Beim Betreten des traditionsreichen Hauptsitzes der Spar- und Kommerzbank OTP an der Nador-Strasse in Budapest weht dem Besucher Geschichte entgegen. Auch im Büro des Präsidenten und CEO dominiert das historische Ambiente: dunkles Holztäfer, schwarze Möblierung, mit dunkelgrünem Leder überzogene Sitze, dunkelgrüne Glaslampen. Doch regiert in diesem Büro kein steifer Adliger, sondern ein liebenswürdiger, leicht untersetzter, stämmiger Mann, dessen Schnauz einen etwas bäurischen Einschlag unterstreicht: Sandor Csanyi, 50-jährig, einer der mächtigsten Männer im Land.

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Der Ungar hat aus einer trägen Sparkasse aus der Zeit des Kommunismus ein regionales Powerhaus geformt und dafür internationalen Beifall geernet: OTP ist abonniert auf die heiss begehrten Awards von «Euromoney», der Londoner Branchenbibel der internationalen Banker. Im letzten Jahr heimste sein Institut den Titel «Best Bank» in Ungarn ein. Für manche Analysten ist dieses Prädikat indes zu dürftig ausgefallen. Sie möchten OTP nicht nur für Ungarn auf den Thron heben, sondern auch für ganz Mittel- und Südosteuropa. William Vincent, Analyst beim holländischen Finanzkonzern ING, hält OTP sogar für die Topbank Europas im standardisierten Kundengeschäft.

Csanyi stammt aus einer ländlichen Gegend, hundert Kilometer östlich von Budapest entfernt, wo er in einfachen Verhältnissen aufwuchs. In der Zwei-Millionen-Metropole studierte er Wirtschaft, promovierte und machte danach im Finanz- und Agrarministerium Karriere. Da holte er sich sein Wissen über die Wirtschaft des Landes, da knüpfte er sein Beziehungsnetz. Beides war wertvoll, als später die Privatisierungswelle anlief.

Die Banklaufbahn begann er bei der damals bedeutenden Ungarischen Kommerz- und Kreditbank; er stieg bis zum stellvertretenden CEO auf. 1992 wechselte er als Chef zur OTP, der damals zweiten Bank des Landes. «Mein Sohn war peinlich berührt, dass ich zu dieser altmodischen Bank ging», erzählt Csanyi vergnügt. Doch er sah damals voraus, dass mit dem Mauerfall die Zukunft im Retail-Banking liegen würde.

Mit Hilfe von McKinsey baute Csanyi das schwerfällige Gebilde um und machte es schlank, sodass OTP 1995 für die Privatisierung und den Börsengang gerüstet war. Dazu trug auch die Weltbank bei, die der Bank die bestmögliche IT-Lösung finanzierte.

Mit kindlicher Freude demonstriert Csanyi mit seinem Handy, wie ausgeklügelt zum Beispiel der SMS-Service für Kreditkarteninhaber funktioniert: «Schauen wir kurz rein, was meine Kinder heute alles mit der Karte bezahlt haben.» Und schon erscheinen die Transaktionen auf dem Display. Spasseshalber setzt Csanyi für ein paar Minuten die Kreditlimiten hinunter, um zu zeigen, wie flexibel das System funktioniert. Die in Osteuropa weit verbreitete Kartenkriminalität kann stark eingeschränkt werden, weil jede Transaktion sofort per SMS dem Karteninhaber gemeldet wird.

Die OTP-Gruppe dominiert nicht nur den Markt für Kredit- und Bankkarten zu zwei Dritteln. Die Bank hält auch 30 Prozent aller Spareinlagen im Land, vergibt ein Fünftel der Konsumentenkredite, kontrolliert die Hälfte des Hypothekarmarktes und des aufstrebenden Fondsgeschäfts. Bei den Versicherungen liegt sie an dritter Stelle; erklärtes Ziel ist auch hier der Spitzenplatz.

Von den ursprünglich 16 000 Stellen sind noch 8000 übrig geblieben, wobei das neu hinzugekommene Versicherungs- und Hypothekargeschäft zu einem erneuten Anstieg der Mitarbeiterzahl auf 12 000 Personen geführt hat. Der Gewinn steigt kontinuierlich mit 20 Prozent und hat sich in den letzten sechs Jahren von 142 Millionen auf 404 Millionen Franken (erste neun Monate 2003) verdreifacht. Die Rendite auf den Aktiven hat sich von 1,13 Prozent im Jahr 1997 auf 3,31 Prozent per Ende September 2003 ebenfalls fast verdreifacht.

