Pech gehabt, denken die Kunden, wenn sie einen Artikel ihrer Einkaufsliste im Regal nicht vorfinden. Pech gehabt, haben in der Regel aber auch der Händler und der Hersteller, denn dieser Umsatz geht ihnen zu grossen Teilen verloren. Konservativ gerechnet, entgehen dem europäischen Detailhandel dadurch jährlich über 4 Mrd Euro Umsatz, wobei die «Out-of-stock»-Rate im europäischen Durchschnitt bei 7 bis 10% liegt. 9% der Kunden kaufen in dieser Situation gar nichts, ein Verlust für beide. 21% wechseln den Markt und kaufen die Marke woanders, und 37% kaufen eine andere Marke. Das ergab eine Studie von Roland Berger Strategy Consultants für ECR Europe bei zehn europäischen Händlern und den Produkten von 27 führenden Markenherstellern.

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Problemfälle Fertiggerichte

Das Konzept zur zielgerichteten Optimierung der Regalverfügbarkeit im Handel OSA (Optimal Shelf Availability) wurde im Rahmen der vor über zehn Jahren ins Leben gerufenen ECR-Initiative entwickelt. In vielen Pilotprojekten und für einen Grossteil von Produktkategorien wurde OSA erfolgreich getestet. Neben Deutschland kommt die Methodik auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern zur Anwendung, so z.B. in Frankreich, Griechenland, Norwegen, Italien und Irland.

Im letzten Jahr wurde eine weitere OSA-Initiative in der Schweiz gestartet. Die «Out-of-stock»-Rate hängt signifikant von der Warengruppe ab. Besondere Problemfälle sind frische Fertiggerichte, deren Bestände wegen befürchteter Abschreibung nicht zu üppig sind und deren «Out-of-stock»-Rate bis zu 15% beträgt. Impulsartikel wie Süsswaren und Eis erreichen ebenfalls Quoten von 10 bis 15%. Regalartikel sind weniger betroffen als Promotionsartikel. Viele Artikel gehen deutlich häufiger aus, wenn sie im Angebot sind. Besonders ärgerlich aus Kundensicht, dass dies oft schon am ersten Tag der Fall ist. Ein Vergleich weist sehr ähnliche Zahlen für die Regalverfügbarkeit in Europa auf. Die Schweiz bildet hier keine Ausnahme. So hat unlängst ein Pilotprojekt bei einem führenden schweizerischen Detailhändler eine durchschnittliche «Out-of-stock»-Rate von über 8% aufgezeigt. Es ist deshalb originäre Aufgabe des Händlers in Zusammenarbeit mit dem Hersteller, die Regalverfügbarkeit für den Kunden sicherzustellen. Oder pointiert formuliert: Kein Bestand, kein Umsatz, kein Geschäft.

So gesehen ist die Sicherstellung der Regalverfügbarkeit Teil der täglichen Aufgabe aller Verantwortlichen und insbesondere auch der Category-Manager. OSA-Projekte nehmen sicherlich eine Schlüsselrolle ein, da sie Probleme in Schnittstellenbereichen aufdecken. Zwar lässt sich die «Out-of-stock»-Rate relativ einfach erfassen, jedoch kann deren Reduzierung eine Vielzahl von Massnahmen nach sich ziehen, die in anderen Schnittstellenbereichen liegen. Zur Verbesserung der Regalverfügbarkeit wird daher idealerweise ein siebenstufiges Programm angewendet, welches die einzelnen Problemfelder in den Schnittstellenbereichen gezielt angeht.

Erste Erfahrungen

Zur Bestandsaufnahme und der entsprechenden Beachtung durch das Management gehören die systematische Abarbeitung der Bereiche Regalnachschub, Merchandising, Inventur, Promotionsmanagement und Bestellsystem. Einige dieser Felder sind bereits in bilateralen Projekten bearbeitet worden, andere stehen noch aus. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass es beim Einsatz aller Technologie auch um den gezielten Einsatz des Personals geht. Anspruchsvolle technische Systeme brauchen ein Höchstmass an Genauigkeit, das Know-how der Hersteller kann helfen, die Regalpräsenz zu verbessern und schliesslich muss das Bemühen um die Verfügbarkeit ein Dauerthema sein.

