Hersteller und Vermarkter müssen seit 1. Januar 2006 neue Anforderungen an die Information auf den Verpackungen und an die Verpackungsmaterialien selbst beachten. Den Konsumenten wie auch den Behörden schulden sie neuerdings Aufschluss über verschiedene Sachverhalte, die bisher zu den Betriebsinterna gehörten.

Produzenten und Handel müssen ihre Produkte auch nach dem Inverkehrbringen im Auge behalten. Die Anpassung des Lebensmittelhygienerechts der EU in Form von 34 Verordnungen erstreckt sich nicht nur auf die Lebensmittel. Neuerungen gelten auch für die Gebrauchsgegenstände und die Bedarfsgegenstände, zu denen u.a. die Verpackungsmaterialien für Lebensmittel gehören.

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Quadratur des Kreises

Die beiden früher separaten Erlasse «Lebensmittelverordnung» und «Gebrauchsgegenständeverordnung» wurden zur Lebensmittel- und Gebrauchsgüterverordnung (LGV) vereinigt und durch neue Vorschriften für Produzenten und Handel ergänzt. Dabei wurden auch verschiedene Produkte, für die es früher keine Vorschriften gab, gesetzlich geregelt und dafür Kennzeichnungspflichten eingeführt wie beispielsweise für Tattoo- und Permanent-Make-up-Farben, Piercings, afokale und kosmetische Linsen.

Die Angabe der vorgeschriebenen Produktdeklarationen «an gut sichtbarer Stelle in leicht lesbarer und unverwischbarer Schrift», wie es die LGV für Lebensmittel und Gebrauchsgüter verlangt, wird vor allem bei kleinformatigen Produkten, die in Selbstbedienung verkauft werden, zu einer Quadratur des Kreises. Denn sobald die Verpackungsgrösse ihren Inhalt wesentlich übersteigt, hagelt es Vorwürfe wegen der Ressourcenverschleuderung durch Verpackungsmüll oder es ertönt gar das Verdikt der illegalen «Mogelpackung». Dabei wächst das Volumen der Deklarationen ständig an.

Zwar wird seit 1.1.2006 von der LGV für die Kennzeichnung von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen nur noch eine einzige Amtssprache verlangt. Allerdings macht die Verordnung des Eidg. Departements des Innern (EDI) über kosmetische Mittel (VKos) und die Spielzeugverordnung (VSS) wieder eine Ausnahme, indem sie für die Kennzeichnung drei Amtssprachen vorschreiben. Die ebenfalls neue Verordnung des EDI über Bedarfsgegenstände verlangt zwar eine Kennzeichnung, schweigt sich aber über die Sprache aus. Doch wer seine Erzeugnisse in der Schweiz in allen Landesteilen absetzen will, ist nach wie vor auf die Platz fressenden mehrsprachigen Beschriftungen angewiesen.

Wer Verpackungen herstellt, Produkte verpackt oder Verpackungsmaterialien bzw. verpackte Produkte in Verkehr bringt, ist gut beraten, sich in die umfangreichen Vorschriften zu vertiefen, um keine Risiken einzugehen. So bekam die Verordnung über Bedarfsgegenstände Vorschriften über aktive und intelligente Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, die Haltbarkeit zu verlängern oder den Zustand von verpackten Lebensmitteln zu erhalten oder zu verbessern. Sie müssen so gekennzeichnet werden, dass ihre Funktion und ihr Verwendungszweck klar erkennbar sind. Und es müssen sogar die Bezeichnung und die Menge der Stoffe angegeben werden, die durch den aktiven Bestandteil an das Lebensmittel abgegeben werden.

Während sich früher ein Produzent nach dem Inverkehrbringen seines Erzeugnisses gleichsam im Fauteuil zurücklehnen konnte, hat die Schweiz im Bereich der Lebensmittelgesetzgebung eine Anleihe bei der EG-Produktsicherheitsrichtlinie gemacht und die dort enthaltene Produktbeobachtungspflicht eingeführt. Sie gilt für Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände. Falls der Entwurf für ein Produktsicherheitsgesetz (PSG) das soeben abgelaufene Vernehmlassungs- und ein künftiges Gesetzgebungsverfahren unbeschadet übersteht, würde die Produktbeobachtungspflicht auch für alle übrigen Produkte gelten, für die sie nicht bereits in der Gesetzgebung verankert ist wie beispielsweise im Heilmittelgesetz samt Arzneimittelverordnung und Medizinproduktverordnung.

