Sie liegen zu Dutzenden in seinem Büro. Druckfrisch, gerade in den Handel gekommen. Eine Art vorgezogenes Geburtstagsgeschenk, das sich der Jubilar selbst gemacht hat. «The Daily Drucker» – das jüngste Buch aus der Feder von Peter Drucker, sein 36., herausgegeben zu seinem 95. Geburtstag. «366 Days of Insight and Motivation for Getting the Right Things Done», die tägliche Dosis des letzten noch lebenden Universalgelehrten der Managementlehre.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Drucker gilt als Erfinder des modernen Managements. Mit seinen Thesen und Schriften hat er Generationen von Managern und Beratern geprägt. Ob Dezentralisierung und Outsourcing, Corporate Governance, zielorientiertes Management, das Verständnis von Markt und Kunde, die Rolle des Managers oder das Wesen von Organisationen: Es gibt kaum ein Themenfeld für Führungskräfte, mit dem Drucker sich nicht beschäftigt hätte. Drucker liess und lässt es nie bei blosser Analyse bewenden. Immer bietet er handfeste Lösungen an, konkrete Massnahmen für die tägliche Praxis. «Drucker», sagt Managementberater Fredmund Malik, «ist der Beste.»

Druckers Lebenserfahrung speist sich aus den turbulenten Entwicklungen des frühen 20. Jahrhunderts bis zum Internetzeitalter. «Eher als ein reiner Managementdenker bin ich historischer Schriftsteller», sagt Drucker über sich selber, «Management ist ja auch viel mehr als pure Ökonomie, nämlich eine Brücke zwischen Zivilisation und Kultur.»

Andy Grove, Chairman Intel: «Drucker ist mein Held. Er denkt und schreibt mit ausgesuchter Klarheit. Eine aussergewöhnliche Erscheinung, anders als die Masse der Marktschreier mit ihren Managementmoden.»


Richard Nixon, US-Präsident (1969–1974): «Peter Drucker meint, dass moderne Regierungen nur zwei Dinge gut beherrschen: Krieg führen und die Währung durch Inflation entwerten. Es ist das Ziel meiner Regierung, Mr. Drucker zu widerlegen.»


Fredmund Malik, Managementberater, St. Gallen: «Drucker hat mit seiner Arbeit nicht nur den Grundstein gelegt zu einem neuen Beruf. Er hat die Wirtschaft, ihre Organisation und die Art ihrer Führung verändert – und damit die Gesellschaft.»

Geboren am 19. November 1909, spannt sich Druckers Leben vom Zusammenbruch der Habsburgermonarchie und vom Ersten Weltkrieg über Weimarer Republik, Depression und Inflation der Zwanzigerjahre, die Anfänge der Nazi-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg, den Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahre und die Ölkrise bis ins Internetzeitalter. «Ich bin ein Aussenseiter, der nicht selbst Geschichte macht, jedoch mitten auf der Bühne des Weltgeschehens steht.»

Druckers Kindheit ist geprägt vom Krieg. Lesen lernt er beim Durchgehen der Gefallenenlisten, auf der Suche nach Namen aus dem Familien- und Bekanntenkreis. «Keiner von uns konnte sich vorstellen, dass der Krieg je aufhören würde», erinnert sich Drucker. «‹Wenn ich gross bin› hiess ‹wenn ich an die Front geschickt werde›.» Das immerhin bleibt Drucker erspart. Nicht aber die Folge des Kriegsendes, der Hunger. Druckers Retter: Herbert Hoover. Der spätere US-Präsident hatte im harten Winter 1919/20 als Chef der US Food Administration Schulspeisungen für Kinder in ganz Europa angeordnet.

Über Mangel an geistiger Nahrung dagegen kann sich Drucker nicht beklagen. Er wächst auf in der Welt des Wiener Grossbürgertums zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie, als Bildung, Kultur, Geschichtsbewusstsein, Musik, Kunst und Kosmopolitismus ganz oben in der Wertordnung stehen, Kinder ganz selbstverständlich vielsprachig erzogen werden. Seine Eltern – Vater Adolph ist angesehener Ökonom und Anwalt im Wirtschaftsministerium, Mutter Caroline Ärztin – laden regelmässig zur Soirée. Diskutiert wird über Politik und Wirtschaft, Literatur und Mathematik, Medizin und Musik. «Er wird nicht zum Akademiker erzogen», schreibt Drucker-Biograf Jack Beatty, «sondern zum Intellektuellen.»

Gästeliste und Bekanntenkreis der Druckers lesen sich wie das Who’s who des frühen 20. Jahrhunderts: Joseph Schumpeter, Sigmund Freud, Gustav Mahler, unter dessen Leitung Druckers Grossmutter als Solopianistin bei den Wiener Philharmonikern wirkte. Auch Franz Kafka und Thomas Mann lernt er kennen, Letzteren bei einer privaten Lesung. Druckers Urteil: «Eher langweilig.»

