Eine Organisation, ob ein Unternehmen oder eine Nichtregierungsorganisation (NGO), hat verschiedene Werte. Kotierte Unternehmen lassen sich an der Börsenkapitalisierung messen, NGO an der öffentlichen Wahrnehmung, die im Wesentlichen das Spendenaufkommen beeinflusst. Ob Unternehmen oder NGO, bei beiden Organisationen ist der Wert auch abhängig von den Exponenten, mit denen man sie identifiziert. Wertvermehrung oder Wertvernichtung hat immer auch mit der Glaubwürdigkeit der obersten Exponenten zu tun und nicht nur mit der operativen Leistung. Die Reputation von Organisationen und ihren Lei(s)tungsorganen bestimmt also im Wesentlichen den «Wert» einer Organisation.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Viele Unternehmensführungen sind sich zwar bewusst, dass der Ruf in der Öffentlichkeit wertbestimmend ist. Aber zu wenige Führungskräfte und Organisationen widmen sich dem Thema Reputation Management professionell, das heisst als Teil der (Kommunikations-)Strategie.

Seit die Börsen – oder eher die Analysten? – zunehmend «volatil» auf Unternehmensleistungen reagieren, beschränken sich viele Führungskräfte darauf, mehrmals am Tage auf die Entwicklung des eigenen Kurses zu schielen; Entscheide werden nicht selten vor allem auf Grund möglicher Börsenreaktionen gefällt.

Dabei geht vergessen, dass es in der Welt als «global village» eine ganze Reihe von Faktoren gibt, welche die Reputation und damit den Wert beeinflussen.

Jeder operative Vorgang muss heute, da buchstäblich alles sofort und überall verfügbar ist, also auch «bad news», von einem aktiven Issue Management begleitet werden. Zwar gibt es einen Risk Officer, Compliance nimmt an Stellenwert zu – aber das Issue Management als Basis des Reputation Management ist noch zu oft ein Stiefkind.

Issue Management ist nicht mehr und nicht weniger als die professionelle Beobachtung des Umfeldes, die Beurteilung möglicher Trends und vor allem potenzieller Risiken und Belastungen, etwa durch neue Gesetze oder zusätzliche Regulierungen.

Diese Marktbeobachtung muss heute professionell, also systematisch vorgenommen werden, wenn sie zu Entscheidungsgrundlagen führen soll. Marktbeobachtung erfolgt in diesem Falle «schnell und qualitativ» statt «langsam und quantitativ».

Mittels entsprechender Tools ist es heute möglich, weltweit die für eine Organisation relevanten 200 bis 300 Schlüsselmedien zu definieren und sie täglich nach bestimmten Kernbegriffen abzusuchen. Wer beispielsweise interessiert ist zu wissen, wo NGO Widerstand aufbauen oder woher mögliche legalistische Einschränkungen kommen könnten, der wird auf der Grundlage einer solchen Umfeldbeobachtung schnell fündig. Nun gilt es noch, die Spreu vom Weizen zu trennen und abzuschätzen, ob die täglichen Resultate der Medienberichte zu den zu befragenden Schlüsselbegriffen tatsächlich auch eine Entwicklung widerspiegeln.

Als in Amerika erste Grosspleiten trotz internen Audit Committees und externer Buchprüfung die Anleger und Politiker aufschreckten, war für jene, die Issue Management betrieben, absehbar, dass der Druck auf die damals noch wenig gelebte Corporate Governance durch neu entstehende Pressure Groups zunehmen würde – etwa in Form weiter gehender, detaillierterer Rechnungslegung und neuer rechtlicher Bestimmungen.

Dank Issue Management und den daraus gewonnenen Erkenntnissen haben sich globale Multis früh dazu entschieden, zu erwartende Zwänge vorwegzunehmen und damit aktives Reputation Management zu betreiben: Unternehmenswert zu erhalten und zu mehren, Brand(s) zu sichern und zu stärken und sich abzeichnende Chancen zu nutzen, das heisst auch, die absehbaren Risiken frühzeitig zu minimieren.

Das US-Rechts- und Gesetzessystem beispielsweise hat in den letzten Jahren, für uns Europäer kaum nachvollziehbar, im Bereich der Klage- und Prozesswut gegen Unternehmungen einen weiteren Höhepunkt ermöglicht – sei es bezüglich «Diskriminierung» von Personen, sei es bezüglich Produktehaftung. Da es überdies weitgehend die Standards der US-Aufsichtsbehörden sind, die auch für europäische Unternehmen gelten, konnte via Issue Management die neue Gefahr geortet werden; nichts schreckt Investoren mehr ab als latente, schwer abschätzbare (Prozess-)Risiken.

Stattlich war daher die Zahl jener Unternehmen, die ihre Börsenpräsenz in den USA unter diesen Voraussetzungen überprüft haben; einige haben den US-Börsen den Rücken gekehrt, viele sind in einem Schwebeprozess und bereit, bei weiterem Druck aus den USA abzuziehen. Dazu tragen erleichternd auch neue aufstrebende Märkte, Absatz- und Finanzmärkte bei.

