Gen Z Agentur Zeam verlegt ihr Hauptquartier für einen Monat ins Hotel

Der Tag geht, die Tiktoker kommen. Ein Oktett an Social-Media-Creators entert das Wohnzimmer, in dem sich die Leute des Jungunternehmens Zeam fürs Abendmahl über leckere Mezze hermachen. Der hibbelige Trupp, Smartphone hochkant im Anschlag, ist zu Besuch hier. Wo manche Menschen, Babyboomers und andere Ahnungslose, bloss acht Menschen sehen, sieht Jo Dietrich etwas Grösseres: «Hier sind zwanzig Millionen Follower versammelt.» Dass acht Tiktoker in einen «Living Room» einfallen, mitten in ein Firmenessen, ist erklärungsbedürftig. Die Erklärung geht so: Jo Dietrich, 25, ist, zusammen mit Lebenspartnerin Yaël Meier, 21, Co-Gründer des Startups Zeam. Das Jungunternehmen, eine Mischform aus Unternehmensberatung und Marketing-Agentur, führt seine Kunden an die Generation Z heran. Zuerst immer remote, dann eine 180-Grad-Drehung Gegründet wurde Zeam im Februar 2020: «Seither», sagt Meier, «hat unser 21-köpfiges Team immer nur remote gearbeitet. Dann kam es zu einer 180-Grad-Drehung. Wir wollten für einmal, dass alle zusammen an einem Ort arbeiten, essen, trinken, Pancakes machen.» Zeam versucht das, was für die meisten Bürolisten das alte Normal ist: «Ein gemeinsames Büro, alle fix in der gleichen Location.» Besuch beim Nachtessen inklusive. Wobei diese Location nicht irgendein Industriebau, ein x-beliebiger Coworking-Space oder ein aufgehübschtes Industrie-Loft ist. Der Ort, an dem Zeam mit seinen Mitarbeitenden zwischen Mitte März und Mitte April residiert, ist ein Hotel. Oder besser gesagt: ein Pop-up-Hotel als Arbeitsraum für 21 Angestellte, alle zwischen 16 und 26 Jahren jung. Was für jeden unhippen Bürolisten normal ist, wird für Zeam zur Premiere: ein Hauptquartier für alle Angestellten, zum ersten Mal in der Firmengeschichte. Im Becozy Co-Living & Pop-up Hotel Zürich Sihlcity, sagt Yaël Meier, «sind nie alle 21 Angestellten aufs Mal da. Einmal waren es 16 auf einen Schlag, in der Regel sind sechs oder sieben permanent hier.» Ein stolzer Wert, verglichen mit anderen Firmen, die weiterhin im Homeoffice-Modus funktionieren und im Hauptquartier kaum durchgehend eine 30-prozentige Staff-Dichte hinbringen. Angestellte können auf Firmenkosten Freunde und Geschwister ins Hotel bringen Wie der Monat im Pop-up-Hotel bei Zeam läuft, kann die Aussenwelt ständig verfolgen. Fast jeder Schritt des Projekts «Zeam x Becozy Takeover» wird vom Jungunternehmen auf dem Karrierenetzwerk Linkedin und anderen sozialen Medien gepostet. Die Aufgabe von Zeam, sagt Co-Gründer Dietrich, sei es, den Kunden – dazu gehörten etwa Yves Rocher, Valora, Dosenbach oder Groupe Mutuel – einen Einblick in die Zukunft zu geben: «Da ist es naheliegend, selber auszuprobieren, wie sich die Zukunft anfühlt, mit Co-Living und Coworking.» Auch ein eigenes Learning sei dabei drin: «Wir optimieren quasi die Firma und ihre Arbeitsbedingungen.» Zwei Hotelzimmer seien über den ganzen Monat permanent angemietet, erklärt Yaël Meier, die Angestellten könnten zudem kurzfristige Übernachtungswünsche via Whatsapp anmelden und dabei auf Firmenkosten auch Freunde oder Geschwister mitnehmen ins «Hotel Arbeit». Klingt nach viel Betrieb. Und ist es auch. Dem aussenstehenden Beobachter zeigt sich der Arbeitsalltag von Zeam im Pop-up-Hotel in einer Mischung aus Wanderdisco, improvisierter Wahlkampfzentrale und Werbeagentur in der Nacht vor der allesentscheidenden Präsentation. Wenn es zu einem Ausflug komme, falle die Gruppe auf, sagt Yaël Meier: «Oft fragen uns die Leute, ob wir eine Schulklasse seien.» «Pfadilager 2.0» würden Babyboomer den reichweitenstarken Mix aus Arbeit, Freizeit und perpetueller virtueller Verausgabung