Patrick Odier: «Beim nachhaltigen Investieren gibt es noch viel zu tun»

Sie sind aktiv wie nie, mit 66 Jahren. Ich war immer sehr aktiv. Sie sind seit ein paar Monaten auch Präsident von Swiss Sustainable Finance, einer Institution, die sich für nachhaltige Investments einsetzt. Ihre neue Passion? Es ist nicht nur eine Passion, es ist eine Notwendigkeit. In der Finanzwelt wächst das Verständnis dafür. Lombard Odier ist schon seit langem beim Thema Nachhaltigkeit an vorderster Front mit dabei. Sie meinen: nicht neu? Sie haben 2005 eine Nachhaltigkeits-Professur in Lausanne finanziert. Es begann schon früher. 1995 war ich in der Region von Lausanne bei einem Nahrungsmittelkonzern, um über Nachhaltigkeit im Kapitalmarkt zu diskutieren. Das muss Nestlé gewesen sein. Allerdings dauerte die Diskussion nicht sehr lange, weil das Interesse, mit dem Finanzmarkt über künftige Anforderungen der Nachhaltigkeit zu reden, nicht sehr im Fokus stand. Wir haben aber schon damals gemerkt, dass dieses Thema bei einem Teil unserer Kundschaft an Wichtigkeit zunimmt. Patrick Odier ist Managing Partner der Bank Lombard Odier, Präsident Building Bridges, Präsident Swiss Sustainable Finance und Vorstand von Economiesuisse Er war etliche Jahre Präsident der Schweizerischen Bankervereinigung. Der 66 Jahre alte Ökonom hat einen MBA in Chicago absolviert. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Aber Sie sind abgeblitzt? Besagte Firma hat zehn Jahre später einen Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt, der für hohe Aufmerksamkeit sorgte. Ja, das Thema hat in den letzten Jahren enorm an Fahrt gewonnen. Dazu beigetragen hat auch die Ethos-Stiftung, bei deren Gründung wir 1997 dabei waren. Es ging um die Implementierung von nachhaltigen Anlagen bei institutionellen Anlegern. Wir? Wir hatten damals zwei Pensionskassen – eine öffentliche und eine private – zusammengebracht und sie aufgefordert, im Bereich ESG – also auch Corporate Governance – aktiv zu werden, daraus ist die Ethos-Stiftung mit Sitz in Genf entstanden. Sie ist gewachsen und spielt seither eine wichtige Rolle. Sie beschäftigen sich mit dem Thema seit 25 Jahren. Wer hat Sie darauf gebracht? Ihre Kinder? Ja, sie waren wichtig. Viele junge Leute sind an diesen Themen interessiert. Sie sind getrieben von der Sinnhaftigkeit. Doch auch bei unserer Kundschaft kam das Thema früh auf. Sie waren viele Jahre Präsident der Bankiervereinigung und mussten sich stets fürs Bankgeheimnis entschuldigen. Das war weniger lustvoll. Ich habe mich während sieben Jahren vorab mit der Bewältigung der Vergangenheit beschäftigt, heute gehts um die Gestaltung der Zukunft. Dass dafür meine Begeisterung gross ist, ist nachvollziehbar. Und jetzt haben Sie den Anspruch, Ihre Bank Lombard Odier zur Nummer eins in der Nachhaltigkeit zu machen? Bleiben wir bescheiden. Wir versuchen zuerst die Interessen der Kundschaft zu unterstützen. Diese entwickeln sich sehr stark Richtung nachhaltige Anlagen. Wir sind uns aber bewusst, dass es beim nachhaltigen Investieren noch viel zu tun gibt. Und ich glaube, dass diese Transformation uns auch riesige Investment-Opportunitäten bietet. Allerdings müssen wir unsere Hausaufgaben machen, die künftige Roadmap sehr sorgfältig analysieren und daraus unsere Schlüsse ziehen. Sie bringen damit Firmen in existentielle Gefahr, die nicht auf diesen Trend einsteigen. Jene Firmen, die nach unserer Einschätzung nicht in ein nachhaltiges Portfolio gehören, werden früher oder später unter höheren Kapitalkosten leiden, weil sie weniger einfach Zugang zum Kapitalmarkt finden werden. Denn auch andere Banken machen sich dieselben Gedanken. Das erhöht den Druck auf die Firmen immens. Wichtig ist für mich, dass unsere Analysen auf Basis von wissenschaftlichen Studien basieren; deshalb arbeiten wir auch mit der Universität Oxford zusammen. Gleichwohl subventionieren Regierungen