Sandrine Stern, Jahrgang 1973, leitet seit 2009 die Abteilung Création Montres bei Patek Philippe. Die Mutter von zwei Kindern und Ehefrau von Patek-Philippe-Präsident Thierry Stern begann 1995 in der Marketing-Abteilung des Unternehmers. Patek Philippe wurde 1839 gegründet und gilt unter Uhrenkennern als eine der feinsten Manufakturen überhaupt. Das Unternehmen produziert pro Jahr gegen 50000 zum Teil hochkomplexe Uhren.

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FIRST: Frau Stern, Sie sind Chef de Création bei Patek Philippe. Wie kreiert man eine Uhr?
SANDRINE STERN: Kreieren heisst im Grunde genommen, Menschen zum Träumen zu bringen. Die Ideen dafür können aus unserem Museum stammen, aus dem Kontakt mit unseren Kunden und natürlich aus unserer Erfahrung aus bald 175 Jahren Firmengeschichte. Ganz zuoberst steht der Wille, unsere Kunden beim Anblick unserer Produkte zum Träumen zu bringen.

Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Wir haben mehr als 200 verschiedene Produkte. Das sind Stücke, die erdacht und geschaffen wurden, indem wir uns von allem, was uns umgab, inspirieren liessen: Kunst, Architektur, Natur, Bilder es gibt ganz verschiedene Quellen. Dazu gehört unbedingt unser Museum. Wir können zum Beispiel eine Uhr aus dem Museum nehmen, ein Detaildavon auswählen, es studieren und dann aufgrund der Einflüsse unserer Zeit weiterentwickeln. WennSie unsere Kollektion betrachten, werden Sie einen roten Faden finden. Uhren von Patek Philippe sind immer als Uhren von Patek Philippe erkennbar, es gibt so etwas wie eine künstlerische Patek-Philippe-DNA.

Wie würden Sie diese DNA definieren?
Das ergibt sich ganz natürlich, wie von selbst. Es geht um ein subtiles Feeling, darum, unsere Geschichte zukennen und unsere Kunden. Wenn wir etwas kreieren, können wir aufgrund unserer Erfahrung gar nichts erschaffen, das nichtunserer DNA entspricht. Als Patek Philippe 1976 die Nautilus präsentierte (siehe Bildergalerie), war das ein Bruch mit der Tradition. Etwas ganz Neues, das es bisher so noch nicht gegeben hatte.

Wäre so etwas heute immer noch möglich? Oder dürfen Sie nur die Vergangenheit kopieren?
Es gab nicht nur die Nautilus. Eine Uhr, die radikal mit den bisherigen Gepflogenheiten brach, war die Twenty-4 (siehe Seite 48). Das war 1999 ein Stück, das nichts gemein hatte mit allen anderen Uhren, wie sie bis dato bei uns geschaffen worden waren. Eine mit Diamanten besetzte Stahluhr, die sich von den klassischen Formen deutlich abhob, viereckig, mit Quarzwerk und ganz bewusst für alle Stunden des Tages geeignet daher ihr Name. Der Markt hat das Stück akzeptiert, die Uhr ist ein grosser Erfolg. Das zeigt: Man muss mitunter überraschen, auch wenn man eine klare Linie hat. Wir haben eine sehr klare Linie, wir suchen aber auch die Weiterentwicklung. Wir geben uns nicht damit zufrieden, nur das zu tun, was man schon kennt.

Was macht eine Uhr zur guten Uhr?
Es sind zwei Dinge. Erstens: die Proportionen. Das spüre ich, wenn ich eine Uhr in die Hand nehme. Ich merke sofort, ob die Bauhöhe stimmt oder die Uhr zu dick ist oder zu grob. Zweitens: die Details und die Finissage, also die Veredelung der Oberflächen. Darauf legen wir viel Wert. Am Schluss muss eine Uhr angenehm zu berühren sein.Spielt das Werk eine Rolle bei der Uhrenkreation?Das Werk spielt die Hauptrolle. Wir werden in 99 Prozent aller Fälle die Uhr um ein bereits bestehendes Werk kreieren. Bei einem Chronographen zum Beispiel dürfen wir ruhig etwas sportlich sein, eine Minutenrepetition wird sicher klassischer ausfallen. Das Design einer Uhr hängt entscheidend von ihren Komplikationen oder Funktionen ab.

Sie haben kürzlich die Maison Patek Philippe in Shanghai eröffnet, Sie verkaufen Uhren in Deutschland, in Italien, in Frankreich, in den USA. Wie schafft man es, dass eine Uhr überall auf der Welt gleichermassen gefällt?
Diese Frage stellen wir uns bei der Kreation einer Uhr gar nicht.

