Würde ein Professor einer Business-School seinen Studenten eine besonders schwierige Fallstudie zur Bearbeitung vorlegen wollen, sie würde etwa so aussehen: «Ein Unternehmen mit 80 000 Mitarbeitern und 15 Milliarden Dollar Umsatz steht kurz vor dem Konkurs. Es ist schwergewichtig in den Sparten Mobilfunk, Unterhaltungselektronik und Halbleiter tätig. Führungs- und Organisationsstrukturen entsprechen nicht den Anforderungen des Weltmarkts. Machen Sie Vorschläge zur Konsolidierung des Unternehmens oder alternativ zu seiner Liquidation.»

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Zuerst würden die Studenten die Geschäftsfelder analysieren: Der Mobilfunkmarkt stagniert, gegen Branchenprimus Nokia gewinnt niemand einen Stich, der rasche Technologiewandel verlangt nach hohen Entwicklungsausgaben. Nicht viel besser sieht es bei der Unterhaltungselektronik aus. Der Markt ist hart umkämpft, die Margen hauchdünn, Überkapazitäten zwingen auch Weltmarktfirmen wie Philips oder Sony zu Werksschliessungen, während chinesische Billiganbieter das Feld aufrollen. Und dann noch Halbleiter – ein extrem zyklischer Markt, der immense Forschungsausgaben sowie gewaltige Investitionen in Chipfabriken verlangt. Ohne eine fette Cash-Cow ist ein Überleben hier unmöglich.

Die Lösung wäre klar. Die Studenten würden dieses Unternehmen in die Kategorie der hoffnungslosen Fälle einordnen, für Chapter 11 votieren und sich danach der nächsten, durchaus erfreulicheren Fragestellung der Fallstudie zuwenden. Der Frage, wie ein ideales Unternehmen auszusehen hätte. Die richtige Antwort würde vermutlich lauten: Es steigert seit Jahren deutlich Gewinn und Umsatz, erfreut sich zweistelliger Margen, hat sowohl die Börsenkapitalisierung als auch den Markenwert jährlich um mehrere Milliarden Dollar erhöhen können, die Geschäftsfelder sind stabil und die Zukunftsaussichten glänzend.

Wenn die Business-School ihr Geld wert sein sollte, liesse der Professor nur jene Studenten die Prüfung bestehen, die erkennen, dass es sich in beiden Fällen um das gleiche Unternehmen handelt: Samsung. Der koreanische Milliardenkonzern liefert die wohl beeindruckendste Erfolgsgeschichte der Elektronikindustrie. Kein anderes Unternehmen konnte in so kurzer Zeit den Markt derart aufrollen wie Samsung, und kein anderes verdient dabei auch noch so viel Geld. Sony und Nokia, auf ihren jeweiligen Gebieten die Hauptkonkurrenten von Samsung, dürfen sich warm anziehen. Noch vor fünf Jahren stand Samsung Electronics am Rand des Zusammenbruchs. Der Mutterkonzern Samsung, ein typisch koreanisches Chaebol (Konglomerat im Familienbesitz), wurde nach grössenwahnsinniger Expansion in verschiedenste Bereiche (Hotels, Schiffe, Autobau, Flugzeugtriebwerke, Petrochemie) von der Asienkrise massiv durchgeschüttelt. Die Elektroniksparte galt als typisch koreanischer Nachahmer und somit nicht als Hoffnungsträger – wenig innovative Produkte, wenig aufregendes Design, mittelmässige Qualität, dafür günstigere Preise als westliche Hersteller.

Chairman Lee Kun Hee sperrte sich im Juli 1998 mit seinem CEO, Yun Jong Yong, in einem Hotelzimmer in Seoul ein, um einen Rettungsplan auszuarbeiten. Für den Fall des Scheiterns unterschrieben die Manager vorsorglich ihre eigenen Rücktrittsgesuche. Denn um zu überleben, mussten sie die Kosten um 30 Prozent senken, und dies innerhalb von fünf Monaten! Bei Samsung blieb kein Stein auf dem anderen. Mehr als ein Drittel der 80 000 Mitarbeiter stellte Lee auf die Strasse – bislang undenkbar in einem Land, das lebenslange Arbeitsplätze garantierte und kein Sozialsystem hat.

Den verbleibenden Mitarbeitern rief Lee zu: «Sie müssen alles in Ihrem Leben verändern ausser Ihrer Frau und Ihren Kindern!» Die traditionelle Gerontokratie hat er ausgebremst und, statt die Dienstältesten zu befördern, hungrige Nachwuchsmanager mit MBA-Abschluss aus den USA geholt. Den Länderchefs hat er mehr Freiheiten gegeben. Vor allem aber stellte Lee die Unternehmensstrategie auf den Kopf. Er strich alle Produkte aus dem Portfolio, die andere Hersteller besser produzieren konnten, steckte viel Geld in eigene Technologie (jeder vierte Mitarbeiter arbeitet heute in Forschung und Entwicklung) und positionierte Samsung als Hightechlabel. Als Ergebnis verbucht Samsung heute mit 33 Milliarden Dollar fast doppelt so viel Umsatz wie vor fünf Jahren, erzielt eine in der Branche sensationelle Ebit-Marge von 22 Prozent und schreibt fast sechs Milliarden Dollar Reingewinn. Die Rücktrittsgesuche haben Lee und sein Team nie aus den Schubladen holen müssen.