die Ölindustrie mit 600 Milliarden pro Jahr. Nicht absurd? Das ist tatsächlich ein Widerspruch, wenn Regierungen den CO2-Ausstoss in ihren Ländern verringern wollen und gleichzeitig Verursacherindustrien mit Riesensummen alimentieren. Das ist nicht konsequent. Solange das der Fall ist, wird es schwierig werden, Net-Zero-Ziele zu erreichen. Es genügt nicht, Kapital in nachhaltige Investments zu lenken, es braucht auch politische Rahmenbedingungen, auch Anreize und Vorschriften. Und dann müssen auch die Konsumentinnen und Konsumenten mitmachen. Diese fliegen für 80 Franken für ein Wochenende nach Spanien, fahren mit dem Auto nach Deutschland oder Frankreich und kaufen Zahnpasta, Fleisch oder Konservenbüchsen ein. Das mag da und dort so sein. Aber ich bin zuversichtlich, dass ein Umdenken stattfindet. Wir haben soeben eine Studie mit der Oxford University publiziert, worin die Exportfähigkeit von 150 Ländern über die letzten 25 Jahre bezüglich umweltgerechter Produkte und Industrien analysiert wird. Und die Schweiz schneidet gut ab? Die Schweiz ist ziemlich gut positioniert, aber der Trend ist nicht sehr positiv. Die Schweiz war vor 25 Jahren auf Rang 5, heute steht sie auf Rang 23. Die Industrie hatte den Fokus nicht auf diesem Bereich, weshalb wir viele Plätze verloren haben. Ein schlechtes Zeugnis. Wir haben etwas an Schwung verloren, andere haben zugelegt. Es ist für das Publikum schwer zu unterscheiden, welche ESG-Studien vertrauenswürdig sind, weil viele Studien unterschiedlich messen, unter ESG unterschiedliches verstehen oder Labels untauglich sind. Es gibt zu viele Standards und Labels, aber da ist jetzt eine Korrektur im Gang. Wir haben es beim Cop26 in Glasgow gesehen. Da gab es eine Einigung über Standards, jetzt wird an verbindlichen Transparenzvorschriften gearbeitet. Diese sollen von den Firmen angewandt werden, damit wir sie vergleichen können. Es braucht auch neue Standards, um die Transformation von Firmen messen zu können. Es geht um das Konzept des Implied Temperature Rise, der die Auswirkungen von wirtschaftlichen Tätigkeiten auf die Temperatur ausweist. Dies alles vor dem Hintergrund des Pariser Abkommens. Bei Lombard Odier können wir sämtliche Portfolios entsprechend überprüfen. In diese Richtung gehen die Vorschriften in der Rechnungslegung. Im Rahmen des ISSB, International Sustainability Standards Board, werden Accounting-Regeln integriert. Das sind wichtige Schritte und helfen, Firmen besser beurteilen zu können. Und den Firmen hilft es, wenn sie wissen, welche Daten verlangt werden. Sind Sie zwischen Genf und Zürich im Jet oder mit den SBB unterwegs? Ich geniesse es, im Zug arbeiten zu können, und zähle schon lange zu den guten Kunden der SBB. Besteht nicht die Gefahr, dass die Staaten übersteuern und Technologieverbote durchsetzen, die kontraproduktiv sind? Das Projekt Terrapower von Bill Gates und Warren Buffett bringt uns vielleicht eine saubere Atomenergie zurück. Wie gesagt, es gibt riesige Opportunitäten, aber auch Risiken. Wer investiert ist, muss sich zweimal überlegen, wie robust das Portfolio ist bezüglich Nachhaltigkeit. Wer ein Portfolio hat mit Positionen ohne Zukunft, wird irgendwann in Schwierigkeiten geraten. Wenn ein Land den Ausstieg aus der Kohleindustrie und die Abholzung anordnet, dann kann das enorme finanzielle Auswirkungen für Anleger haben. Aktuell dreht sich die Diskussion um nachhaltige Produktion und Produkte. Fragen zum Sozialen oder zur Corporate Governance tauchen kaum auf. Obwohl sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet, gerade in Corona-Zeiten. Das Klima ist existentiell für die Menschheit, aber es ist richtig, dass die Ungleichheit weiter steigt und zur nächsten Herausforderung wird. Es geht nicht nur um Vermögen und Einkommen, es geht um individuelle Entwicklungschancen, um Zugang zu Ressourcen wie Wasser, Bildung oder dem Gesundheitswesen.