Seine eigene bibliophile Produktivität ist weder langweilig noch bescheiden: mehr als 35 Bücher, darunter zwei Romane, übersetzt in mehr als 30 Sprachen, weltweit mehr als sechs Millionen Mal verkauft. Seine letzten zwölf Werke entstanden nach seinem 80. Geburtstag.

Druckers erste Gehversuche als Autor sind ein Aufsatz über die Bedeutung des Panamakanals und eine Analyse der New-Yorker Börse. Der Beginn einer Ausbildung zum Anlageberater endet mit der Pleite der Bank, Anfang 1930 beginnt Drucker, gerade 20 Jahre alt, als leitender Redaktor beim «Frankfurter Generalanzeiger». Nach Redaktionsschluss setzt er das Studium fort: internationale Beziehungen, internationales Recht, die Geschichte der Institutionen, Finanzwesen. «Wissensdrang», so Drucker, «ist wie Selbsterneuerung.»

Er lernt Ernst Jünger kennen, den Kunsthistoriker Ernst Gombrich, den Architekten Buckminster Fuller, die Wirtschaftsphilosophen Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises. Selbst Georg Siemens und Ludwig Bamberger, Mitgründer der Deutschen Bank, sind ihm aus Erzählungen seines Grossvaters vertraut. Eine Detailkenntnis, von der auch seine Leser profitieren. Sie erfahren, dass die erste Managementkonferenz 1882 von der deutschen Post organisiert wurde – und keiner erschien. Oder dass das Wort «Risiko» im Arabischen einst bedeutete, das tägliche Brot zu verdienen.

Den Nazis wird Drucker, inzwischen Doktor für öffentliches Recht, mit einem Aufsatz über den jüdischen Rechtsphilosophen Friedrich Julius Stahl zum Dorn im Auge. Das Buch wird kurz nach Erscheinen im April 1933 verbrannt, Drucker entschliesst sich zur Emigration. «Um mich herum brach alles zusammen – Gesellschaft, Regierung, Wirtschaft, Zivilisation.»

Er geht nach London, wo ihm sein Vater einen Job als Investment-Banker besorgt. Und erkennt beim wöchentlichen Besuch im Seminar von John Maynard Keynes in Cambridge, dass er kein purer Wissenschaftler ist. «Der kam mir vor wie ein Doktor, der bei seinem Patienten einen inoperablen Leberkrebs feststellt und ihm Heilung verspricht, wenn er mit einer Siebzehnjährigen ins Bett geht.» Da ihn Neuengland mehr lockt als das alte London, geht er 1937 in die USA. «Ich kam als Schriftsteller», sagt Drucker, «weil Schreiben eine Sache war, die ich gut konnte. Vielleicht die einzige.»

Er schreibt Bücher über den Aufstieg des Faschismus («The End of Economic Man», 1939) und die Gesellschaft der Zukunft («The Future of Industrial Man», 1942). Und wird zum Unternehmensberater – durch einen Anruf des Pressesprechers von General Motors (GM). Der Auftrag: eine Studie über die Struktur des Unternehmens. Peter Drucker lernt GM-Chef Alfred Sloan kennen – «er wohnte in einer Art Klause im Schlafsaal von General Motors und hatte nicht einmal ein eigenes Badezimmer».

Nach zweijähriger intensiver Recherche erscheint «The Concept of the Corporation», ein Plädoyer für die Dezentralisierung, nach Druckers Einschätzung «nicht mehr nur eine Managementtechnik, sondern der Entwurf einer Gesellschaftsordnung». Das Ergebnis: Ablehnung. Drucker wird zur Persona non grata bei GM.

Dafür berät er danach General Electric, Coca-Cola, IBM, Intel, Sears Roebuck. Druckers Rezept: «Ich bin Hausarzt für Unternehmen. Ich schaue mir den Patienten an, statt ihm blind eine Spezialmethode zu verkaufen.» Die Berufsbezeichnung Unternehmensberater lehnt er strikt ab. «Ich bin Sozialökologe», sagt Drucker, «eine Art historischer Schriftsteller.»

1950 wird Drucker Inhaber des weltweit ersten Lehrstuhls für Management an der New York University. Den Ruf an die Harvard Business School hat er zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal abgelehnt, weil diese damals nur von College-Abgängern besucht wird. «Studenten ohne Berufserfahrung lernen nichts von mir», sagt Drucker, «weil ich nichts von ihnen lerne.»

Und lernend tut er auch in hohem Alter noch immer das, was er seiner Meinung nach am besten kann: schreiben. «Mein wichtigstes Buch», sagt Drucker, «ist immer das nächste.» Schliesslich hält er es wie der dänische Philosoph Kierkegaard: «Das Leben kann zwar in der Schau nach hinten verstanden, aber nur nach vorne gelebt werden.»