Prosure heisst die Trinknahrung, die der Pharmakonzern Abbott vor zwei Jahren auf dem Schweizer Markt lanciert hat. «Prosure ist zu einem Renner geworden», erklärt Abbott-Sprecherin Simone Sigrist, will aber keine genauen Verkaufszahlen verraten. Prosure ist lediglich eines von rund einem Dutzend neuen Lebensmitteln aus den Labors des Pharmakonzerns. In einem Laden kaufen lassen sich diese Produkte allerdings nicht. Es handelt sich bei ihnen ausschliesslich um so genannte diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke. Prosure wird Krebspatienten gegen grossen Gewichtsverlust verabreicht. «Unsere Forscher haben herausgefunden, dass wir mit gezielt eingesetzten Nährstoffen zum Beispiel Omega-3-Fettsäuren in Prosure Effekte erzielen, wie wir sie sonst eher von Medikamenten her kennen», betont Sigrist. Falsch wäre es, in Prosure gleich eine neue medizinische Wunderwaffe zu sehen. Aber die Trinknahrung hilft, den Grundzustand des Patienten zu verbessern.

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Damit erhöhen sich die Chancen einer positiven Reaktion etwa auf eine Chemo- oder Bestrahlungstherapie. «Leider wird in den Spitälern der Ernährungsstatus der Patienten noch viel zu wenig beachtet; oft wird nicht richtig ernährt», kritisiert Sigrist.

Davon kann Abbott, Weltmarktführer für klinische Ernährung, nur profitieren. Allein in der Schweiz hat der Konzern im vergangenen Jahr für einige Mio Fr. «Food for special medical purposes» (FSMP), wie es im englischen Fachjargon heisst, abgesetzt. Bei Abbott spricht man von einem riesigen Wachstumsmarkt, «denn es werden noch längst nicht alle mangelernährten Patienten bedarfsgerecht ernährt».

In Poleposition: Abott, Novartis und Nutricia

Also müssen laufend neue Produkte entwickelt werden. Nebst Abbott gehören Novartis, Nutricia und Fresenius zu den Grossen im FSMP-Segment, in dem dreistellige Millionenumsätze winken. Ihre Innovationen dominieren seit ein paar Jahren auch die Listen der Bewilligungen für neuartige Lebensmittel des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Die Flut von Gesuchen um Neuzulassungen wird dort jährlich grösser.

«Es ist fast schon absurd, denn eigentlich sind die Lebensmittel längst schon erfunden», meint Elisabeth Nellen von der Abteilung Lebensmittelrecht mit einem tiefen Seufzer. Rund ein Drittel der 70 Neuregistrierungen des letzten Jahres war FSMP-Produkte. Daneben boomten Functional Food, Lightfood und Sportlernahrung Produkte allesamt, die besondere Immunkräfte, einen schlanken Körper oder straffe Muskeln versprechen.

Während FSMP-Nahrung nur unter besonderer ärztlicher Kontrolle verabreicht werden darf, können sich Konsumenten mit Functional Food direkt aus den Regalen des Detailhandels eindecken. Wer dabei auf die Hersteller achtet, findet darunter auch solche, deren Produkte sonst nur in Drogerien und Apotheken anzutreffen sind. Beispiel GlaxoSmithKline: Der Pharmamulti ist mit seinen Abtei-Kapseln und -Tabletten, die mit Vitaminen, Mineralien, Folsäuren und gesunden Fetten aufs Fuctional-Food-Segment zielen, seit drei Jahren in der Schweiz auch in den Lebensmittelregalen präsent. «Der Umsatz mit den Ab-tei-Produkten hat sich sehr gut entwickelt», sagt der VR-Vorsitzende Reinhold Mesch. Für Spekulationen, das könnte der Beginn einer Verschmelzung von Food und Pharma bedeuten, hat er allerdings kein Gehör. «Es kommt wohl zu Überschneidungen in Randbereichen, die klassische Pharmaindustrie wird sich jedoch allein schon durch die gesetzlichen Vorgaben von der Nahrungsmittelindustrie auch in Zukunft unterscheiden», stellt Mesch klar.

