Mick Jagger trägt ein cooles Hemd in Pink, eine knallenge schwarze Hose und feuerrote Socken. Sein Haar ist ? nun ja, er hat viel davon. Lassen Sie sich von dem Anblick nicht täuschen: Mick ist ganz Business. Ganz gross geschriebenes Business.

Mick Jaggers Suite im Bostoner Hotel Four Seasons, kurz vor dem Start der «Licks»-Welttournee: Mick dreht die Lautstärke eines Ghettoblasters zurück, schickt zwei seiner noch kleinen Kinder mit dem Kindermädchen weg und doziert über Preisgestaltung, Wirtschaft und Businessmodelle. Jagger ist informiert und eloquent, aber mit einem Vorbehalt: «Ich halte mich eigentlich nicht für einen versierten Geschäftsmann», sagt er. «Ich bin der kreative Künstler. Alles, was ich über Geschäftsführung weiss, habe ich im Laufe der Jahre aufgeschnappt. In der Schule habe ich mich nie gross mit Betriebswirtschaftslehre befasst. Eigentlich schade ? aber das wäre bestimmt auch langweilig gewesen», fügt er grinsend hinzu.

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Wie der Protagonist im Stones-Klassiker «Sympathy for the Devil» ist Mick Jagger ein Dauerbrenner. Er war schon in der Anfangszeit der Band ein gewiefter Bursche, und inzwischen hat er 40 Jahre Erfahrung im Musikgeschäft auf dem Buckel. Mag sein, dass Mick eine Spur zu alt für Rock?n?Roll-Konzerte ist ? immerhin wird er im Juli 60 ?, doch als Manager ist er in den besten Jahren. Denn 60 ist ein typisches Alter für den CEO eines multinationalen Konzerns (auch wenn ein gekonnter Hüftschwung nicht zum Pflichtenheft des durchschnittlichen CEO gehört).

Es gibt böse Zungen, die finden, die Stones sollten endlich Gitarren und Schlagzeug zusammenpacken und das Feld räumen. «Viel zu alt», schnöden sie, «und absolut belanglos.» Dem könnte man eine subjektive und eine objektive Meinung entgegenhalten. Subjektiv sind die Stones selbst nach all den Jahren noch immer eine verdammt gute Band. Und objektiv gesehen: Wenn die Band passé sein soll, weshalb hatte sie dann im vergangenen Jahrzehnt einen so phänomenalen finanziellen Erfolg?

Zugegeben, bahnbrechende Songs schreiben die Stones keine mehr ? im Grunde haben sie in den letzten zwanzig Jahren nichts wirklich Neues eingespielt ?, aber ihre alten Songs verkaufen sich immer noch. Und zwar sehr, sehr gut. Auch die Konzerttickets gehen weg wie warme Semmeln. Ausserdem hat die Band ihr Businessmodell perfektioniert. Da erstaunt es nicht, dass sie zu einer einträglichen Geldmaschine geworden ist.

Die Gruppe um Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts und Ronnie Wood ist bei weitem die erfolgreichste Rockband der Gegenwart. Allein seit 1989 hat sie einen Bruttoerlös von über 1,5 Milliarden Dollar erwirtschaftet. In dieser Zahl enthalten sind Plattenverkäufe, Tantiemen, Merchandising, Sponsoring und Einnahmen aus Konzerttourneen (siehe Grafik «Geldmaschine» auf Seite 87). Die Stones haben mehr Geld verdient als U2, Bruce Springsteen, Michael Jackson, Britney Spears, The Who ? und wie die Grossverdiener im Musikgeschäft sonst noch heissen.
Im Gegensatz zu anderen Bands tragen die Stones kein von Woodstock geprägtes Anti-Business-Image mit sich herum. Die Band ist tief in der amerikanischen Geschäftswelt verwurzelt und schafft es immer wieder, zahlungskräftige Sponsoren und Lizenznehmer wie die Biermarke Anheuser-Busch, Microsoft oder das Telekom-Unternehmen Sprint zu verpflichten. Würde man die allseits bekannte Matrix der Boston Consulting Group mit den vier Quadranten herbeiziehen, so wären die Stones die Cash-Cows.