Aber auch bei vergleichsweise einfachen Entwicklungen konnte, wer professionelles Issue Management betrieb, vorzeitig Weichen stellen:

Als medial erkennbar wurde, dass Nachhaltigkeit ein Aktienbewertungsfaktor würde, ebenso wie zum Beispiel die Transparenz, da nahmen viele Unternehmen diesen Schritt vorweg und auferlegten sich im Rahmen der strategischen Ziele reduzierte Limiten beim Energieverbrauch, den Emissionen, den Unfällen. Shell, Mitte der neunziger Jahre rund um die Affäre Brent Spar die Buh-Firma von NGO und Medien, hat daraus gelernt und sich komplett gewandelt; Shell ist heute bezüglich Nachhaltigkeit eines der führenden Unternehmen. Zahlreiche institutionelle Investoren legen ihr Geld zudem nur noch in Firmen an, die nachhaltig geführt werden.

Issue Management ist nichts anderes als das stufengerechte Zur-Verfügung-Stellen von Meinungen, die das Potenzial haben, öffentliche Meinung zu werden (wir erinnern uns an das Gekläff des Boulevards rund um das Thema der Kampfhunde und das kopflose Verhalten von Parlament und Regierung – und wir kennen das heutige Resultat).

Reputation Management ist das Resultat oder die Verbindung von Issue Management, strategischer Anpassung und Umsetzung sowie einem Führungsanspruch bezüglich Kommunikation.

Erinnert sei an unbedachte Äusserungen etwa eines Bankiers zur Frage der nachrichtenlosen Vermögen («Peanuts») oder eines Nahrungsmittelmulti-Chefs, der sein Doppelmandat zum Prüfstein für den Verbleib oder den Rücktritt aus der obersten Führung machte.

Diese ungewollte Arroganz hat dem gesamten Unternehmerstand geschadet und die unsinnigen medialen Abzocker- und Heuschrecken-Saubannerzüge erst ermöglicht. Ein Beispiel von Arroganz ist auch das forsche «Wir fordern!»-Auftreten der Trillerpfeifen-Unia, einer Gewerkschaft, deren Basis erodiert und deren Glaubwürdigkeitsschwund den Mitgliederschwund an Tempo noch übertrifft. Als die Transportgewerkschaften im Dezember in New York streikten, nannte sie die «New York Times» «Ratten», und der Bürgermeister machte, was Gewerkschaften am besten können: drohen. Er drohte, die Funktionäre einzeln auf Schadenersatz zu verklagen. Daraufhin war der Spuk zu Ende – die Reputation der Transportler ebenfalls.

Ein weiteres Beispiel von «Erosion durch Arroganz» ist der Verkehrsclub der Schweiz, der, ähnlich wie Unia, durch selbstherrliches Gebahren eine stark negative Wahrnehmung als Arbeitsplatzverhinderer verursacht hat.

Im Gegensatz dazu hat etwa der WWF durch moderateres Auftreten für seine Anliegen das «Polteri»-Image erfolgreich überwunden und ist heute in der Lage, mit der Wirtschaft im konstruktiven Dialog zu bleiben – anders als die Unia, die mittlerweile sogar als Sozialpartner in Frage gestellt wird.

Reputation Management bedeutet kommunikativ also zweierlei:

1. Das Gute, Positive nutzen.
2. Das Schlechte, Negative nutzen.

Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein. Dazu zu stehen, dass etwas nicht konform läuft, nimmt Druck weg und zeugt von Stärke. Was ohnehin irgendwann ans Tageslicht kommt, nimmt man besser vorweg. ABB hat mit der aktiven Kommunikation von Missständen und Praktiken in einzelnen Ländern einige Tage negative Medienberichte gehabt. Ohne das kluge Vorgehen wäre ABB wohl von den investigativen Medien zum Topthema gemacht worden, und der Wirtschaft wäre über ABB hinaus Schaden entstanden, ganz nach dem Motto: Das Unternehmertum ist eine Ansammlung von gierigen Managern, denen jede Form des Geschäftens recht ist, sei es selbst durch Bestechung.

Die Kommunikationslandschaft hat sich verändert. Alles geht ins World Wide Web, ob richtig oder falsch. Blogs werden für eine jüngere Generation in der Meinungsbildung zusehends wichtiger als Tageszeitungen; Pressure Groups vernetzen sich weltweit immer wirkungsvoller, NGO verfügen über Milliarden, die sie für oder gegen etwas einsetzen können.

In diesem Umfeld ist die eigene Meinungsbildung ein zentrales Führungskriterium. Und ein Erfolgskriterium für die nachfolgende Entscheidungsfindung ist die Qualität des Issue Management. Nur so ist eines der wichtigen Anliegen, die so genannte Brand Protection und der damit verbundene Werterhalt beziehungsweise die Wertvermehrung, möglich.
Zusammenfassend kann man feststellen:

Reputation Management, die professionelle Bewirtschaftung der materiellen und immateriellen Werte, ist heute zwingend eine Disziplin, die zuoberst in der Führung anzusiedeln ist. Und zum Reputation Management gehört als Basis das Issue Management: als «first opinion», wenn es um Trenderkennung, mögliche Folgen und die proaktive «Bewirtschaftung» durch die Orga-nisation geht, und als «second opinion», wenn interne strategierelevante Lage- oder Marktbeurteilungen «gegengecheckt» werden sollen.