Warum arbeiten Sie eigentlich?», fragt Dieter Lange jeden CEO, der sich von ihm coachen lassen will. Und? «Keiner kann mir das spontan beantworten», sagt Lange, Geschäftsführer des Instituts für angewandte Kreativität im deutschen Bendestorf.

Das ist kein Wunder. Bis vor kurzem noch als Helden verehrt, sind die CEOs heute von allen Seiten unter Beschuss. Im Namen der Aktionäre und unter dem Druck der Öffentlichkeit üben Verwaltungsräte ihre Aufgabe mit nie da gewesener Intensität aus. In den Sitzungszimmern der Konzernzentralen platzt ihnen rasch der Kragen, wenn die Performance des Managements nachlässt. Misstritte und Fehlverhalten, bei denen sie noch vor wenigen Jahren ein Auge zugedrückt hätten, reichen heute für eine Kündigung. Die Fehlertoleranz tendiert gegen null.

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Ein Drittel seiner Zeit brauche er allein für die Beantwortung der Anfragen des Aufsichtsgremiums, sagt der CEO eines grossen Schweizer Konzerns. Die Anfragen seien legitim, eine bessere Corporate Governance hätten sich schliesslich alle gewünscht, und sie sei auch gut. Aber? «Kein Aber, das ist jetzt einfach so.» CEOs an der kurzen Leine, das kommt nicht von ungefähr. Boards müssen Vertrauen gutmachen. Das ergab die Umfrage, die das Marktforschungsinstitut DemoScope im Auftrag von Knight Gianella & Partner mit 150 Opinion-Leadern durchgeführt hatte. Die Schweizer Verwaltungsräte schnitten bei der Vertrauensfrage mit einem Notendurchschnitt von 3,58 (Bestwert 6) schlecht ab.

CEOs haben einen schweren Stand. Die aufgeflogenen Bilanzfälschungen und Abzockerpraktiken haben ihrem Ansehen generell sehr geschadet. Mit Schlagworten wie Selbstbedienungsmentalität, Machtgier, Abzockerei werden einst hochgejubelte Firmenlenker gesellschaftlich geächtet. Die gefallenen Stars werfen lange Schatten. «Raffgierig, skrupellos und korrupt» – in einem Nachwuchswettbewerb des deutschen «Manager-Magazins» kanzeln die Jungen eine ganze Managergeneration mit diesen Attributen ab. In ihrem Urteil handelt es sich bei den Wirtschaftsbossen der jüngsten Vergangenheit um eine Elite, die sich mehr ums eigene Wohl als um das Wohl des Unternehmens kümmerte und die damit immense Schäden angerichtet hat.

Prügelknabe CEO? «Das stimmt», sagt Martin Wittig, Chef Schweiz des Beratungsunternehmens Roland Berger. «Die Firmenlenker stehen am Pranger. Wer heute CEO sein will, muss öffentliche Kritik ertragen können.»

In der Mangel der Verwaltungsräte, am Pranger der Öffentlichkeit reagiert die Mehrheit der CEOs gleich: «Über 60 Prozent sind heute angstgetrieben», sagt Dieter Lange, der als Seminarleiter fürs Topmanagement auch in grossen Schweizer Konzernen tourt.

Ein CEO, der Angst hat, hat keinen Mut. Hat er keinen Mut, bringt er keine neuen Ideen. Ohne neue Ideen bleibt ihm zur Sicherung seiner Position nur eins: Kosten senken. Und zwar rasch. Laut einer Umfrage des Beratungsunternehmens Burson-Marsteller gewähren Verwaltungsräte den Firmenbossen nur noch fünf Quartale, um positive Resultate auf den Tisch zu legen. Das ist fatal: «Statt dass aus einer Raupe ein Schmetterling wird, wird aus ihr eine bessere Raupe», sagt Lange. Und: «Wer Angst hat, gibt Angst weiter.» Die Folge: Treten an Ort, Hoffen auf bessere Zeiten und Durchbeissen.