Wie die meisten florierenden Unternehmen lebt auch die «Rolling Stones Inc.» von einer Mischung aus Talent und harter Arbeit. Vier Jahrzehnte lang hat sie durch Versuch und Irrtum am Erfolg gefeilt. Die Band spielt die Effektivität der Organisation herunter: «Ich bin sicher, dass man bei näherer Betrachtung sagen könnte, wir seien schlecht geführt», sagt Jagger. «Natürlich sind wir nicht gut organisiert. Kein Showbusiness-Unternehmen ist gut geführt. Die Ausgaben sind immer zu hoch.»

In vielerlei Hinsicht unterscheidet sich die Band nicht von anderen Grossunternehmen. Sie ist global tätig, zahlt ? zwar widerwillig ? Steuern und führt Prozesse. Die Band hat eine Erfolgsrechnung und Budgets. Sie beschäftigt Buchhalter, Juristen und Banker und besitzt Software und Hardware. Mick Jagger hat zwar einst die London School
of Economics besucht («Ich habe mich hauptsächlich mit Wirtschaftgeschichte befasst»), doch sein grösstes Talent, ausser herumzustolzieren und zu singen, besteht ohne Zweifel darin, sich und die Band mit fähigen Führungskräften zu umgeben.

Die Rolling Stones sind eine private und verschlossene Organisation. Die meisten Teammitglieder, beispielsweise der Businessmanager Joe Rascoff und der Tournee-Organisator Michael Cohl, halten sich dem Rampenlicht fern. Auch Prince Rupert zu Loewenstein, ein Londoner Banker mit einem alten bayrischen Adelstitel, der seit rund 30 Jahren die finanziellen Geschicke der Band lenkt, lässt im Umgang mit der Öffentlichkeit vornehme Zurückhaltung walten. Doch dass die Finanzen der Stones nicht öffentlich sind, heisst noch lange nicht, dass nicht mit sehr strengem Massstab geschäftet wird. «Mick liegt viel an genauer Kontrolle», sagt Keith Richards.

Das Business der Stones hat viele Facetten. Wie für jeden CEO eines Mischkonzerns sei auch für ihn das Verstehen und Führen der unterschiedlichen Geschäftssparten das A und O, sagt Jagger. «Alle diese Sparten haben Einkommensströme ? wie bei jedem anderen Unternehmen auch. Sie haben unterschiedliche Geschäftsmodelle, und sie werden von verschiedenen Leuten betreut. Aber sie müssen eng miteinander verzahnt sein.»

Das Konzertgeschäft wirft Unsummen ab, während die Band auf Tournee ist ? aber eben nur dann. Auch das Tonträgerbusiness hat seine Höhen und Tiefen, je nachdem, ob gerade ein neues Album herauskommt oder ob alte Songs neu vermarktet werden. Es weist aber geringere Schwankungen als die Tourneen auf. Die Einnahmen aus Tantiemen (die jedes Mal fliessen, wenn einer der Songs beispielsweise im Radio gespielt wird) sind hingegen so vorhersehbar, dass einige Musiker die Urheberrechte zur Sicherung von Verbindlichkeiten einsetzen und Bonds, die mit dem Tantiemenerlös gesichert sind, verkaufen.

Um die Geschäftssparten miteinander zu verzahnen, haben die Stones und Prince Rupert eine einmalige Geschäftsstruktur entwickelt: An der Spitze stehen, ähnlich wie bei einer Anwaltskanzlei mit verschiedenen Partnern, die vier Kernmitglieder der Band, Jagger, Richards, Watts und Wood. Die Stones-Partner und Prince Rupert stehen den Unternehmen Promotour, Promopub, Promotone und Musidor vor, die jeweils ein spezifisches Geschäftsfeld abdecken. Dieser Unternehmensverbund ist in den Niederlanden domiziliert, wo ausländischen Bands Steuervorteile winken. Wenn die Band nicht auf Tournee ist, beschäftigen die Unternehmen lediglich ein paar Dutzend Mitarbeitende. Zu Spitzenzeiten einer Tournee, beispielsweise dann, wenn die Stones im Giants Stadium in New Jersey aufspielen, schwillt die Belegschaft aber auf 350 und mehr Personen an. Hinter der Bühne sieht es dann wie bei einem florierenden Start-up-Unternehmen aus: Dutzende junge Mitarbeiter in schwarzen T-Shirts sind ständig auf Trab, um sicherzustellen, dass die Show reibungslos über die Bühne geht.

