Mist. Mist. Mist. Es ist der finsterste Augenblick der Karriere, wenn einen die «Pfeife» vom Grossraumbüro gegenüber überholt und in das grosse Eckbüro einzieht. Nada mit Aufstieg. Nix mit dem Posten als Bereichsleiter. Und jetzt? Fast alle machen die Faust im Sack, statt sich neu zu orientieren: Experten schätzen, dass lediglich fünf Prozent es sich nicht gefallen lassen, abserviert zu werden. Die anderen arbeiten demotiviert weiter.

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Eigentlich erstaunlich: Im BWL-Studium lernen künftige Manager, Stressszenarien für ihre Projekte durchzuspielen, Alternativen für den schlechtesten Fall vorzubereiten. Doch wenn es um die eigene Karriere geht, wird dieses Prinzip von den meisten sträflich vernachlässigt. Ein Plan B für die berufliche Zukunft? Fehlanzeige. Outplacementberater etwa erleben es täglich, dass ihre frisch entlassenen Klienten ihnen sagen, sie hätten die Kündigung eigentlich kommen sehen. Doch einen Plan B hatten sie nicht.

Nichts sehen, nichts hören. Dabei wäre dieser ein Must-have. «Man kann und sollte ihn vorsorglich entwickeln, wenn man einen nächsten Karriereschritt plant», sagt Sandro Rüegger, Partner beim Zürcher Executive-Search-Unternehmen Roy Hitchman. Aber wie um Himmels willen? Das sei eine sehr individuelle Angelegenheit, so Rüegger. «Der Wirtschaftszyklus, die berufliche Entwicklung, aber auch die familiäre Situation spielen eine Rolle.»

Rolf Helfenstein hatte per Zufall den Plan B als alte Studentenarbeit noch auf einem USB-Stick. Den Businessplan für eine Kommunikationsagentur. Karling wird sie heissen und im nächsten März an den Start gehen. Ein Karling ist ein markanter Berg, der aus der Masse herausragt. Seinen Kunden verspricht Helfenstein, ihnen ein ebensolches Image zu verschaffen. Er war zwölf Jahre lang bei der Werbeagentur Jung von Matt und dort zum Managing Director und Teilhaber aufgestiegen, bis ihn das Schicksal der meisten Minderheitsaktionäre mit Ambitionen ereilte: bei Diskussionen über den Kurs der Firma immer öfter zu unterliegen und schliesslich einen neuen CEO vor der Nase zu haben.

«Ich merkte schon seit einiger Zeit, dass die Situation für mich nicht mehr optimal war.» Als die Entscheidung für einen externen CEO fiel, empfand er das als Befreiung. Die Situation war bereinigt, Illusionen lösten sich auf, und plötzlich sprach alles klar für den Plan B: eine eigene Agentur. Was wie eine Notlösung klingt, war für Helfenstein ein bewusster Entscheid. «Ich hatte einige attraktive Jobangebote auf dem Tisch.»

Die Karling-Idee nahm mit der Zeit Formen an, er holte sich Rat, sprach mit Freunden und Kollegen, recherchierte zu den Trends der internationalen Agenturszene, dachte darüber nach, dass Kunden heute agile und schlanke Agenturen wollen. «Schnellboote statt grosser Tanker», sagt er. Doch ihm war klar: «Der Plan hing auf Gedeih und Verderb davon ab, einen ausgezeichneten Kreativpartner zu finden, der sich genau zu jenem Zeitpunkt auch unternehmerisch betätigen wollte.» Sonst hätte er die Übung abgeblasen. Jetzt freut er sich auf das Kind wie ein Vater vor der Geburt und ist gespannt, wie sich Karling entwickelt.

Dass ein Topmanager den Plan B hat, wenn der Aufstieg ganz nach oben stockt, ist die Ausnahme. Ihn dann ad hoc zu entwickeln, gelingt wenigen. Das lässt sich an den vielen Managern ablesen, die nach ihrem Ausscheiden aus Konzernen ins Beraterbusiness wechseln. Oftmals eine Notübung.
Für den Plan B braucht es Zeit und schonungslose Ehrlichkeit sich selbst gegenüber – vor allem ganz oben. Ein Headhunter berichtet von einem Konzernleitungsmitglied einer grossen Firma aus der Schweiz, das sehenden Auges in das berufliche Abseits schlitterte. Zuerst blind gegenüber den Warnzeichen des eigenen Versagens, dann unfähig zur Selbstkritik, als ihm schliesslich der eigene Nachfolger präsentiert wurde.