Was ähnlich gelagerte Schweizer Finanzhäuser neidisch machen dürfte, hat sich für die Aktionäre – zu 80 Prozent westliche institutionelle Investoren – ausbezahlt. Der OTP-Kurs ist seit der Kotierung um das 25fache gestiegen. Mit einer Börsenkapitalisierung von sechs Milliarden Franken, was gut über 20 Prozent der Budapester Börse entspricht, erreicht die ehemalige Ostblockbank mit ihren Töchtern immerhin ein Zehntel der Börsenkapitalisierung der CS Group.

Csanyi und seine Mitarbeiter sind in den Erfolg eingebunden. Auf sie entfallen 2,5 Prozent des Aktienkapitals, was einem Börsenwert von rund 150 Millionen Franken entspricht. Die gesamte OTP-Truppe wird durch ein hartes, für alle transparentes Anreizsystem auf Trab gehalten. «Für mich gibt es dabei keine Ausnahme», erklärt der OTP-Chef.

Vom Einkommen, wie es der grössere Teil der Belegschaft bezieht, sind nur 25 Prozent fix. Den Hauptteil des Lohnes machen die Leistungsprämien aus. Wer die Ziele ab einer gewissen Managementstufe zu mehr als 90 Prozent erfüllt, erhält Stock-Options, mit denen Aktien zur Hälfte des Marktpreises gekauft werden können.

Kein Wunder, greift die Bank auch über die Landesgrenzen hinaus an: Zuerst wurde eine kleine Bank in der Slowakei übernommen und im letzten Sommer in einem kühnen Schritt mit der DKS die grösste Retail-Bank Bulgariens, in einem Zweikampf zwischen Österreichs Erster Bank und der OTP-Gruppe. Diese war in der ersten Auktionsrunde mit bloss 160 Millionen Euro eingestiegen. In der entscheidenden zweiten Runde des Tenderverfahrens legte sie die Latte auf 311 Millionen, wogegen sich die Österreicher von der bescheidenen Vorlage bluffen liessen und mit 293 Millionen prompt zu wenig boten. «Sie dachten nicht, dass wir so hoch springen würden», sagt Csanyi. Dass ihm danach die Erste im eigenen Land mit dem Kauf der Postabank zuvorkam, dürfte ihn wenig stören, weil er für diese mit zweifelhaftem Ruf behaftete Bank nur halbherzig mitgesteigert hatte.

Csanyis Rechnung geht nicht immer auf: Dies erfuhr er, als er kurz vor Weihnachten 2003 in einem ähnlichen Bietverfahren vom Kauf der grössten Bank Albaniens zurücktreten musste – laut Csanyi aus Vertrauensgründen. Csanyis Vize, Laszlo Wolf, schrie Foul, der Tender sei «nicht in Übereinstimmung mit der internationalen Praxis» durchgeführt worden. So zieht OTP Schadenersatz in Millionenhöhe in Erwägung. Doch zimperlich geht auch OTP nicht vor. Laut der «Financial Times» sorgte Csanyi vor dem Deal in Bulgarien für gute Stimmung, indem er den bulgarischen Premierminister zur Jagd einlud.

Jagen ist Csanyis erklärtes Hobby. So freute er sich jedes Mal, wenn ihn Walter Frey zu dessen grosser ungarischer Revierjagd willkommen hiess. Inzwischen hat der Schweizer Autoimporteur seine Pacht aufgegeben, um sich vermehrt dem Geschäft zu widmen. Doch Csanyi begibt sich auch sonst oft aufs Land. Als Privatinvestor ist er einer der grössten Investoren Ungarns im Weinbau, in der Lebensmittel- sowie der Milchverarbeitungsindustrie. Nüchtern zählt er seine Agrostatistik auf: «10 000 Kühe, 100 000 Schweine, 11 000 Hektar Agrarland.» Er ist überzeugt, dass er mit diesen Zahlen für die EU gewappnet ist, in die sein Land in diesem Jahr eintreten wird.

Chef der grössten Bank, grosser Farmer – und grösster Weinbauer: In Villany, der berühmtesten Weingegend Ungarns, produziert die Csanyi-Weinkellerei zwei Millionen Flaschen, wovon die besten unter dem Namen des früheren, von den Kommunisten enteigneten Besitzers Teleki in den Handel kommen. Noch ist der Spitzenwein bei uns nicht hoch im Kurs.

Welche Ansprüche erfüllt werden müssen, um auf die besten Weinkarten der Welt zu gelangen, weiss er jedoch genau. Während des World Economic Forum steigt der wohl reichste Ungar – abgesehen von vermögenden Auslandungaren wie George Soros – regelmässig mit seiner Frau und seinen fünf Kindern im gastronomisch hochdekorierten «Walserhof» in Klosters ab.