Die eindrücklichsten Erfolge erzielen die Koreaner dabei im Handymarkt. In den letzten zwei Jahren haben sie ihren Marktanteil weltweit mehr als verdoppelt und liegen heute vor Siemens und SonyEricsson auf Platz drei. Nokia (deren Benutzeroberfläche Samsung übrigens für ihre Geräte übernommen hat) ist mit 35 Prozent zwar uneinholbar weit vorne, aber Motorola liegt in Reichweite. «Es ist nicht die Frage, ob Samsung die Nummer zwei wird, sondern nur, wann», sagt Per Lindberg, Analyst bei Dresdner Kleinworth Wasserstein. Bereits heuer könnte es so weit sein, denn wenn man in Dollars statt in Stückzahlen rechnet, liegen beide Unternehmen etwa gleichauf. «Auch in der Schweiz ist Samsung die am schnellsten wachsende Handymarke», sagt Peter Kalberer, Geschäftsführer des Schweizer Generalimporteurs Samtel.

Das Erstaunlichste: Trotz dem rasanten Wachstum verdient Samsung gutes Geld. Da die Koreaner auf das Segment der Billighandys verzichten (ein Nokia-Handy kostet im Schnitt 149, ein Samsung-Gerät 206 Dollar), liegen die Margen sehr hoch, nämlich bei 29 Prozent gegenüber 22 Prozent bei Nokia. Der Rest der Industrie verliert mit Handys Geld! Ähnliches gilt für die Unterhaltungselektronik. Früher konnte Samsung für DVD-Player, Fernseher und Stereoanlagen nur 60 bis 70 Prozent der marktüblichen Preise verlangen. Heute sind es 110 Prozent. Auch bei den Chips haben die Koreaner erfolgreich auf Hochpreisfelder gesetzt und bauen beispielsweise Grafikchips für das Videospielsystem Xbox, Flash-Memories für PDAs und Digitalkameras oder Speicherbausteine für Hochleistungsserver. Damit macht Samsung geschätzte zwei Milliarden Dollar Gewinn – während alle anderen grossen Speicherhersteller massive Verluste einfahren.

Um von ihrem Billigimage wegzukommen, musste Samsung die Produktqualität massiv verbessern. Als eine Ladung Handys wegen Fertigungsmängeln zurückgerufen werden musste, wurden die verantwortlichen Manager dazu verdonnert, die fehlerhaften Geräte vor den Augen ihrer Mitarbeiter mit Hämmern zu zertrümmern. Seither will in Seoul niemand mehr das Gesicht verlieren: Heute beträgt die Ausfallquote bei Samsung-Handys 2,3 Prozent, gegenüber dem Industrieschnitt von 10 Prozent (Nokia liegt gar bei 24,9 Prozent).

Auch beim Aussehen der Geräte hat Samsung ihre graue Vergangenheit hinter sich gelassen: «Design ist im 21. Jahr-hundert der Schlüssel zum Wettbewerb», erkannte Chairman Lee und verdoppelte die Anzahl der Produktdesigner auf 300. Der Lohn der Mühe: Im Jahr 2001 kassierte in der IT-Industrie nur Apple mehr Designpreise als Samsung, letztes Jahr standen die Koreaner gar unangefochten auf Platz eins.

Damit einher gingen massive Investitionen ins Marketing. Allein letztes Jahr hat Samsung (übersetzt: «drei Sterne») über 400 Millionen Dollar in die Werbung gesteckt. Statt früher 55 Agenturen kümmert sich weltweit nur noch eine einzige um den Auftritt. Das Ergebnis: Laut einer Studie von Interbrand ist der Markenwert allein im letzten Jahr um 30 Prozent gestiegen auf nunmehr 8,3 Milliarden Dollar. Damit rangiert Samsung auf der Liste der weltweit wertvollsten Marken auf Platz 34, vor Ikonen wie Nike, Apple, Nestlé oder Rolex. Aber Nokia liegt weit voraus auf Platz 6, Sony auf Platz 21. Und gerade in Mitteleuropa leiden die Koreaner noch unter ihrem Billigimage. «Wir sind noch kein First-Class-Brand», gibt Chang Soo Csoi zu, Europachef fürs Handygeschäft. Um das zu ändern, tritt Samsung seit 1998 als Hauptsponsor aller Olympischen Spiele auf. «Bis zum Jahr 2005 wollen wir Sony schlagen und die beste Marke in der Unterhaltungselektronik sein», definiert Marketingchef Eric B. Kim das Ziel. Das Problem: Sony ist auch einer der grössten Chipkunden der Koreaner. Als Samsung-CEO Yun die Ambitionen auf den Thron der Elektronikindustrie allzu laut verkündete, musste er bei Sony-Chef Nobuyuki Idei antraben, um sich dafür zu entschuldigen. Natürlich will Samsung Sony entthronen. Nur darf man das in Asien nicht sagen.

