BILANZ: Herr de Weck, sind Sie hinterhältig?

Roger de Weck: Nein, aber wäre ich hinterhältig, würde ich die Frage wohl ebenfalls verneinen.

Das warf Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument der SRG am jüngsten Verlegerkongress zum Thema Online-Werbung vor. Der Bundesrat hat der SRG Online-Werbung vorerst verboten.

Es gab Kommentare, wonach das eine Ohrfeige für die SRG sei, und entgegengesetzte Kommentare, wonach die SRG triumphieren dürfe. Eine solche Bandbreite von Meinungen deutet darauf hin, dass der Bundesrat einen salomonischen Entscheid getroffen hat.

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Die Bezeichnung «hinterhältig» trifft Sie nicht?

Ich schiele krass, das gute Auge sieht sehr scharf, das schlechte Auge sehr unscharf, was den Vorteil birgt, vieles zu übersehen.

Sie sind ein Online-Verfechter. Empfinden Sie den Bundesratsentscheid als persönliche Niederlage?

Das Internet ist audiovisuell, weswegen die Aufgabe des audiovisuellen Service public im Internet-Zeitalter noch wichtiger wird – also braucht er Zukunftsperspektiven. In Sachen Online-Werbung wurde die Perspektive nicht verschlossen, in Sachen audiovisuelles Online-Angebot wurde behutsam eine Perspektive aufgetan.

Verstehen Sie die Ängste der Verleger?

Ja, aber: In den USA hat der Service public weniger als zwei Prozent Marktanteil, doch der Presse geht es schlechter als in der Schweiz. Die SRG ist gewiss nicht das eigentliche Problem der Verleger. Die Schweiz zählt acht Millionen Einwohner, davon drei Millionen Facebook-Nutzer: Die grösste Internetplattform im Land ist Facebook. Die Globalisierung ist die Herausforderung – nicht die SRG.

Die SRG konkurrenziert online das Kerngeschäft der Verlage, bezieht aber Gebührengelder. Das geht nicht.

In Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern reichen im Wesentlichen die Gebühreneinnahmen; die Werbeeinnahmen machen bloss etwa fünf Prozent des Budgets von ARD und ZDF aus. Wir sind aber in der kleinen Schweiz mit zehnmal weniger Gebührenzahlern und mit Programmen in vier Sprachen statt nur auf Deutsch. Deshalb hat der Gesetzgeber die Mitfinanzierung des Service public durch Werbung vorgesehen. Bei der SRG macht sie 25 Prozent der Erlöse aus.

Der Punkt ist, dass die SRG Gebührengelder für den Online-Bereich einsetzt und so mit den Verlagen direkt konkurriert.

Die SRG muss wie jedes Medienhaus das Publikum dort erreichen, wo es ist: zusehends im Internet. Es wäre verrückt, jährlich 1,6 Milliarden Franken in die Schweizer Video- und Audioproduktion zu investieren, diese aber nicht auch im Internet zur Geltung zu bringen.

Online-Ausbau heisst gemäss Ihrer Argumentation also: sparen oder Gebühren erhöhen.

Der Werbemarkt verlagert sich unaufhaltsam ins Internet. Bliebe die SRG auf Dauer vom Internetwerbemarkt ausgeschlossen, würde sie allmählich nur noch gebührenfinanziert. Es wäre ein schleichender Systemwechsel. Die Werbung geht dorthin, wo die Menschen sind. Und die sind mehr und mehr im Internet.

Die SRG verdient doch immer noch gut mit TV-Werbung.

In der Tat, wobei schon dieses Jahr unsere Werbeerlöse merklich zurückgehen.

Was entgeht der SRG durch das Online-Werbeverbot?

Viele Werbekunden wollen Werbespots für das Massenpublikum, ergänzt mit Online-Werbung für spezifische Zielpublika. Die SRG darf solche crossmediale Werbung nicht anbieten, im Gegensatz zu den deutschen und französischen Werbefenstern. Das ist ein Wettbewerbsnachteil, der in der Schweizer Diskussion selten erörtert wird.