«Was braucht es, um die Krise zu meistern?», fragt Christian Muggli, Leiter des Schweizer Geschäfts der Executive-Search-Firma Egon Zehnder International, wenn er im Rahmen der gerade laufenden Umfrage mit CEOs grosser Schweizer Konzerne am Tisch sitzt. Das Ergebnis dieser Gespräche wird er am 1.Oktober im «Lake Side Casino» in Zürich mit einer Veranstaltung unter dem Titel «Management in der Krise» präsentieren und hält sich noch bedeckt. Nur so viel: «Ein Chef muss das Geschäft verstehen», sagt Muggli, «die Zeiten, als wir einen guten Mann überall platzieren konnten, sind vorbei.» Die Businesswelt sei derart schnelllebig geworden, die Entscheidungskadenz derart kurz, «dass es nicht mehr drinliegt, dass sich jemand zuerst einarbeiten muss.» Muggli, der viele Schweizer CEOs persönlich kennt, erfährt täglich aus erster Hand, dass der Topjob sehr viel härter geworden ist: geschrumpfte Gestaltungsräume, gewachsene Anforderungen. Coach Dieter Lange, den die Bosse manchmal in ihr Herz blicken lassen, behauptet: «Freude am Job hat keiner mehr, höchstens Spass.»

Druck von oben, unten, innen, aussen – vielen vergeht die Lust auf das Spitzenamt. Und doch bleiben sie, solange es geht. Denn wer einmal versagt hat, dem wird nicht so rasch verziehen. «Ein entlassener CEO braucht bis zu zwei Jahre, um wieder auf die Beine zu kommen», sagt Fredy Isler, Direktor des Executive-Search-Unternehmens Spencer Stuart in Zürich. Hat ein gescheiterter CEO auch noch Prozesse am Hals, wie Ex-Swissair-Chef Philippe Bruggisser, kann er seine berufliche Karriere ganz vergessen. «So jemand findet höchstens noch eine Stelle in einer nicht kotierten Gesellschaft oder ganz weit weg von hier», sagt ein anderer Headhunter.

Die letzte Stufe der Karriereleiter verliert laufend an Reiz. Manager verharren lieber auf der zweiten oder dritten Führungsebene, geschützt vor dem Scheinwerferlicht und ausgestattet mit bedeutend mehr Freiheiten. Laut Burson-Marsteller hätten 54 Prozent der Konzernleitungsmitglieder grosser US-Konzerne im Jahr 2002 ein allfälliges Angebot auf den CEO-Posten ausgeschlagen. 2001 winkten noch 26 Prozent ab. «Viele gute Leute sitzen in guten Positionen und sind nicht unbedingt wechselwillig», sagt auch Egon-Zehnder-Mann Muggli. Für seine Gilde sind die Zeiten rau geworden. In den USA werden Zauderer sogar schon mit einem so genannten «golden hello» geködert. Drei Millionen Dollar hat beispielsweise der damalige Hewlett-Packard-Topshot Michael Chapellas allein dafür kassiert, dass er sich zur Entscheidung durchrang, bei WorldCom das CEO-Amt zu übernehmen.

In der Schweiz macht nun die amerikanische «deliver or depart leadership» Schule, auch «golden hellos» kommen vor. «Gute Leute sind nicht einfach zu bewegen», sagt Muggli. Dazu bürgern sich neben vertraglichen Anstellungszusagen von «12 bis maximal 24 Monaten» (Muggli) nun auch Abfindungen ein, die zu bezahlen sind, falls das Unternehmen fusioniert oder verkauft und der Kandidat überflüssig wird. Spätestens nach der Entmachtung von Valora-Chef Reto Hartmann ist aber klar geworden, dass eine vertragliche Vereinbarung keine Garantie mehr ist. Um gar nicht erst in Rechtfertigungszwang zu kommen, hat der Verwaltungsrat Hartmann mittels «fristloser Entlassung» vor die Tür gesetzt. Der 45-jährige Hartmann sieht seit dem 11. Juni keinen Franken mehr von Valora; 18-monatige Kündigungsfrist hin oder her.

Da nicht nur die Löhne und Boni, sondern auch die Höhe von Abfindungen publik werden, sind die Manager mit ihren Forderungen sowieso vorsichtig geworden. PR-Stratege Rainer Westermann etwa erhält regelmässig Anrufe von potenziellen CEOs, die fragen, was es für ihren Ruf bedeuten würde, wenn sie die ausgehandelten Konditionen akzeptierten. «Die Anfragen kommen aus der Angst, in der Öffentlichkeit von vornherein als Abzocker dazustehen», sagt Westermann.