In vielen Teilbereichen hat Samsung den grossen Rivalen bereits überholt. So sind die Koreaner Weltmarktführer in 19 Segmenten, unter anderem bei Videorekordern, Computermonitoren, TFT-Bildschirmen, Mikrowellengeräten oder – mit grossem Abstand – bei Speicherchips. Im stark wachsenden DVD-Markt liegt man immerhin auf Platz zwei hinter Sony.

Dass Unterhaltungselektronik, Computer und Mobilfunktechnologie immer mehr zusammenwachsen (Stichwort digitale Konvergenz), kommt Samsung zugute: In allen drei Bereichen sind die Koreaner stark. Die Synergien zeigen sich exemplarisch bei TFT-Displays. Da Samsung diese seit vielen Jahren für die eigenen Notebooks herstellt, konnten die Koreaner auch als einer der ersten Anbieter in den boomenden Markt der LCD-Fernseher einsteigen. Sony hingegen, die ihre Panels bei Samsung einkaufen muss, kam erst im letzten November mit entsprechenden Produkten auf den Markt. Auch bei den Handys haben Samsung-Geräte unbestritten die besten Farbdisplays. Schwach ist das Unternehmen hingegen im Bereich der Digitalkameras, einem ebenfalls boomenden Markt. Und die Notebooks made in Korea sind zwar so gut, dass sie sogar Weltmarktführer Dell unter eigenem Namen verkauft, aber aus eigener Kraft hat Samsung mit ihren Laptops noch keine globale Abdeckung erreichen können – unter anderem fehlt der wichtigste Markt, die USA.

Noch ist Sony vom Umsatz her doppelt so gross wie Samsung. Bei den Anlegern ist Samsung dem Vorbild jedoch bereits davongezogen: Mit knapp 40 Milliarden Dollar werden die Koreaner an der Börse in Seoul bewertet, Sony liegt bei nur 33 Milliarden. Allein im letzten Jahr ist der Wert von Samsung um 42 Prozent oder 14 Milliarden Dollar gestiegen – mehr als bei jeder anderen Firma der Welt. Dennoch sind die Koreaner nach Ansicht vieler Experten unterbewertet: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von 6,5 beträgt nur rund Drittel desjenigen von Sony oder Nokia.

«Der Börsenkurs wäre vermutlich um einiges höher, wenn die Corporate Governance besser wäre», sagt Mark Mobius, Chef des Templeton Emerging Markets Fund. Denn die Besitzerfamilie kontrolliert Samsung mit geringem Aktienanteil, nicht immer im Sinne des breiten Aktionariats. Kritische Analysten werden vom Samsung-Hauptquartier mit Verachtung gestraft. Wenn, wie gemunkelt wird, Samsung im Laufe des Jahres auch in New York kotiert wird, muss sich diese Haltung ändern.

Und obwohl Samsung vermehrt Ausländer in ihre Leitungsgremien beruft, ist die Unternehmenskultur noch immer sehr speziell koreanisch. Am Hauptsitz in Seoul, einem von aussen eher drögen, innen aber mit Hightech vollgestopften Hochhaus, ducken sich die Mitarbeiter fast demütig, wenn ein Vorgesetzter vorbeikommt. Die Hierarchie ist extrem wichtig, der Dienstweg strikt einzuhalten. In den sparsam möblierten Grossraumbüros sind die Arbeitsplätze streng nach Seniorität verteilt – ein Schreibtisch direkt neben dem anderen, aus einfachem Holz, je 1,20 Meter breit. Mehr Platz gibt es nicht in der Managerbatterie. Dafür baumeln den Angestellten Chipkarten um den Hals, die nicht nur den je nach Hierarchiestufe unterschiedlichen Zugang zu den Räumlichkeiten regeln, sondern vor allem der schnellen Ortung dienen: Auf grossen Monitoren wird angezeigt, wer sich gerade in welchem Raum befindet und ob er verfügbar ist. Und damit alle Mitarbeiter die Kultur zutiefst verinnerlichen, werden sie beim Stellenantritt sowie nach jeder Beförderung für zwei Monate in die Samsung Academy gesteckt, eine Art mentales Trainingslager in einem riesigen, unternehmenseigenen Vergnügungspark vor den Toren von Seoul.

Die seltsame Kulturmischung aus Ost und West hat Erfolg. Die nächsten Jahre dürften für Samsung äusserst profitabel werden, denn die Speicherpreise sind weiter im Steigen begriffen. Der Markt für TFT-Displays explodiert. Vom Umstieg auf UMTS dürfte Samsung, die mit der verwandten CDMA-Technologie bereits langjährige Erfahrung hat, im Handybereich besonders profitieren. Aber wie gut kann das Unternehmen auf die Dauer mit dem Erfolg umgehen? Wie verhindert es, in Selbstüberschätzung abzurutschen und sich zu verzetteln? Das gäbe Stoff für eine weitere Fallstudie.