Die Tourneen werden professionell organisiert. Sozusagen zum Inventar gehören Juristen, die sich in Einwanderungsfragen auskennen, mitreisende Buchhalter und Echtzeitbudgets. Das Geschäft mit den Touren ist die rentabelste Sparte. Seit der «Steel Wheels»-Tour von 1989 haben die Stones brutto über eine Milliarde Dollar mit ihrer Konzerttätigkeit verdient. Obwohl es schwierig ist, an die genauen Gewinnmargen heranzukommen, kann man davon ausgehen, dass jedes Bandmitglied insgesamt mehrere zehn Millionen Dollar kassiert hat.
Das war aber nicht immer so. «Als wir anfingen, war Rock?n?Roll kein einträgliches Geschäft», erinnert sich Frontmann Jagger. «Natürlich machte der eine oder andere damit Kohle, aber sicher nicht die Leute auf der Bühne. Selbst wenn man äusserst erfolgreich war, verdiente man keinen Cent.»

Jagger erinnert sich an die Anfangszeit: «Man hetzte von Auftritt zu Auftritt. Es gab kein Soundsystem, keine Beleuchtung, gar nichts.» Seit der Amerika- tournee von 1969 wurde das Tourgeschäft Zug um Zug modernisiert ? mit eigener Beleuchtung, Technik und Bühne. Jagger verhandelte selbst mit regionalen und nationalen Veranstaltern. Doch erst mit der «Steel Wheels»-Tour von 1989, als der kanadische Rockpromoter Michael Cohl erstmals die Shows der Stones organisierte, begann die Band, das wirtschaftliche Potenzial dieser Geschäftssparte voll auszuschöpfen.

Vor «Steel Wheels» heuerte die Band in der Regel vor Tourstart einen Tourneeleiter an, der dann lokale Veranstalter an den jeweiligen Auftrittsorten mit der Organisation der Show beauftragte. Mit jedem Veranstalter, der nach Abzug des Aufwands zwischen 10 und 15 Prozent der Ticketeinnahmen für sich beanspruchte, wurde ein separater Vertrag ausgehandelt. Anschliessend holte der Tourneeleiter bei den verschiedenen lokalen Organisatoren das Geld ab ? hier 250 000 Dollar, dort 400 000 Dollar.

Michael Cohl war damals einer dieser Lokalveranstalter. Cohl machte 1988 den Stones einen verlockenden Vorschlag. «Ich kannte die Typen von Pink Floyd, die wiederum Prince Rupert kannten, also fragte ich sie, ob sie für mich Prince Rupert anrufen könnten», erinnert er sich. «Zehn Minuten später hatte ich Prince Rupert am Draht, der mich in seinem vornehmen britischen Akzent fragte, was er für mich tun könne. Ich antwortete, dass ich 40 Millionen Dollar für 40 Shows zu bieten hätte. Er meinte, das klinge sehr interessant.»

Cohls Plan war einfach: Er wollte die ganze Stones-Tournee im Alleingang buchen, die Konzerte selbst organisieren und so die lokalen Veranstalter ausschalten. Gleichzeitig würde er zusätzliche Einnahmequellen erschliessen, indem er Plätze auf der Ehrentribüne verkaufte, Busfahrten organisierte, TV-Übertragungsrechte vermarktete und das Merchandising vorantrieb. Er würde Sponsoren von Format, etwa Volkswagen oder Tommy Hilfiger, einbringen. Und, was am wichtigsten war: Er würde die einzelnen Teilbereiche miteinander verknüpfen, um über produktübergreifende Werbekampagnen und ähnliche Instrumente die Ertragskraft zu maximieren. Nach monatelangen Verhandlungen gingen die Stones auf Cohls Vorschlag ein. Cohl unterzeichnete einen Vertrag als Tourleiter der Band.
Die Anfangszeit war brenzlig. «Ich glaube, Michael würde selbst zugeben, dass er mit ?Steel Wheels? eine steile Lernkurve bewältigen musste», erinnert sich Jagger. «Er hatte zuvor noch nie so was gemacht, das Ganze war in einem gewissen Sinne eine Lotterie.» Tourbeginn war im August, und im Oktober musste Cohl feststellen, dass man Geld verlor. Haufenweise. Die Band und das Organisationsteam mussten die Kosten senken, und zwar rasch. Am Ende der Tournee waren dann doch weltweit über 260 Millionen Dollar in die Tourkasse geflossen: Tickets, Merchandising und Sponsorengelder von Anheuser-Busch. «Steel Wheels» wurde zur Messlatte für die weiteren Tourneen, die seither alle von Cohl organisiert werden.

