Das Pult ist genauso aufgeräumt wie seine Stimmung. Auf dem Holzschreibtisch des Oerlikon-CEO verlieren sich einige Blatt Papier in Sichthüllen, und da sei «nichts Interessantes dabei», grinst Hans Ziegler zur Begrüssung. Hier, im Industriegebiet von Pfäffikon SZ, tüftelt er über die Rettung des OC-Oerlikon-Konzerns: Hans «der Sanierer» Ziegler. Zuvor Mitglied des Verwaltungsrats, amtet er seit Ende August zusätzlich als CEO.

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Der Mann gilt als Brachialsanierer. Den Ruf erarbeitete er sich mit dem Zerlegen des Elektrohändlers Interdiscount und der Autohandelsgruppe Erb, seinen spektakulärsten Mandaten. Weniger bekannt ist, dass Ziegler mehrere Firmen vor dem Untergang bewahrte, etwa den Logistikspezialisten Swisslog – mit einem sehr ähnlichen Programm, das er nun den Oerlikon-Gläubigern aufzwingen will: Die kreditgebenden Banken und Grossaktionär Viktor Vekselberg sollen bluten.

Drahtbürste im Streichelzoo. Ziegler verlangt, dass die Kreditzinsen gesenkt und die Fälligkeiten verlängert, dass Kredite in Oerlikon-Aktien gewandelt werden, schliesslich das Aktienkapital drastisch gesenkt wird, was den Wert der Beteiligungen dezimiert. Dann soll eine Kapitalerhöhung wieder Geld in die Kasse spülen; finden sich zu wenige Interessenten, übernimmt Vekselbergs Investmenthaus Renova die neuen Aktien. Dazu hat sich der Russe verpflichtet. Diese Lösung sei «gut für die Firma», sagt Ziegler, zumal sie «für alle Stakeholder tragbar ist und alle Parteien Federn lassen müssen».

Dass via eine «Indiskretion im angelsächsischen Raum» Details des Vorschlags bekannt wurden, dürfte die Banken mehr geärgert haben als den Oerlikon-Boss. Nun stehen die Geldhäuser im Fokus – verweigern sie Zugeständnisse, werden sie zu Buhmännern, hinter denen selbst grosse Shareholder wie Vekselberg und Ronny Pecik in Deckung gehen können. Dass Oerlikon selbst das Informationsleck lanciert hat, weist Ziegler von sich. So etwas erschwere doch nur die Verhandlungen, und dass Banken auf öffentlichen Druck reagierten, das könne nur jemand vermuten, der nie mit Banken verhandelt hat. Tatsächlich? Jedenfalls, sagt einer von Zieglers Wegbegleitern, sei der Mann «mit allen vorstellbaren Wassern gewaschen, wenn es um das Erreichen seiner Ziele geht». Und hart genug, um bei Oerlikon aufzuräumen.

Tatsächlich fegt Ziegler den «Streichelzoo» in Pfäffikon mit der Drahtbürste aus. Der strebsame Ex-Chef Thomas Limberger hatte sich zum Imperator einer «europäischen General Electric» hinaufgeträumt und dem Oerlikon-Konzern für teures Geld die doppelt so grosse Saurer angeschnallt – die in der aktuellen Wirtschaftskrise darbt und in der Firmenbilanz viel zu hoch bewertet ist. 1,8 Milliarden Franken Nettoschulden lasten heute auf dem Unternehmen. Dem Ikarus Limberger folgte der Zauderer Uwe Krüger, ein promovierter Physiker. Er gilt als fachlich versiert und pries sich vor Investoren gern als Mover und Shaker, im Oerlikon-Kommandostand versagte er jedoch als Problemlöser. Den Konzernteil Esec verkaufte er zu spät und damit zu einem schlechten Preis, operative Schwächen packte er zu zögerlich an, die Finanzierungsprobleme ohnehin. Weitgehend unbehelligt liess er auch die mit Stabsmitarbeitern überfüllte Firmenzentrale. Krüger wirkte zeitweilig wie gelähmt. Feuerwehrmann Ziegler («mir liegen solche Projekte») will nun Oerlikons Abschmieren in ein Nachlassverfahren abwenden.

Wenig Begeisterung. Bald nach Krügers Abgang trennte sich Ziegler von der Chefin der Solarsparte, Jeannine Sargent. Sie galt nicht nur als Vertraute von Krüger – was allein schon ein Problem ist für einen wie Ziegler, der sich gern selbst mit Vertrauten umgibt. Sargent musste zudem nach Krügers Abschied die Wachstumsaussichten ihrer Sparte in südliche Richtung korrigieren. Und dass Oerlikon einen Auftrag an den chinesischen Konkurrenten First Solar verlor, weil die Oerlikon-Solarmodule offensichtlich punkto Energieausbeute nicht mithalten konnten, gereichte der Spartenchefin ebenfalls zum Nachteil.