Es ist nicht nur eine innerschweizerische Debatte. Auch in Deutschland wird heftig debattiert.

Wir sollten uns vielmehr mit kleinen Ländern vergleichen. Irland, Belgien und Österreich – auch sie kleine Staaten mit gleichsprachigen grossen Nachbarn, deren potente TV-Kanäle das einheimische TV heftig konkurrenzieren – gestatten dem Service public Online-Werbung, um ihn zu stärken. In ein paar Jahren wird man über diese Debatte den Kopf schütteln.

Irren Bundesrat und Verleger?

Gäbe es keinen Service public oder nur noch ein SRG-Rumpfangebot, wären die Probleme der Presse keineswegs entschärft. Ohnehin geht es der Presse nicht so schlecht, wenn sie sich den Luxus leisten kann, Jahr für Jahr die nicht matchentscheidende Debatte über die SRG zum zentralen Thema des Verlegerkongresses zu erheben.

Die SRG macht nach Jahren wieder Gewinn. Wie läuft es 2012?

Gut. Wobei die SRG mehr leisten muss – mit tendenziell weniger Geld und vorübergehend steigenden Kosten der Umstellung auf digitale Produktion. Zum Radio und Fernsehen kommt nunmehr das unerlässliche Online-Angebot hinzu, während die Werbeeinnahmen abnehmen. Von allfälligen Sondereffekten abgesehen, bleiben wir aber trotzdem in den schwarzen Zahlen.

Was sind künftig die grossen Kostenblöcke?

Früher hat man Radio und Fernsehen mit Apparaten gemacht, heute mit Software. Anders gesagt: Die SRG ist für die nächsten Jahre eine grosse, kostspielige IT-Baustelle. Ich halte das für das grösste Risiko meiner Amtszeit. Wir haben es im Griff.

Einiges kostet auch der Systemwechsel bei der Pensionskasse.

Noch haben wir eine der letzten grossen Pensionskassen mit Leistungsprimat. Mit dem Sozialpartner verhandeln wir über den Wechsel zum Beitragsprimat. Überdies hat die Pensionskasse einen zu hohen technischen Zinssatz von vier Prozent, den wir senken werden. Beides kostet Unsummen, und das stemmen wir aus eigener Kraft.

Ein dreistelliger Millionenbetrag?

Im Jahr, in dem wir entsprechende Rückstellungen vornehmen, wird die SRG tief in die roten Zahlen tauchen. Im Gegensatz zu andern Service-public-Unternehmen hat der Bund die SRG-Pensionskasse nie rekapitalisiert.

Wo stehen Ihre Sparprogramme?

Einerseits laufen überregional Effizienzprogramme. Andererseits entfaltet sich die Eigeninitiative der Unternehmenseinheiten in den vier Sprachregionen und bei Swissinfo. SRF-Direktor Ruedi Matter ist daran, einen nicht geringen Teil seines Budgets zugunsten neuer Angebote umzuwidmen.

Gibt es weitere Sparmassnahmen auf Stufe SRG?

Eine ganze Reihe. Wenn Sie Wert legen auf ein ödes Interview, kann ich die Massnahmen detaillieren.

Aber die Mitarbeiter interessiert es.

Zum Beispiel setzen wir bei sämtlichen Supportfunktionen an: je unspektakulärer, desto wirksamer.

Die Banken geben jeweils konkrete Spargrössen vor. Was ist das Ziel der SRG?

Abgesehen von Sondereffekten wie der Pensionskasse, wollen wir einen ausgeglichenen Haushalt. Und falls möglich reinvestieren wir eingespartes Geld in die Programme. Mit den vorhandenen Mitteln, verteilt über vier Sprachregionen, schaffen wir derzeit rund 20 Prozent originäre Schweizer Produktion.

Was wenig ist. ARD und ZDF kommen auf 70 bis 80 Prozent.

Klar, das ZDF hat für Fernsehen in einer Sprache 20 Prozent mehr Geld als die SRG für Radio und Fernsehen in vier Sprachen. Uns ist es 2011 immerhin gelungen, die Eigenproduktionen von 19 auf 21 Prozent zu steigern. Grosse Sprünge liegen nicht drin, aber wir schrauben, schrauben, schrauben.