Auf der aktuellen, vom internationalen Finanzdienstleister E-Trade Financial gesponserten «Licks»-Welttournee (siehe «Tourdaten in Europa» auf Seite 92) spielt die Band an drei Arten von Veranstaltungsorten: in Stadien, in Arenen und in kleinen Klubs. Programm, Inszenierung und Beleuchtung werden dem jeweiligen Veranstaltungsort angepasst.
Die Band und Michael Cohl wissen, dass die «Licks»-Tour nicht jenen phänomenalen Geldsegen bringen dürfte wie die Mammut-Tournee «Voodoo Lounge» von 1994 und 1995, die knapp 370 Millionen Dollar einspielte. Auch der finanzielle Erfolg ? über 390 Millionen Dollar ? von «Bridges to Babylon / No Security» aus den Jahren 1997 bis 1999 wird von «Licks» vermutlich nicht übertroffen. Doch das Merchandising ist modisch anspruchsvoll wie nie zuvor. Laut Jagger sind rund 50 Produkte vorgesehen, etwa Unterwäsche vom trendigen britischen Dessous-Label Agent Provocateur und teure Designerstücke wie Shirts, Jacken und sogar Kleider.

Zudem soll das ihre effizienteste Tour überhaupt werden, verspricht Businessmanager Rascoff, der aber einen Einblick in die Finanzen der Altrocker verweigert. «Da wir in weniger Stadien auftreten, können wir auch Kosten einsparen, denn bei früheren Welttourneen mussten wir jeweils drei Bühnen und drei Crews mitführen. Dieses Mal haben wir nur eine Stadionbühne mit einer Crew.» Oder anders formuliert: Wenn man den Umsatz im Kerngeschäft nicht maximiert, versucht man, die Kosten zu senken und die Einnahmen aus anderweitigen Quellen voranzutreiben.

Die Eintrittspreise (50 bis 350 Dollar) geisselte die Presse wie üblich als zu happig. Jagger lässt sich gerne auf diesen Streit ein. «Die Preisgestaltung für ein Konzert ist etwas ganz anderes als für ein Auto oder eine Zahnpasta. Ein Konzert lässt sich höchstens mit einer Sportveranstaltung vergleichen. Ich achte stets darauf, dass sich die Eintrittspreise innerhalb der marktüblichen Bandbreite bewegen. Wir sind hier in Amerika. Wir leben nicht in einem sozialistischen Land, in dem die Leute so wenig verdienen, dass sie sich das nicht leisten können.»

Die Stones sind bekannt dafür, dass sie äusserst ungern Steuern zahlen. Keith Richards sagt dazu: «Das Geschäft hängt stark von den jeweiligen Steuergesetzen ab. Deshalb üben wir in Kanada und nicht in den USA. Wir haben uns schon mehrmals aus steuerlichen Gründen für eine Verlegung unseres Domizils entschieden. In England mussten wir auf jeden verdienten Dollar 98 Cent dem Fiskus abliefern. Wir gingen, und England hatte das Nachsehen.» Wen wundert es, dass Keith nicht in London oder New York lebt, sondern lieber im steuergünstigen Weston in Connecticut?

Die Steuerlast war nicht der einzige Grund, weshalb sich die Rolling Stones vermehrt auf das Wesentliche konzentrierten. Sie wurden auch von Plattenlabels über den Tisch gezogen. «Am Anfang zahlte man uns praktisch nichts», erinnert sich Jagger. «Die einzigen Leute, die Kohle machten, waren die Beatles, weil die so viele Platten verkauften.» Mitte der Sechzigerjahre verkauften die Stones zehn Millionen von ihren Singles, darunter auch «Satisfaction», und fünf Millionen Alben, lebten aber immer noch von der Hand in den Mund. «Ich werde nie vergessen, auf welch miserable Deals ich mich Anfang der Sechzigerjahre noch einliess», ärgert sich Jagger. «Ich sagte mir: Als kreativer Mensch kümmert man sich nicht um solche Dinge. Aber so funktioniert das nicht. Man wird ständig bestohlen.»