Auch die Beratungsfirma Bain, bei Oerlikon mit einer Art Dauermandat aktiv und enger Sparringspartner von Krüger, bekam Zieglers Eisenfaust zu spüren. «Nur noch für ausgewählte Einzelprojekte» ziehe er Berater hinzu, bescheidet Ziegler: «Wir müssen unser Geschäft selber am besten können, sonst sind wir die falschen Leute.»

Nicht alle Banken sind von Zieglers Vorschlag begeistert, einen Grossteil ihrer Forderungen in den Wind zu schreiben, wie Insider berichten. Beteiligt sind mittlerweile 26 Finanzhäuser, darunter auch Private-Equity-Firmen, die gegen einen Discount von 30 Prozent den Banken Teilschulden abgekauft haben. Intensive Verhandlungen, die führend von Ziegler und Oerlikon-Finanzchef Jürg Fedier bestritten werden, gebe es mit sechs Häusern, die den Kern bilden; darunter die Syndikatsführerin Citigroup, die Commerzbank und die niederländische ING. Deadline für die Gespräche soll Anfang des kommenden Jahres sein.

Dass Ziegler das Spiel beherrscht, zeigt sich an seinem Schachzug, vorerst keine Konzernsparten abzustossen. Damit bleibt ein «fire sale», ein Notverkauf, als Drohkulisse den Banken gegenüber erhalten. Muss Ziegler zum Bedienen der Kredite Tafelsilber wie die Beschichtungssparte Balzers versilbern, liesse sich im derzeitigen Konjunkturtief kaum ein attraktiver Kaufpreis erzielen. Ausserdem: Je weniger Substanz im Unternehmen bleibt, umso uninteressanter wären die Aktien, die später gezeichnet werden sollen. Interesse ist jedoch vorhanden; insgesamt gingen nahezu 150 Anfragen ein, als bekannt wurde, dass Oerlikon sämtliche Sparten auf den Prüfstand stellt.

Auch aus Gründen des Selbstschutzes dürfte Ziegler einem Verkauf skeptisch gegenüberstehen. Denn eines will Ziegler auf gar keinen Fall: als Äffchen des Oligarchen gelten. Das verbindet ihn mit Sulzer-Präsident Jürgen Dormann. Beide sind auf dem Vekselberg-Ticket in ihre Positionen gerückt, aber beide bemühen sich angestrengt, Unabhängigkeit vom Grossaktionär zu demonstrieren. Und da es als Vekselbergs Wunsch gilt, mit einem Transfer von Balzers an Sulzer deren Cashreserven abzuschmelzen, um damit Oerlikon etwas Luft zuzufächeln, kann dieser Verkauf auf der Wunschliste von Ziegler und Dormann nicht weit oben stehen. Beide hatten mehrfach Kontakt und haben sich auch persönlich getroffen, Dormann ist nebenbei Advisor der Private-Equity-Firma Blackstone, die gemäss Insidern wiederum Oerlikon berät. Ausserdem hat Dormann, weitgehend unbeachtet, dem Sulzer-Verwaltungsrat einen «Strategieausschuss» hinzugefügt. Hier hat er den Interimspräsidenten Luciano Respini und Vekselbergs Vertreter Kuznetsov eingebunden und kann geräuschlos Entscheide vorspuren, die der Verwaltungsrat nur noch abzunicken hat. So etwas nennt man Ruhigstellen durch Umarmung.

Hans Ziegler hat einen direkteren Ansatz. Mit Kuznetsov soll er aneinandergeraten sein, weil der Krüger zu lange habe werkeln lassen. Bei der Gratiszeitung «.ch» stieg er als Verwaltungsrat nach wenigen Monaten wieder aus – er selbst schweigt zu den Gründen, aber ein Insider berichtet, Ziegler habe längst am Geschäftsmodell gezweifelt und sich daran gestört, dass der Verwaltungsrat «blind dem Gründer Sacha Wigdorovits hinterherlief». Sechs Monate nach Zieglers Abgang verliess Wigdorovits die Zeitung, die verbliebenen Verwaltungsräte, darunter zwei gestandene Verleger, positionierten das Gratisblatt neu.