Langfristig müssten geeignete Instrumente entwickelt werden, um die wahre Situation laufend kontrollieren zu können. Denn daran mangelt es in der Regel. Solche Messsysteme müssen am POS ansetzen und kontinuierlich betrieben werden, da jederzeit irgendwo Fehler auftreten können. Ausserdem sollten die Alarmfunktion und die Ursachenforschung getrennt werden. Projekte, die beteiligte Unternehmen mit dem entwickelten Tool durchgeführt haben, brachten erhoffte Ergebnisse. Alleine durch das Augenmerk des Managements auf das Thema konnte die «Out-of-stock»-Rate binnen zweier Wochen um 1,2 Prozentpunkte gesenkt werden.

Visualisierungsaspekt nicht unterschätzen

Prinzipiell können OSA-Projekte ohne elektronische POS-Datenerfassung durchgeführt werden. Die manuelle Erfassung der Regalverfügbarkeit kann stichprobenhaft durch eigene Mitarbeiter oder durch Dritte erfolgen. Verständlicherweise ist mit dieser Erfassung ein gewisser Initialaufwand verbunden, der im Fall einer automatisierten POS-Erfassung geringer ausfällt. Allerdings sollte man den Visualisierungsaspekt einer Regallücke bei manueller Erfassung im Vergleich zu einer unspektakulären Null-Umsatz-Darstellung bei elektronischer Erfassung nicht unterschätzen. Das manuelle Auffinden einer Regallücke hat einen starken erzieherischen Effekt und sensibilisiert die beteiligten Projektmitarbeiter.

Aus diesem Grund wird in einer Vielzahl von OSA-Projekten zu Beginn mit beiden Erfassungsmethoden (sofern elektronische POS-Daten vorhanden sind) gearbeitet. An dieser Stelle sei angemerkt, dass POS-Daten durchaus auch fehlerbehaftet sein können, was ohne die Gegenüberstellung der manuellen und automatisierten Methode nicht erkannt würde. Ohne Zweifel ist nach erfolgter Verifizierung der Datengenauigkeit die elektronische POS-Datenerfassung der elegantere Weg zur Bestimmung der «Out-of-stock»-Rate.

Ungeachtet dessen werden Unternehmen, die bereits erfolgreich OSA-Projekte durchgeführt haben, ihren Weg zur kontinuierlichen Erhöhung der Regalverfügbarkeit fortsetzen. Für diese Unternehmen stehen bereits fortgeschrittenere Verfahren parat. Der derzeit wohl höchste erreichbare Level ist der Ansatz, die Lücke im Regal erst gar nicht entstehen zu lassen. Diese Methodik wird als ESP (Empty Shelf Prevention, bezeichnet. Zur Durchführung von ESP werden zeitnahe POS-Daten, Regalkapazitäten, Auffüllungs- sowie Planungsdaten benötigt. Wenngleich diese Anforderungen höher sind als bei der traditionellen OSA-Methodik, so stellt ESP für viele Unternehmen dennoch keine überzogenen oder utopischen Datenanforderungen dar.

Mit dem Ziel einer kontinuierlichen Verbesserung der Regalverfügbarkeit im Detailhandel steht als erstes die Messung der Regalverfügbarkeit sowie die Ableitung von Massnahmenpaketen im Fokus. Was nicht gemessen wird, kann auch nicht verbessert werden. Das Problem beginnt nicht im Regal, sondern auf den letzten 50 m vom Wareneingang des Marktes zum Regal.

Dr. Ulrich Spiesshofer, Senior Partner und Global Head Operations Strategy; Dr. Johannes Märsch, Project Manager; Thibaud F. Gigandet, Senior Consultant, Roland Berger AG, Zürich.