1965 begann die Band, mit dem New-Yorker Manager Allen Klein zusammenzuarbeiten, der für sie einen neuen Kontrakt aushandeln sollte. 37 Jahre später erinnert sich der inzwischen 70-jährige Klein noch immer an jenen Tag. «Ich sagte zu den Jungs: Heute gehen wir zusammen zu Decca. Tragt schwarze Sonnenbrillen und schaut grimmig drein ? aber haltet den Mund. Überlasst das Reden mir.» Klein schaffte es, die Plattenbosse einzuschüchtern, und die Stones verdienten ihre ersten Millionen.

Interessanterweise haben die Stones nie einen Kassenschlager wie Fleetwood Mac mit «Rumours» oder Michael Jackson mit «Thriller» gelandet. Dafür haben sie insgesamt 42 Alben veröffentlicht und mehrere zehn Millionen LPs, CDs, Singles und Maxisingles verkauft. Allein seit 1989 gingen mehr als 38 Millionen Alben für durchschnittlich 12 Dollar über den Ladentisch und brachten einen Bruttoerlös von über 460 Millionen Dollar.

Die neuen Stones-Alben verkaufen sich nicht so gut wie die Oldies, doch die Band setzt ihre Hoffnungen nun auf «Forty Licks». Die im Herbst 2002 erschienene Doppel-CD enthält 36 der Klassiker sowie vier neue Songs. Zudem hat Kleins Firma ABKCO soeben 22 der frühen Stones-Alben auf dem neuen CD-kompatiblen Tonträgerformat SACD herausgebracht, darunter alle grossen Platten der Stones aus den Sechzigerjahren. Man könnte den frühen Musikstil der Stones mit Coke Classic vergleichen, und wie Coca-Cola versuchen auch die Stones seither unablässig, neue Geschmackrichtungen auf den Markt zu bringen. Diese sind zwar nicht schlecht, vermögen aber den hohen Beliebtheitsgrad des Klassikers nicht zu erreichen.

Eine zunehmend zentrale Rolle im Geschäftsimperium der Stones spielen die Tantiemen. Sie bringen viel Geld und werden noch lange fliessen. «Komponieren ist einträglicher als Aufnehmen. Das ist einfach eine Tradition», erklärt Jagger. «Der Grund dafür ist nicht ersichtlich. Die Leute, welche die Songs schrieben, waren vermutlich bessere Geschäftsleute als die Sänger der Songs. Wenn man damals ein Stück komponierte, erhielt man die Hälfte der Tantiemen, während die andere Hälfte an den Verleger ging. Das ist noch heute die Norm.»

Das Tandem Jagger/Richards hat über 200 Songs geschrieben und ein paar Riesenhits wie «Honky Tonk Woman» herausgebracht. Dutzende dieser Hits werden noch immer auf UKW-Radiostationen gespielt. Aber nicht nur im Radio: Jedes Mal, wenn «Shattered» oder «Jumping Jack Flash» irgendwo in der Welt in einem kommerziellen Rahmen ertönt ? auf einer Schlittschuhbahn, in einer Jukebox oder in einem Club ?, klingelt auch die Kasse des Komponistenduos.

Die vermutlich medienträchtigste Produkteinführung aller Zeiten, Windows 95 von Microsoft, wurde mit dem Stones-Song «Start Me Up» musikalisch umrahmt. Microsoft soll für die Rechte vier Millionen Dollar bezahlt haben.

Apple wollte sich bei der Einführung der bunten iMacs auch nicht lumpen lassen und setzte auf den Stones-Hit «She?s a Rainbow». «Sonst machen wir eigentlich nicht viel Werbung», sagt Jagger, «gute Einnahmequellen sind jedoch Filmlizenzen. Wir kriegen unzählige Anfragen, und meistens sage ich Ja. Das ist ein Supergeschäft. Wir haben unsere Preisvorstellungen, die wir nicht unterschreiten, ausser vielleicht bei Low-Budget-Filmen, die wirklich interessant sind.» Obwohl der Preis für das Recht, einen Stones-Song in einem Film spielen zu dürfen, variiert, muss man in der Regel mit einer niedrigen sechsstelligen Zahl rechnen. Laut einer Schätzung des amerikanischen Wirtschaftsmagazins «Fortune» hat das Komponistenpaar Jagger/Richards im vergangenen Jahrzehnt 56 Millionen Dollar an Tantiemen für Songs kassiert.