vielleicht nennen. Ein geschützter und meist gut aufgeräumter Raum, wo Ideen Sex haben. Wobei dieser Buchtitel von Matt Ridley halt schon sehr 2011 ist. Im Living Room, wo die Schuhe draussen bleiben müssen und sich eine sorgfältig besockte kreative Crowd trifft, fällt öfters mal die Bemerkung, wie «mega connected» man sich hier fühle. «Mit der Event-Dichte haben wir uns wohl übernommen» Kommt dazu: Ständig läuft etwas. Während des Hotelmonats führt Zeam neben dem Tagesgeschäft unter anderem einen «Metaverse-Summit» durch und eine «Tiktok-Night», stellt eine Studie zur Generation Z vor, verreist mal ein Weekend en bloc ans St. Moritzer Electronic-Music-Festival SunIce oder empfängt das Follower-starke Tiktok-Oktett. Während der einmonatigen Büro-Probezeit kommt auch der spätpubertäre Freizeitspass nicht zu kurz. Mal flitzen alle im Pyjama zu einem Film in nahegelegenen Arena-Kino, ein anderes Mal lässt man sich im Filmsaal nieder, spielt auf der Kinoleinwand das Videogame «Mario Kart» und streamt das für die Follower. Vor dem Einzug ins Hotel am 16. März sei das Unternehmen zudem auf einer viertägigen Reise in Lissabon gewesen, erzählt Jo Dietrich: «Schon krass. Aber wir denken halt immer next-level.» Was ist das Learning aus dem Arbeitsmonat im Hotel? «Im Homeoffice ist jede und jeder bloss am Arbeiten, im stillen Kämmerlein. Hier aber geschieht ein inspirierender Austausch», sagt Yaël Meier. Eigentlich banal, aber wohl auch neu für ein Unternehmen, das seit seiner Gründung immer nur remote gearbeitet hat. Das Hotel-Arbeitsleben könne aber auch anstrengend sein, sagt Steiner: «Mit der Event-Dichte haben wir uns wohl übernommen. Aber das Projekt hat einen Anfang und ein Ende.» Natürlich wird dieses Ende am 16. April mit einer Moving-out-Party gefeiert. Dass im Hotel Arbeitszeit und Freizeit ineinanderfliessen und die junge Belegschaft so an oder über seine Grenze gehen könnte, glauben Yaël Meier und Jo Dietrich, Jung-Chefs und Jung-Eltern eines 14-monatigen Babys, nicht: «Zu Hause im Homeoffice sind diese Grenzen auch fliessend. Hier kommt der Austausch hinzu, der auch mal von der Arbeit ablenkt.» Sie fügen an: «Tatsächlich kann es mit all den Events, mit den vielen Besuchen von auswärts und dem täglichen Geschäft schon mal anstrengend werden. Dafür ist die soziale Interaktion stärker als im Homeoffice. Und dort kann man ja auch nicht immer streng zwischen Arbeit und Freizeit trennen.» Für die Angestellten ein günstiger Monat Für die Angestellten dürfte der Hotel-Monat eine günstige Sache sein. Die Hotelzimmer sind bezahlt, die Belegschaft kauft selber mal ein Frühstück oder die Zutaten für eine Mahlzeit ein. Sonst aber gilt: Wenn das Chef-Duo zum gemeinsamen Kochplausch oder zur Sammelbestellung über die Schnelllieferdienste Stash oder Uber Eats rufen, dann wird das auch vom Chef-Duo bezahlt. Übermässig teuer, sagt Jo Dietrich, komme das nicht. Was auf den gewaltigen Rückhall der Aktion in den sozialen Medien zurückzuführen sei. Reichweite ist nun mal die harte Währung in diesem Business. So hart, dass kurz nach dem online kundgetanen Einzug vier weitere Hoteliers Interesse signalisiert hätten, die Zeamsters in ihrem Haus unterzubringen, sagt Dietrich. Für den Aufenthalt im Becozy Sihlcity habe sich Zeam für ein Modell entschieden, das man «Media for Living» nennen könne. Man zahle bloss die Unkosten, für Becozy komme durch die Einschaltquoten der Social-Media-Beiträge viel geldwerter Ruhm zusammen. Beim Becozy-Betreiber klingt das etwas zurückhaltender: «Wir haben einen Deal mit Zeam, der dem Unternehmen erlaubt, freie Eventflächen kostenlos zu nutzen. Dies unter der Bedingung, dass die Events offen sind für alle Leute, die im