Vorbeugung, und nicht Therapie

Eine differenziertere Antwort liefert auf diese Frage der klassische Nahrungsmulti Nestlé. In der Sparte «Nutrition», die im letzten Jahr über 5 Mrd Fr. zum Umsatz beigetragen hat, stellt er nicht nur Säuglings-, sondern auch Leistungs- und Klinikernährung her. «Wir verzeichneten damit überdurchschnittliches Wachstum», lässt Nestlé-Sprecher Hans-Jörg Renk durchblicken. Er weist auf zwei besonders erfolgreiche Produkte, die Spitalspezialnahrung Nutren und den Energieriegel Powerbar. Der Bereich «Nutrition» sei ein zentraler Faktor bei der Transformation von Nestlé von einem traditionellen Hersteller industrieller Lebensmittel zu einem modernen «Nutrition-, Health- and Wellness-Unternehmen», heisst es in Vevey weiter.

Obwohl «Nutrition» erst 8% des Umsatzes bei Nestlé ausmacht, entfallen darauf bereits 20% des Forschungsbudgets. Diese Strategie soll sich in Zukunft auszahlen, wobei Nestlé laut Renk nicht nur auf das steigende Bedürfnis des Menschen nach gesunder Ernährung setzt. Einkalkuliert hat der Konzern auch die Demografie mit immer mehr älteren und rekonvaleszenten Menschen, die speziell ernährt werden müssen. Trotzdem will man bei Nestlé, ähnlich wie bei GlaxoSmithKline, offiziell nicht von einer Verschmelzung zweier Branchen reden. «Wir machen einen klaren Unterschied zwischen Lebensmitteln und Medikamenten», so Renk, «und unsere Nutrition-Produkte dienen der Vorbeugung, und nicht der Therapie».

Ovo soll einfach wieder schmecken

Doch Vorbeugen und nicht Heilen genau das tun auch viele Medikamente. Ernährung zwecks Prävention schält sich somit als jenes Terrain heraus, auf dem sich die Interessen von Food und Pharma am deutlichsten überschneiden. Zweifellos handelt es sich um einen lukrativen Wachstumsmarkt. An diesem Kuchen knabbert auch Novartis, allerdings mit durchzogenem Erfolg. Um die vor ein paar Jahren mit viel Lärm lancierte Functional- Food-Linie Aviva ist es schon lange still geworden. Und die Liebe zur Ovomaltine war nur von kurzer Dauer. Vor anderthalb Jahren wurde Wander wieder an einen klassischen Lebensmittelhersteller verkauft, die Associated British Foods (ABF).

«Bei Wander hat sich die Strategie seither grundlegend geändert», sagt Firmensprecher Alfredo Schiliro. Die gleichen Produkte, die unter Novartis als gesund und heilsam angepriesen wurden, sollen jetzt primär Genuss und Lust versprechen. Die berühmte Ovomaltine, die in diesem Jahr den hundertsten Geburtstag feiert und unter den Fittichen von Novartis fast schon zum Medikament verkümmerte, darf nun wieder köstliches Frühstücksgetränk sein.

Novartis selber konzentriert sich seit dem Verkauf von Wander im Bereich Ernährung auf «Medical Nutrition», womit ausschliesslich FSMP-Produkte gemeint sind. Die Sparte hat 2003 immerhin 815 Mio Dollar Umsatz eingebracht, womit die Basler hinter Abbott die Nummer zwei auf dem Weltmarkt sind. Für den Geschäftsbereich Health & Functional Food hingegen, zu dem auch Wander gehörte, wird seit zwei Jahren erfolglos ein Käufer gesucht. Aus dem Flirt des Pharmakonzerns mit den Lebensmitteln ist damit längst eine Zwangsehe geworden.