OSA-Studie: 7 Erkenntnisse

Auf Basis der Studie wurden sieben wesentliche Erkenntnisse zur Regalverfügbarkeit abgeleitet:

1. «Out-of-stocks» sind insbesondere durch Mängel in der Abwicklung innerhalb eines Geschäftes, der so genannten «last mile», begründet.

2. Die Produktkategorie beeinflusst den Grad der Regalverfügbarkeit.

3. Nicht beworbene Produkte haben eine höhere Verfügbarkeit als beworbene.

4. Die «Out-of-stock»-Rate variiert beträchtlich zwischen Geschäften und Formaten.

5. Die «Out-of-stock»-Rate ist an den Haupteinkaufstagen am höchsten.

6. Hohe Lagerbestände sind kein Garant für hohe Verfügbarkeit.

7. Die Form der Belieferung des Detailhandels hat keinen signifikanten Einfluss auf die Verfügbarkeit der Ware. (usp)



Quirijn van Olden: «Individuelle Massnahmen sind am besten»

Quirijn van Olden ist Customer Team Supply Chain Manager bei Procter & Gamble Switzerland und Mitglied des ECR-Projektteams «Regalverfügbarkeit».

Die «Out-of-stock»-Rate liegt im europäischen Durchschnitt bei 7 bis 10%, wie die Studie von Roland Berger zeigt. Wie beurteilen Sie die Situation für die Schweiz? Aus den ECR-Pilotprojekten, die wir bisher in der Schweiz durchgeführt haben, hat sich herausgestellt, dass die Schweiz genau im europäischen Durchschnitt liegt.

Sie sind in einer ECR-Arbeitsgruppe, die sich mit dem Problem befasst. Was für Ursachen, die zu Regallücken führen, haben Sie festgestellt? Es gibt zwei Hauptursachen. An erster Stelle steht eine «suboptimale» Regalplanung. Gemäss Zentrale einer Handelskette sollte ein bestimmter Artikel in einem bestimmten Laden vorhanden sein. Tatsächlich wird der Artikel aber vor Ort nicht gefunden. Dies kann verschiedene Ursachen haben. So ist das betreffende Produkt vom Filialleiter schlicht nicht ins Ladensortiment aufgenommen worden, oder der Artikel war eine gewisse Zeit nicht vorhanden und wurde nicht wieder aufgenommen. Die Lücke im Regal wurde dann von einem «benachbarten» Artikel gefüllt. Die zweite Hauptursache sind Probleme bei den Bestellungen durch den Laden selber. Es wird entweder nicht oder zu spät bestellt. Auch dies kann verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel Probleme mit dem Bestellrhythmus oder mit der Organisation.

Was für Massnahmen sind sinnvoll, um «Out-of-Stock»-Situationen zu minimieren? In der Arbeitsgruppe haben wir an Hand eines Pilotprojektes über mögliche Massnahmen diskutiert. Wir sind der Meinung, dass in solchen Fällen die sinnvollsten Ansatzpunkte bei den Bereichen «Mensch» und «Organisation» liegen. Für die Einhaltung der Regalplanung soll zuerst klar definiert werden, wer zuständig und damit verantwortlich ist, und es soll sichergestellt werden, dass die Pflichtsortimente auch umgesetzt werden. Zusätzlich sollten Incentives und Sanktionen eingeführt werden, welche die Einhaltung solcher «Shelf-Planogramme» fördern. Im Bereich der Bestellungen braucht es neben einer klaren Definition der Zuständigkeiten auch klare Arbeitsanweisungen etwa mittels Checklisten, aber auch hier Incentives, die einen disziplinierten Bestellvorgang fördern. Ich möchte aber betonen, dass man nicht verallgemeinern kann. Man muss bei jedem betroffenen Laden die genauen Ursachen herausfinden und dann entsprechend ein individuelles, konkretes Massnahmenpaket schnüren.

Interview: Werner Rüedi