Die Tourneen, die Platten und die Urheberrechte haben die Stones zur reichsten Rockband der Welt gemacht. Allen voran Jagger und Richards, die im Gegensatz zu den restlichen Bandmitgliedern voll und ganz in den Genuss der Tantiemen kommen. Ihre Portfolios befinden sich hauptsächlich in den Händen des schweigsamen Bankers Prince Rupert. Obwohl Jagger täglich den Finanzteil des «Wall Street Journal» und der «Financial Times» liest, investiert er nicht gross in Aktien. «Früher habe ich an der Börse spekuliert, doch jetzt nicht mehr, die Zeiten sind nicht besonders interessant», sagt Jagger.

Keith Richards ist da etwas philosophischer: «Ich verfolge, wie der Dow Jones rauf und runter geht, und wundere mich. Das ist ja wie bei den Pferderennen. Da weiss man auch nie, auf welches Pferd man setzen soll. Ich habe nur ein kleines Portfolio. Ich setze lieber auf Dinge, die mir am Herzen liegen. Beispielsweise auf Häuser. Zudem investiere ich in Projekte von Freunden. Und dann habe ich ja noch Prince Rupert. Er ist ein Finanzgenie. Deshalb überlasse ich meine Finanzen ihm. Solange Rupert ein zufriedenes Gesicht macht, bin auch ich zufrieden.»

Was also hält die Stones auf Trab? Sicher das Geld. Aber die Band könnte Unsummen mit Werbung verdienen, statt sich mit anstrengenden Tourneen abzumühen. Auf Achse zu sein, bringt den Stones Befriedigung. «Dazu braucht es echte Leidenschaft», sagt Richards. «Auch wenn wir selten darüber reden, so sind die Touren für uns so etwas wie die Suche nach uns selbst, eine Mission.»

Die Stones und ihre Firmen werden noch jahrelang Urheberrechte vergeben und Platten verkaufen. Doch früher oder später wird die Band ihre Konzerttätigkeit aufgeben müssen. Jaggers Showeinlagen und Verrenkungen auf der Bühne sind zwar bemerkenswert für sein Alter, doch die Frage lautet: wie lange noch? Charlie Watts, der älteste Stone, ist bereits 61. Die Band hat zwar nicht gesagt, dies sei die letzte Tour, möglich wäre das aber schon. Derartige Spekulationen wirken sich positiv auf den Ticketverkauf aus, vor allem an kleineren, zweitrangigen Veranstaltungsorten, wo dies in der Tat das letzte Stones-Konzert sein könnte.

«Wie lange wir noch weitermachen?», fragt sich auch Keith. «Ewig. Wenn wir schlappmachen, wird es die Welt schon rechtzeitig erfahren.» An jenem Tag wird nicht nur die grossartigste Rockband aller Zeiten von der Bildfläche verschwinden, sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen in dieser verrückten Branche.

Tourdaten 2003

Kein Konzert in der Schweiz

Die Rolling Stones machen auf ihrer «Licks»-Tournee keinen Halt in der Schweiz: Die Konzerthallen und Stadien sind zu klein. Bis Mitte April bemühte sich Harry Sprenger, Chef des Konzertveranstalters Free & Virgin, um die Rockband. «Die Kapazitäten sind in der Schweiz zu beschränkt», sagt Sprenger, «anderswo verdienen die Stones mehr.» Grosse Stadien wie der Letzigrund in Zürich oder der St.-Jakob-Park in Basel fassen maximal 40 000 Besucher ? aber erst ab 50 000 Fans wäre es für die Stones interessant. Auch Stars wie Eminem oder Robbie Williams meiden aus diesem Grund die Schweiz.

Ausgewählte Tourdaten in Europa
4./6./8.6. München
10.6. Mailand
13.6. Oberhausen, Deutschland
15.6. Berlin
18.6. Wien
20.6. Leipzig
22.6. Hockenheim
25.6. Bilbao
27.6. Madrid
29.6. Barcelona
5.7. Marseille
7./9./11.7. Paris