Sie delegieren sie an Ihre Marktforscher?
Nein, das machen wir nie. Wir trauen unserem Geschmack. Bei der Twenty-4 haben wir eine kleine Ausnahme gemacht. Da ging es ja darum, die Welt zu erschüttern. Da haben wir ein bisschen Marktforschung betrieben und festgestellt: Unsere Klientel wird auch gerne mit einem ganz neuen Design überrascht.

Aber Sie designen keine Uhr ganz gezielt für den chinesischen Geschmack, wie das heute viele Marken tun?
Nein. Ganz zuerst muss eine neue Uhr uns gefallen, mir und meinem Ehemann Thierry Stern. Das ist wichtig. Und wenn uns eine neue Uhr gefällt, kommt sie in den verschiedenen Märkten meistens auch gut an. Es gibt vielleicht unterschiedliche Vorlieben, was die Grösse einer Uhr anbelangt, aber da sind uns technisch Grenzen gesetzt. Wir werden nicht kleine Werke in ein grosses Gehäuse vergraben, das sieht nicht gut aus.

Man hat dann alle Anzeigen in der Mitte des Zifferblattes, das gibt kein harmonisches Gleichgewicht.Uhrendesigner sind meistens Männer. Kreieren Sie als Frau anders als ein Mann?
Ich hoffe es. Ich kann recht spitzfindig sein. Ich liebe das, was gut gemacht ist und zwar bis ins letzte Detail, selbst wenn man es nicht sofort sieht. Man soll bei einer Uhr immer wieder schöne Details entdecken, auch wenn man sie schon eine Weile trägt. Und man soll sagen können: Die sind wirklich bis zum Schluss gegangen, das ist von A bis Z gut gemacht.

Worauf sind Sie besonders stolz?
Die Twenty-4 hat die Welt der Damenuhr bei Patek Philippe sicher nachhaltig verändert und uns in diesem Bereich vorwärtsgebracht. Darauf bin ich stolz. Und es freut mich, dass wir bei den Damenuhren heute eine substanziellere Kollektion haben als früher: Minutenrepetition, Schleppzeiger-Chronograph, ewiger Kalender das alles bieten wir heute auch bei Damenuhren an.

Kaufen Frauen vermehrt komplizierte Uhren?
Patek Philippe ist sicher eher als maskuline Marke bekannt. Aber Männer, die Uhren lieben, haben auch Frauen. Und da springt der Funkeoft über. Frauen interessieren sich jedenfalls zunehmend für komplizierte mechanische Uhren. Und da können wir viel bieten, weil wir auch sehr kleine mechanische Werke mit Komplikationen haben, die sich für Damenuhren besonders eignen.Sie könnten ohne weiteres leben, ohne zu arbeiten.

Was motiviert Sie?
Alles. Ich habe immer schon gerne gearbeitet. Das ist ganz natürlich in unserer Familie. Wir könnten nicht ohne Arbeit leben. Wir sind stolz auf unsere Produkte; es gibt wohl nichts Schöneres als die Arbeit an Produkten, die andere Menschen zum Träumen bringen.

Gibt es auch eine Uhr von einem Konkurrenten, auf die Sie stolz wären, wenn Sie sie entworfen hätten?
Ganz ehrlich: Ich schaue mir im Rahmen meiner Kreationsarbeit die Produkte von Mitbewerbern nicht an. Wir wollen uns nicht von anderen inspirieren lassen. Wir haben es lieber, wenn sich andere bei uns inspirieren lassen.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag von Ihnen aus?
Primär geht es darum, für die Produkte einen roten Faden durchzusetzen. Am Anfang steht vielleicht eine Idee oder ein bestehendes Werk. Das ist die Basis für erste Zeichnungen. Wir geben natürlich dafür eine gewisse Richtung vor: klassisch oder sportlich, mit Diamanten oder ohne. Es arbeiten von Beginn an immer mehrere Designer am Projekt. Die ersten Zeichnungen schaue ich sehr, sehr genau an. Und schalte dann immer auch meinen Ehemann Thierry Stern ein. So geht es weiter, Etappe um Etappe: Zeichnung, Modell, Prototyp bis zum finalen Produkt. Und das bedeutet, dass es in meinem Arbeitsalltag sehr viele Sitzungen gibt.

Was ist für Sie Luxus?
Es ist die Zeit. Die Zeit, die nötig ist, um Uhren zu entwickeln und sich dabei um alle Details zu kümmern. Ich will mir Zeit nehmen, bis ich mit einem Projekt richtig zufrieden bin. Denn das Produkt ist der Star bei Patek Philippe. Und das braucht eben Zeit.

Und was ist Luxus für Sie ganz persönlich?
Zeit für die Familie. Wir haben keine grossen Ansprüche. Wir wollen nicht sechs Monate in die Ferien, wollen keine Yacht. Aber wir wollen Zeit für uns, für ein ruhiges Wochenende im Kreise der Familie. Das ist für mich wahrer Luxus.