Der grosse de-Weck’sche Wurf bleibt aus?

Ich halte wenig von Managern, die einfahren. Zudem bin ich kein Manager und will keiner sein. Ich führe das Unternehmen, ich manage es nicht.

Wie definieren Sie den Begriff Manager?

Die Triathletin und Olympiasiegerin Nicola Spirig ist auf eine Art mein Vorbild. Der Dreiklang nämlich ist es: Ich fühle mich bei der SRG im Element, da ich Kompetenzen in der Unternehmensführung, im Medialen und im Umgang mit der wunderbaren, sonderbaren schweizerischen Gesellschaft verbinde.

Für Manager stehen die Zahlen im Fokus. Sie hingegen nerven sich über die Debatte der sinkenden Quote.

Die Quote ist im digitalen Zeitalter eine unzulängliche Messgrösse, da sie einen wachsenden Teil des Publikums nicht erfasst. 2013 wird das etwas besser. Da wird man die zeitversetzte Nutzung von Radio und Fernsehen bis sieben Tage zurück und die Nutzung am Computer messen können, noch immer nicht aber die emporschnellende Smartphone- und Tabletnutzung.

Die Verlagerung ins Internet trifft alle Medienunternehmen.

Schon, aber das hiesige Publikum nutzt unser Online-Angebot viel stärker als das von RTL, Sat.1 oder ProSieben. Die Presse verliert Leser, die auf Papier lesen, und gewinnt Leser im Internet. Wir verlieren tendenziell Zuschauer im Kanal und gewinnen tendenziell Zuschauer im Internet.

Sie sind weniger Betriebswirtschaftler als vielmehr Inhaltejournalist. Wie weit können Sie diese Seite als SRG-Chef einbringen?

Gibt es Winzer, die den Inhalt ihrer Flaschen nicht trinken? Bei ihnen würde ich keinen Wein kaufen.

Aber der Winzer stellt seinen Wein noch selbst her. Wie weit sind Sie an der Herstellung noch selbst beteiligt?

Ich bin im Wechselspiel mit dem VR zuständig für die Arbeit an der Angebotsstrategie: für die längeren Entwicklungslinien. Aus den einzelnen Sendungen halte ich mich heraus.

Wie wird sich der TV-Markt entwickeln?

In Bälde wird der Zuschauer gar nicht mehr wissen, ob das Angebot auf dem Bildschirm über Kabel/Satellit oder aber übers Internet gekommen ist. Globale Anbieter wie YouTube-TV, Facebook-TV, Murdoch und Al Jazeera werden wie selbstverständlich am Bildschirm sein. Al Jazeera hat heute 16 Sportkanäle und will bereits nächstes Jahr deren 40 betreiben. Schauen wir uns eines Tages FCB gegen St. Gallen am Al-Jazeera-Bezahl-TV an statt bei der SRG? Die SRG ist im schweizerischen Massstab gross und im globalen Massstab der «Anzeiger von Uster».

Wie oft schauen Sie selbst Fernsehen?

Auf meinem iPad vor allem. Abends zu Hause rufe ich verpasste Radio- und Fernsehsendungen ab.

Haben Sie eine Lieblingssendung?

Nicht nur eine, nicht immer die gleiche.

Welche Sendungen finden Sie denn bei anderen Sendern gut?

Haben Sie Nachsicht, dass ich bei diesem Spiel offside bin.

 

Fernsehender Pressemann
Roger de Weck (58)
ist in Freiburg geboren und in Genf und Zürich aufgewachsen. Seine journalistische Laufbahn begann er als Volontär bei der «Tribune de Genève». Er war in den neunziger Jahren Chefredaktor beim «Tages-Anzeiger», Mitglied der Konzernleitung von Tamedia sowie Chefredaktor der «Zeit». Der Publizist und studierte Ökonom wurde per Anfang 2011 zum achten Generaldirektor der SRG gewählt.

Dirk Schütz
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