Oberste Verantwortung

Die LGV umschreibt ausführlich die Produktbeobachtungspflicht und die vom Verantwortlichen daraus zu ziehenden Konsequenzen. Eine solche verantwortliche Person muss gemäss LGV für jeden Lebensmittelbetrieb ernannt werden, und sie hat neben der Unternehmensleitung die oberste Verantwortung für die Produktsicherheit. Die LGV stellt die Betriebe, welche Gebrauchsgegenstände herstellen, verarbeiten, behandeln, lagern, transportieren, kennzeichnen, anpreisen oder abgeben, den Lebensmittelbetrieben gleich. Folglich müssen auch diese Betriebe eine für die Produktsicherheit verantwortliche Person ernennen.

Massnahmen treffen

Wenn nun diese Person feststellt oder Grund zur Annahme hat, dass Lebensmittel oder Gebrauchsgegenstände aus dem Betrieb die Gesundheit gefährdet haben oder gefährden können, muss sie unverzüglich die von der LGV vorgeschriebenen Massnahmen treffen, falls das Produkt nicht mehr unter unmittelbarer Kontrolle des Betriebs steht. Sie muss die zuständige kantonale Vollzugsbehörde informieren, sie muss die Produkte vom Markt nehmen und sie muss die Produkte zurückrufen, falls sie bereits bei den Konsumenten sind. Darüber hinaus muss sie die Konsumenten sogar «effektiv und genau über den Grund des Rückrufs informieren».

Das sind für die Schweiz völlig neue Pflichten. Man erinnere sich an den Fall, da Druckfarbenspuren aus Kartonverpackungen in Babyfood gelangten. Unter dem neuen Regime der LGV müsste nicht nur der Hersteller des Endprodukts, sondern auch der Lieferant des bedruckten Kartons diese Massnahmen aus eigenem Antrieb ergreifen. In einem solchen Fall drängt sich die Frage auf, ob der Hersteller das Rückrufrisiko in seiner Betriebshaftpflichtversicherung abgedeckt hat und ob die Deckung hinreichend ist, denn öffentliche Rückrufe in den Massenmedien können teuer werden.

Eine Besonderheit findet sich in der Verordnung des EDI über Bedarfsgegenstände im 4. Abschnitt über Zellglasfolien (Cellophan). Danach müssen die Hersteller, Verarbeiter oder Importeure dem Bundesamt für Gesundheit neue Erkenntnisse über gesundheitsschädigende Eigenschaften dieser Stoffe unaufgefordert und unverzüglich mitteilen. Man darf also künftig Augen und Ohren nicht mehr verschliessen vor Meldungen in der einschlägigen Fachpresse und in den Massenmedien, wonach bestimmte Erzeugnisse gefährlich sein können und man muss Kundenbeschwerden über seine Produkte ernst nehmen.

Die Forderungen der Null-Risiko-Lobby sind kontraproduktiv

Die Informationsflut auf Verpackungen versiegt nicht. Der Fortschritt von Wissenschaft und Technik fördert laufend neue Erkenntnisse über Risiken von Produkten und ihren Ausgangsmaterialien zutage. Und sogleich sind auch die besorgten Meinungsbildner auf dem Plan, die sofort und mit Nachdruck eine entsprechende Deklaration auf den Verpackungen verlangen, selbst wenn das Risiko nur potenziell oder sehr minim ist. Die Null-Risiko-Lobby ist hierzulande sehr effizient am Werk.

Auch wenn man den Konsumentinnen und Konsumenten das Recht nicht absprechen darf, zu wissen, was sie essen und zu erfahren, welche Gefahren ihnen von einem Lebensmittel oder Nonfood-Produkt drohen, um dem Risiko durch Konsumverzicht aus dem Weg zu gehen, taucht die Frage nach einem «Ende der Fahnenstange» auf.

Die Ideallösung der «terribles simplificateurs» ist nicht gangbar, nämlich der totale Verzicht auf jede potenziell gefährliche Substanz in Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen. Das würde mit mehr als nur einer Dezimierung der heutigen Angebote und Produktaufmachungen erkauft, also mit einer radikalen Sortimentsreduktion, die zu Betriebsschliessungen und einer allgemeinen Verarmung führen würde.