Co-Living leben.» Und zur Fama, die für Becozy durch die ständigen Zeam-Postings entstünden: «Das hilft vor allem, um eine gewisse Markenbekanntheit für das Co-Living-Modell zu erzeugen. Wie sehr, wird sich noch zeigen.» «Ohne Selbstdarstellung keine sozialen Medien» Wenn Zeam die Zusammenarbeit an einem gemeinsamen physischen Ort – eigentlich die normalste Sache der Arbeitswelt – in den Social Media als Happening feiert, könnte vor 1995 Geborenen dazu möglicherweise das Wort «Selbstdarstellung» einfallen. Das Zeam-Gründerduo gibt diesem Wording keinen Like: «Selber würden wir das so wohl nicht sagen», meint Yaël Meier, «uns ist das Wort ‹Storytelling› lieber.» Aber natürlich zeige sich ein Teil der Generation Z gerne selber, das sei Teil des interaktiven Mechanismus. «Es ist nun mal so», sagt Yaël Meier, «ohne Selbstdarstellung keine sozialen Medien.» Das sei es unter anderem auch, was die Kohorte der ab 1995 Geborenen auszeichne, sagt Jo Dietrich: «Statt nur zu konsumieren, ist die Generation Z viel aktiver im Erstellen eigener Inhalte auf Plattformen wie Tiktok oder Youtube.» Ist es also Selbstoptimierung oder Selbstdarstellung, was Zeam mit seinem einmonatigen Hotel-Abstecher betreibt? Im Falle einer Agentur, die stark auf soziale Medien setzt, ist das wohl eine Huhn-oder-Ei-Frage. Als weniger reichweitenstarker Vertreter der Generation X könnte man zu dieser Einschätzung gelangen. Es ist beides, Selbstoptimierung und Selbstdarstellung. Vielleicht in dieser Reihenfolge: Selbstdarstellung zur Selbstoptimierung. Becozy: Ehemaliges Hotel in Zwischennutzung Das Schweizer Zwischennutzungsunternehmen Novac-Solutions hat das ehemalige Hotel Four Points Sheraton in der Zürcher Sihlcity seit Januar und noch bis Ende 2022 zum Co-Living-Konzept Becozy umfunktioniert. In der Art, wie Novac temporär das einstige Swissôtel Zürich-Oerlikon in eine Gross-WG verwandelt hatte, leben in einem Teil der vormals 132 Zimmer des Four Points Sheraton Sihlcity nun «Residents», die sich per Video bewerben und sich bei erfolgreicher Aufnahme für mindestens drei Monate im vormaligen Vier-Sterne-Hotel einmieten. Das kostet ab 1390 Franken im Monat; 20 Prozent Discount auf jede Konsumation im Parterre-Pop-up-Restaurant The Neighbourhood Sihlcity inbegriffen. Das Alter der Residents, berichtet Vermarkterin Joana Brotschi, reiche von 16 bis 75 Jahren. Studenten seien darunter, Startup-Gründerinnen, Versicherungs-CEO und Expats aus aller Welt, die ein neues Leben in der Schweiz beginnen. «500 Leute stehen aktuell auf der Warteliste», sagt Brotschi, welche die Video-Bewertungen als Gatekeeperin überprüft und sich «Becozy-Mother» nennt. Ein weiteres Hotel-Zwischennutzungs-Objekt von Novac-Solutions befindet sich im ehemaligen Basler Hotel Basilisk, das nun temporär als Becozy Basel firmiert. Als Resident vernetzt man sich im Becozy Co-Living & Pop-up Hotel Zürich Sihlcity online im Community-Chat via Whatsapp, kocht zusammen, erhält in der Küche eine Box zugewiesen mit Platz für eigene Lebensmittel, putzt sein Zimmer selber (Dyson-Staubsauger sind im Hotelflur parat, ebenso WC-Rollen zum Mitnehmen), arbeitet im hausinternen Coworking-Space und hängt nach bewältigter Workload miteinander im Co-Living-Room – bitte Schuhe draussen lassen – ab. Eigentlich eine grosse WG – mit dem kleinen, aber entscheidenden Unterschied, dass jeder Resident und jede Residentin in seinem Zimmer über eine eigene Nasszelle verfügt. Im anderen Teil des einstigen Four-Points-Sheraton-Hauses bietet Novac-Solutions Hotelzimmer im Self-Check-in-Konzept an.

Gen Z Agentur Zeam verlegt ihr Hauptquartier für einen Monat ins Hotel

Plötzlich so mega connected: Ein Startup verlegt die Firma ins Hotel