Ein CEO mit einem anderen als einem einwandfreien Ruf: eine schwere Hypothek. Laut einer Umfrage von Burson-Marsteller prägt der Chef mit einem Einflussfaktor von 64 Prozent wesentlich die Reputation des gesamten Unternehmens. Diese Reputation wiederum gilt als eines der höchsten Güter eines Konzerns überhaupt. Das will die US-Firma Aon Corporation mit ihrer Studie belegen, die ergab, dass sich Board-Mitglieder weit weniger vor terroristischen Anschlägen oder Angriffen durch Hacker fürchten als vor dem Verlust der Reputation.

Nur ja nichts Falsches sagen, nur ja nichts Falsches tun. Abgeschreckt durch illustre Beispiele von steilem Aufstieg und freiem Fall, gehen die Spitzenmanager als Gebrandmarkte in Deckung. «Das ist falsch», kritisiert Westermann, «ein CEO muss sichtbar sein.»

Daniel Vasella, Chef des Pharmakonzerns Novartis, ist sichtbar. Nach Kräften bemüht er sich um Publicity. Noch vor Jahren als Versager betitelt, wird er heute als «Superstar Daniel Vasella» («Facts») gefeiert – notabene nach einem kaum zu überbietenden Personenkult, den er mit dem Argument betrieben hat, in den USA brauche ein Konzern ein Gesicht, um bekannt zu werden. Er schrieb das Buch «Magic Cancer Bullet» und zeichnet darin minutiös den Leidensweg seiner krebskranken Schwester nach. Im US-Wirtschaftsmagazin «Fortune» publizierte er einen Aufsatz mit dem Titel «Geständnisse eines CEO».

Was diese Offensive Novartis bringt, steht in den Sternen. Daniel Vasella haben diese Auftritte jedenfalls berühmt gemacht. Das wiederum macht das Ganze für viele suspekt: «Hebt er ab?» Sicher ist, Vasellas Job wird mit seiner Bekanntheit nicht einfacher. Er muss sich an seinen Worten messen lassen – «walk the talk», Einklang von Wort und Tat, heisst das Gebot. Kein CEO kann es sich mehr leisten, dem nicht zu entsprechen.

Schon allein deshalb hätten Kommunikationsberater aus unseren Breitengraden Vasella von seinen ichbezogenen Auftritten abgeraten. «Ein CEO soll wohl präsent sein», sagt Westermann, «aber der Star ist das Unternehmen.» Erst wenn es einem Chef nicht um sich selber gehe, sei er glaubwürdig. Und Glaubwürdigkeit wird heute gross geschrieben.

«Um glaubwürdig zu sein, muss ein CEO gradlinig sein, konsequent, transparent und persönlich bescheiden», resümiert Westermann die Ergebnisse einer entsprechenden Umfrage. Martin Wittig, Chef Schweiz des Beratungsunternehmens Roland Berger, nennt Männer mit diesen Eigenschaften «Rolf-Dörig-Typen»: Sie stellen das Unternehmen über sich selber, sind keine Selbstdarsteller – und haben eine weisse Weste.

Rund um den Globus werden von einem CEO heute Kompetenz und Glaubwürdigkeit verlangt. Der Nachwuchs aus Deutschland, der beim «Manager-Magazin» spielerisch den «CEO of the Future» erschuf, fordert zudem, die Verantwortung sei Männern und Frauen zu übergeben, welche die Moral nicht dem Erfolg opfern wollen, die in einer persönlichkeitsschützenden Balance von Berufs- und Privatleben agieren. All das braucht es, findet auch Dieter Lange. «Aber das reicht nicht.» Damit aus einer kompetenten Fachkraft eine Führungskraft wird, «muss sie eine Persönlichkeit sein und ein liebender Mensch», sagt der Coach. «Das ist die Führungsqualität Nummer eins.» Einem, der die Welt liebe, das Leben, die Menschen, sich selbst und seinen Beruf, dem folgten die Leute, «und darauf kommt es an».

Laut Lange wimmelt es in der Schweizer Konzernlandschaft von solchen Talenten. Gefesselt vom «Absicherungswahn» (Lange), können sie ihre Kraft aber nicht entfalten. Zuversicht ist gefragt und Begeisterung und Mut statt Angst.