Die laufende internationale Steuerreform hält Konzernchefs auf Trab. Als der Präsident eines Schweizer Konzerns für Elektrotechnik kürzlich bei einem Nachtessen mit Journalisten die Sorge äusserte, man werde mit der Reform steuerlich stärker zur Kasse gebeten, wusste er nicht, dass die Reformpläne schon geändert worden sind. Zudem: Sein Konzern fährt besser als gedacht – und mit ihm die ganze Schweiz.

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Hintergrund ist: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) arbeitet an einer Steuerreform. Ihr Steuerchef Pascal Saint-Amans hat dabei mit zwei Reformvorschlägen viel Unmut auf sich gezogen. Er arbeite in die Hände der Entwicklungsländer und mache wenig für Industrieländer, lautet die Kritik. So wird Saint-Amans von mächtigen OECD-Mitgliedern kritisiert – darunter die USA, Deutschland, die Niederlande, Schweden und die Schweiz.

Die USA fürchten, dass Silicon-Valley-Firmen höher besteuert werden. Die Europäer glauben, die Reform würge das Wachstum ab. Und gar Frankreich hat Vorbehalte geäussert, obwohl es mit einer Digitalsteuer selbst Druck macht.

Vor allem Erträge aus Markenlizenzen und Patenten müssen wohl künftig anders versteuert werden.

Kern der Reform ist, dass es als unfair erscheint, wenn Konzerne mit Sitz in Tiefsteuerländern einen schönen Teil der Gewinne nicht dort versteuern, wo sie sie erzielen – nämlich in den Absatzländern.

Beispiel Airbnb: Der US-Anbieter kassiert für in der Schweiz getätigte Buchungen eine saftige Servicegebühr. Den Gewinn daraus versteuert er aber nicht hier, sondern am Tiefsteuersitz in Dublin. Vergleichbares gilt für Netflix, Youtube, Spotify, Facebook oder Amazon.

Deshalb will die OECD das Steuerrecht ändern. Ein grösserer Teil der Gewinne soll in Absatzländern versteuert werden – und nicht mehr am Hauptsitz, wie dies heute der Fall ist. Vor allem Erträge aus Markenlizenzen und Patenten sind im Visier.

Die Steuerreform wird abgespeckt

Mitte Oktober präsentierte die OECD den mittlerweile dritten Reformvorschlag. Er erscheint im Vergleich zu den bisherigen Ideen stark abgespeckt. Erstens sollen nur noch Konzerne mit einem Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro betroffen sein. In der Schweiz wären dies laut Bund etwa 200, laut der Steuerberaterin PwC etwa 300 Firmen, wenn man ausländische Multis mit wichtiger Präsenz (zum Beispiel Europa-Asien-Hauptsitze) dazuzählt.

Zweitens: «Voraussichtlich werden nur auf Massenkonsum orientierte Unternehmen mit einer hohen Rendite von den neuen Regeln betroffen sein», sagt ein Verhandlungsteilnehmer gegenüber der «Handelszeitung». Im Fokus stehen Firmen mit starken Marken und einem Marketing, das «sehr einfach aus der Distanz bewerkstelligt werden kann», wie es im OECD-Paper heisst.

185 Steuerstreitfälle

In welchem Land muss ein Konzern Steuern zahlen? Zwar gibt es Doppelbesteuerungsabkommen. Aber immer mehr Länder lancieren Klagen gegen die Schweiz, derzeit sind es 185. In 15 Fällen geht es um 20 bis 100 Millionen Franken Gewinn.

Das Kürzel BEPS steht für die Bekämpfung unfairer Steuervermeidungsmethoden von Konzernen. Dafür gibt es Empfehlungen der OECD. 134 Teilnehmerländer, darunter die Schweiz, haben sich verpflichtet, diese in ihren Ländern umzusetzen.

Mehr Steuern sollen aber auch Firmen berappen, die aus der «Sammlung und Auswertung von Kundendaten» Gewinn erzielen, heisst es im Paper weiter. Damit gemeint sind nicht nur Google oder Facebook, sondern etwa auch Online-Händler wie Zalando. «Damit soll der Digitalisierung und den neuen Geschäftsmodellen Rechnung getragen werden», meint ein OECD-Vertreter, «ohne die Innovation und Startups zu behindern.»

Welche Branchen sind betroffen?

«Tangiert sind insbesondere die Pharma- und Luxusgüterindustrie, aber auch weitere Firmen, vor allem solche mit starken Marken», sagt KPMG-Steuerexperte Olivier Eichenberger. In der Schweiz erfüllen Pharmakonzerne wie Novartis und Roche diese Kriterien, ebenso etwa Nestlé, Swatch Group, Richemont und Victorinox.

Eher aufatmen können dagegen Exporteure wie ABB, Ems-Chemie oder Stadler Rail. «Tendenziell dürften Unternehmen, die im Firmengeschäft tätig sind, nicht oder weniger stark tangiert sein», analysiert Armin Marti, Steuerexperte bei PwC.

Im Paper werden auch Branchen genannt, die von der Reform verschont werden sollen: Rohstoffhändler und möglicherweise Banken. Warum? Firmen wie Glencore zahlen schon heute viel Geld für Abbaulizenzen in Entwicklungsländern.

Das heisst: Ein Teil des Gewinns wird bereits heute lokal abgeschöpft. Würden Industrieländer auf dem Reformprinzip beharren, Gewinne stärker in den Absatzländern zu besteuern, könnten diese Royalties unter Druck geraten.

ABB glaubt, dass neue Regeln zu zusätzlichen Steuerbelastungen führen könnten. Swatch Group rechnet nach und kommt zu einem anderen Schluss.

Und Banken? Sie zahlen schon heute in ihren Absatzländern Steuern, denn sie sind lokal reguliert und weisen Gewinne lokal aus. Deshalb gebe es bei ihnen weniger zu holen als bei Internetdienstleistern, sagt Marti.

Novartis und Nestlé äussern sich nicht zu Folgen der Reform für sie. ABB glaubt, dass neue Regeln zu zusätzlichen Steuerbelastungen führen könnten. Das OECD-Paper sei aber noch zu vage für eine klare Aussage.

Swatch Group glaubt nicht, dass sie in Absatzländern stärker zur Kasse gebeten wird: «Bei der Hypothese eines gleichbleibenden Verkaufsmixes würde sich die internationale Steuerbelastung von durchschnittlich 23,5 Prozent aus heutiger Sicht nicht gross verändern.»

Die «Überrendite» soll verteilt werden

Abenteuerlich scheint die neue OECD-Definition einer Überrendite, die sich Absatzländer wie eine Beute untereinander aufteilen wollen. Eine Formel und Benchmarks sollen das «Zuviel» an Gewinn bestimmbar machen. Dieser «Übergewinn» würde dann beispielsweise innerhalb der Novartis von Basel nach Indien verschoben, um ihn dort zu versteuern. Juristisch wasserdicht ist das nicht.

Konflikte wären programmiert. «Nach welchem Schlüssel solche Übergewinne zuzuweisen sind, ist offen», bestätigt Eichenberger von der KPMG.

Die Konsultation zum OECD-Paper läuft bis November. Etliche erwarten bereits eine vierte Variante.

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BERN, 14.8.2019. Andreas Valda, Redaktor Handelszeigung. Foto: Daniel Rihs / 13 Photo
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