag» Geldverschwendung sei – obwohl das ein übliches Akquiseinstrument ist.

Und jetzt also Österreich: «Als ersten Schritt für eine verstärkte Präsenz im deutschsprachigen Markt wird die NZZ in Österreich ein Projekt für ein hochwertiges journalistisches Produkt lancieren», stand zuletzt kryptisch in der Medienmitteilung zum Jahresergebnis. Mehr gab es gleichentags in einem Interview mit Dengler in der österreichischen Tageszeitung «Der Standard» zu lesen. Konklusion: auf dem überschaubaren österreichischen Markt Erfahrungen für die Expansion ins grosse Deutschland sammeln. Unter österreichischen Entscheidungsträgern spielt die internationale Ausgabe der NZZ gemäss neusten Befragungen keine Rolle. Sie hat hinter allen österreichischen Titeln auch eine geringere Reichweite als «Frankfurter Allgemeine» und «Süddeutsche».

Plan B: in die Politik

Dengler, der unbekannte, smarte Dynamiker, mischt die Medienbranche auf. Noch haben seine Vorschläge etwas Handgestricktes. Doch er kann nur gewinnen. Gelingt ihm die Transformation, ist er der Pionier – wenn nicht, tritt Plan B in Kraft. «Veit Dengler steht noch nicht auf meiner Ministerliste für die nächsten Jahre. Aber längerfristig rechne ich mit ihm», sagt Neos-Chef Matthias Strolz. Die politische Karriere ist vorgespurt.

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