Selbstverwirklichung. Die bei Managern latent vorhandene Selbstüberschätzung: Sie steht dem Plan B im Wege. Wer felsenfest von sich überzeugt ist, glaubt nicht, dass er auf Alternativen angewiesen sein könnte. Oft kommt noch der Zeitdruck hinzu: Topshots haben eine dichte Agenda – Zeit zur Selbstreflexion bleibt kaum. Hinzu kommt: Wenn man dauernd an Opportunitäten denkt, verliert man den Fokus. «Das kostet zu viel Energie und lenkt ab», sagt Headhunter Sandro Rüegger.

Während Rolf Helfenstein der «Ich brauche einen Plan B, weil der Weg versperrt ist»-Typ ist, ist Rainer von Arx eher der «Ich habe es gesehen und mache etwas anderes»-Fall. Der 39-Jährige war Mitglied der Direktion bei der CSS Versicherung, bis er vor knapp einem halben Jahr seinen Dienst quittierte, um sich auf ganz anderen Gebieten selbständig zu machen. Heute tanzt er auf drei Hochzeiten. Von Arx hat erstens eine Künstlervermittlung – Kultur ist seine Leidenschaft, und in der Schweizer Slam-Poetry-Szene ist er als Organisator etabliert. Er hat sich zweitens am Unternehmen Innovation Factory beteiligt, das Dienstleistungen in visueller Kommunikation anbietet. Und drittens coacht er in seiner Firma Next-step in Olten Menschen bei der Laufbahnplanung und bei Entwicklungsfragen. Passend zum eigenen Lebensweg bietet er das Beratungsangebot «Meinplan b» an: Reflexion über das, was einem im Leben wichtig ist, die Entwicklung einer Vision, was man machen will, und dann die Begleitung der Umsetzung.

«Ich habe mit der Zeit gemerkt, dass ich viel von dem, was ich von meinem Alltag erwarte, im Beruf nicht bekomme.» Für seine Kreativität und die Begeisterung für die Kultur gab es wenig Platz und noch weniger Zeit, während er mehr und mehr zum Manager wurde und ein Team von 30 Leuten führte. Rainer von Arx hat keine Kinder, die Ansprüche sind eher bescheiden. Das hat den Entschluss zur Selbständigkeit noch beflügelt. «Einige Kollegen haben mir gesagt, dass sie auch gerne umsteigen wollen, ihr fehlender Mut oder ihre goldenen Fesseln sie jedoch halten.»

Lebensmotive. Der Weg aus dem sicheren Job war schleichend: Nachdem er ein Studium zum Executive MBA absolviert hatte, schloss er ein Masterstudium in Coaching an und reduzierte danach sein Pensum auf 80 Prozent, schrieb ein Fachbuch und engagierte sich für Kultur. Der Auslöser zu sagen, dass es nun reiche, war banal. «Ich hatte eine Produktidee, kam aber aus Zeitgründen nicht dazu, sie zu verwirklichen, und dann hat es jemand anders gemacht. Das hat mich wahnsinnig geärgert.» Ab da war es keine Option mehr, in der Firma zu bleiben – der «point of no return» war erreicht.

So radikal wie Helfenstein oder von Arx muss man gar nicht sein, um mit einem Plan B den Job und die Erwartung an das Leben deckungsgleich zu bringen. «Bei den meisten reicht eine Neujustierung als Plan B, damit sie wieder zufrieden sind», sagt Hermann Rühle. Er hat das Buch «Sie brauchen einen Plan B! Wie Sie beruflichen Krisen zuvorkommen» geschrieben und berät Leute, die im Beruf etwas verändern wollen.

Am Anfang steht die Standortbestimmung – wer wissen will, wohin er möchte, muss erst einmal wissen, wo er ist. «Ich beginne mit den Klienten darüber zu reden, was ihnen im Leben wichtig ist und ob sie das in ihrem Berufsalltag finden», sagt er. Rühle benutzt das Konzept der Lebensmotive, das der amerikanische Psychologe Steven Reiss entwickelt hat. Passen die Motive zu dem, was im Job verlangt wird, ist alles in Ordnung. Wenn nicht, sollte man etwas tun – Umstieg oder Ausstieg. Am Anfang steht das Nachdenken über die eigenen Werte. «Wenn man reflektiert, was man will, kommt im Kopf einiges in Bewegung.» Plötzlich ergibt sich der Plan B so fast von selbst.