Unter Strategie wird in der Wirtschaft klassisch das (meist langfristig) geplante Verhalten der Firmen zum Erreichen ihrer Ziele verstanden (siehe auch Seite 49). Dazu baut man zunächst ein Gerüst zukünftiger Trends von Nachfrage und Wettbewerb und analysiert die Handlungsoptionen des eigenen Unternehmens bezüglich dieser Variablen.

Aus Risikosicht stellt sich die Frage, welche Handlungsoptionen das Unternehmen selbst bezüglich dieser Variablen hat, wovon die Planungsgrössen, aus denen Planbilanzen und Plan-Gewinn-und Verlust-Rechnung (GuV) abgeleitet werden, beeinflusst werden und welche internen und externen Faktoren hier Abweichungen verursachen können. Diese Risiken oder Unsicherheiten sind somit nicht - weil in der Geschäftsplanung inhärent - als Bedrohung, sondern als strategische Chance zu sehen und sollten auch als solche begriffen und genutzt werden.

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Vollständige Risikotaxonomie

Um diese Fragen systematisch zu adressieren und zu beantworten, muss zunächst eine möglichst vollständige und schnittmengenfreie Risikotaxonomie entwickelt und müssen dann die Risiken gemessen werden. Hierdurch erst kann das existierende oder zu erwartende Risikoportfolio einer operativen oder strategischen Entscheidung der Risikotragfähigkeit der Firma gegenübergestellt werden. Letztere beinhaltet neben dem Vorhandensein eines Kapitalpuffers auch, sich abzeichnende akute Drohszenarien rechtzeitig zu erkennen und mit Massnahmen Verluste zu vermeiden oder zu begrenzen.

Das klassische Resultat einer strategischen Planung ist die Prognose künftiger Cashflows, die über den Planungszeitraum abgebildet und in der Regel als Ergebnis bestimmter Einflussgrössen abgeleitet werden. Die Risikoperspektive in diesem Kontext wird dann meist in Form von Szenarien hinzugefügt, indem durch die Veränderung der Annahmen die Cashflows direkt gestresst werden.

Bei diesem Ansatz werden weder funktionale oder stochastische Zusammenhänge zwischen einzelnen Annahmen noch die Verteilungen der Eingangsvariablen berücksichtigt. Sich verstärkende oder kompensierende Effekte makroökonomischer Variablen bleiben so in der Analyse aussen vor.

Angemessene Komplexität nötig

Die Voraussetzung für eine «echte» Risikobetrachtung ist somit der Einbezug stochastischer Elemente, indem die Cashflows als meist von makroökonomischen Kenngrössen getriebene Verteilungen abgebildet werden. Natürlich muss auf eine angemessene Komplexität geachtet und die Wirkungen und Interdependenzen müssen richtig verstanden werden. Sonst besteht das Risiko, dabei nicht mehr «ungefähr richtig», sondern «genau falsch» zu liegen.

In einem weiteren Schritt ist das nunmehr stochastisch erweiterte Cashflow-Modell in die Plan-GuV- bzw. Planbilanz überzuführen, um entsprechende Konfidenz-Korridore für die künftigen Kennzahlen zu bestimmen. Durch eine Ergänzung dieser Analyse in Form eines umfassenden Stresstestings können dann zugehörige Szenarien ermittelt werden, um nicht nur eine Idee möglicher zukünftiger Entwicklungen, sondern auch mögliche betriebs- und volkswirtschaftliche Hintergründe für deren Eintreffen zu erhalten.

IT und Fortschritte in der Methodik der Risikomessung und des Risikomanagements ermöglichen es heute, Risiken für die strategische und operative Planung in viel grösserer Genauigkeit zu bewerten, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war. Damit können strategische Entscheide realistischer hinterfragt und Massnahmenpläne entwickelt werden, die in adversen Szenarien eine Schadensbegrenzung ermöglichen.

Der Einsatz dieser Techniken verlangt Anpassungen des strategischen Planungsprozesses und die Bereitschaft des Managements, sich mit Eventualitäten und deren Plausibilität zu befassen. Es gilt das Paradigma, dass selbst das sein kann, was man kaum für denkbar hält. Dafür erhält man Strategien und Reaktionsplanungen, die auch unter hoch volatilen und adversen Bedingungen noch funktionieren.