Ziegler polarisiert. Ein ehemaliger Kadermann von Charles Vögele beschreibt Ziegler als «sehr überlegt und professionell», er habe immer prompt auf Anfragen reagiert, nie abgehoben oder arrogant gewirkt – ein anderer hält ihn für «eiskalt». Zwei ehemalige Saurer-Topmanager, die ihn aus Zeiten des Machtkampfs zwischen Saurer und dem Hedge Fund Laxey gut kennen, kommen zu gegenteiligen Ansichten: Einer sagt, er traue Ziegler zu, Oerlikon zu retten. Der andere ist skeptisch, Ziegler habe bereits bei früheren Mandaten nicht immer geglänzt: Beim Maschinenbauer Schlatter etwa sei «jetzt eine Notübung angesagt», und die Erb-Gruppe habe Ziegler «zu früh und zu unbedarft zerschlagen».

Beim Thema Erb ändert sich Zieglers Körpersprache im Gespräch sichtbar. Danach hat ihn offensichtlich lange niemand mehr gefragt. Er rückt etwas ab vom runden Besprechungstisch, lehnt sich zurück und schlägt die Beine übereinander, die ganze Haltung eine einzige Frage: «Was soll das?»

Kein Historiker. Bitterkeit schwingt mit, wenn Rolf Erb über die Liquidation der Gruppe spricht, die sein Vater so lange dominierte. Er selbst will als «Aussenminister» keinen Einblick in die verqueren Finanzbeziehungen innerhalb der Gruppe gehabt haben. Ziegler habe hingegen, gerade mal eine Woche nach seiner Einstellung, «den Banken empfohlen, ohne vorher mit mir oder meinem Bruder gesprochen zu haben, ins Nachlassverfahren zu gehen», und habe später viele Teile viel zu billig verkauft. «Wir fühlten uns getäuscht», sagt Erb. Er unterstellt, Ziegler habe sich an den Erbs rächen wollen, weil Hugo Erb sich auf die Seite von Denner-Gründer Karl Schweri gestellt hatte, als Zieglers damaliger Arbeitgeber Usego im Abwehrkampf gegen Schweri steckte. Als dieser gewann, habe Ziegler seinen Job verloren. – Dass es diesen Zusammenhang gibt, bestreitet Ziegler: Ein Headhunter habe ihm den Job bei Globus angeboten, und er habe selbst gekündigt. Er wundere sich «immer wieder, wie viele falsche Dinge verbreitet werden». Und über Vergangenes wolle er grundsätzlich nicht reden: «Ich bin kein Historiker.»

Nicht, dass Ziegler inhaltlich besorgt scheint, etwas falsch gemacht zu haben – aber dass ihn das Thema ziemlich nervt, lässt er durchblicken. Und wenn ihm, der selbst frei von Ornamenten, geradezu preussisch kommuniziert, einer zu lang oder zu weitschweifig redet, bilden sich auf der Stirn schon mal Falten der Ungeduld. Zumeist ist Hans Ziegler aber ein angenehmer, bisweilen charmanter Gesprächspartner – und wenn er erzählt, wie sich sein elfjähriger Sohn Flavio, das jüngste seiner fünf Kinder, kürzlich auf einer englischsprachigen Konferenz schüchtern den Teilnehmern als «child of Hans Ziegler» vorgestellt hat, da steigt ein Leuchten in seine Augen.

Das Private nimmt bei Ziegler, den viele als Workaholic beschreiben, derzeit womöglich einen breiteren Raum ein als auch schon. Mit den Kindern unternimmt er viel. Und an den Wochenenden, wenn er nicht mit seiner «kleinen Fan-Runde gesetzter Herren» ein Spiel des FC Zürich schaut, düst er oft zu seiner zweiten Frau Ivonne nach Calw im Schwarzwald, wo sie als Bilanzbuchhalterin arbeitet. Bevorzugt besteigt er dazu seinen Aston Martin Vantage, der den Vortrieb seiner acht Zylinder «mit einem hauseigenen Getriebe» der Oerlikon-Tochter Graziano auf die Strasse bringt; darauf legt Ziegler Wert. Für den täglichen Arbeitsweg von Walenstadt nach Pfäffikon hat er einen Audi Kombi.

Wenn die Banken auf Zieglers Sanierungsplan einschwenken, wird er sich wieder in den Verwaltungsrat zurückziehen. Ein Wachstumsmanager, den der Konzern dann braucht, ist Ziegler nicht, das ist ihm bewusst. «Lähmung überwinden» in einem paralysierten Umfeld, das ist seine Begabung, und «wer alles kann, ist in allem nur Durchschnitt». Deshalb läuft die Suche nach einem neuen CEO bereits auf Hochtouren. Als interner Kandidat gilt der operative Leiter, Thomas Babacan. Dem jungen Deutschen unterstehen sämtliche Geschäftsdivisionen. Zuvor hatte Kuznetsov die Solarsparte noch direkt an sich berichten lassen.

Dirk Ruschmann
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