Klagen aus dem Bauernstand sind nichts Neues. Aber diesen Sommer klingt ihr Lamento noch dramatischer als sonst. Von einer «katastrophalen Lage» sprechen Exponenten der Milchwirtschaft. Viele Bauern dächten angesichts des Zerfalls des Milchpreises ans Aufhören: «Niemand kann über längere Zeit eine Produktion aufrechterhalten, wenn die Kosten nicht gedeckt sind», sagt Markus Ritter, Präsident des Bauernverbands.

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Bislang begnügten sich Ritter und Co. damit, von der Politik höhere Direktzahlungen einzufordern. Doch jetzt erschallt auch der Ruf, in der Milchwirtschaft die ohnehin eher schwach ausgeprägten Marktkräfte auszuhebeln. Was es brauche, sei eine verbindliche Milchmengensteuerung, fordert SVP-Nationalrat Jacques Nicolet in einem Vorstoss. Mit anderen Worten: Fortan sollen wieder Bürokraten bestimmen, welcher Bauer wie viel Milch melken darf.

Im Visier der Partei steht die Branchenorganisation Milch (BOM), welche den Milch-Richtpreis festlegt, der als Leitschnur für Verhandlungen zwischen Milchkäufern und -verkäufern gilt. Sie ist laut SVP schuld daran, dass die Milchpreise immer tiefer in den Keller fallen.

Machtkampf unter den Verbänden

Dass die Volkspartei das Rad der Zeit zurückdrehen will, ist nicht neu: Bereits 2010 versuchte SVP-Nationalrat Andreas Aebi die kurz zuvor erfolgte Aufhebung der Kontingente wieder rückgängig zu machen. Er scheiterte im Parlament nur knapp mit seinem Ansinnen - sorgte damit aber innerhalb der Bauernschaft über Jahre hinweg für Zwietracht.

Jetzt greift die SVP wieder in die Mottenkiste - und dies auf einer für viele wackligen Grundlage. Im Juni waren die Produzentenpreise für Milch in der EU zwar so niedrig wie noch nie in diesem Jahrtausend. In der Schweiz jedoch lag der durchschnittlich ausbezahlte Milchpreis im selben Monat mehr als doppelt so hoch. «Statt sich über diese - relativ zur EU - deutlich bessere Situation zu freuen und zusammenzustehen, wird die angespannte Situation der Schweizer Milchproduzenten politisch ausgenutzt», kritisiert Lorenz Hirt, Co-Geschäftssführer der Fial, des Verbands der Nahrungsmittelindustrie.

Machtkampf der beiden einflussreichsten Verbände

Dabei stehen die Milchproduzenten mitnichten geschlossen hinter der Forderung nach einer Mengensteuerung. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass hinter der Frage nach der Milchmengensteuerung ein Machtkampf zwischen den beiden einflussreichsten landwirtschaftlichen Verbänden abläuft. Bauernverbandspräsident Ritter hat den Vorstoss mit unterzeichnet - und würde eine Rückkehr in die Planwirtschaft begrüssen. Die Schweizer Milchproduzenten SMP - eine Mitgliedsorganisation des Bauernverbands - unterstützen die Forderung nach diesem Markteingriff jedoch nicht. «Wir müssen uns bei der Krisenbewältigung auf Massnahmen konzentrieren, die umsetzbar sind», betont SMP-Direktor Kurt Nüesch. Die Einführung einer Mengensteuerung sei nicht realistisch - die Gefahr einer Spaltung unter den Milchproduzenten jedoch gross.

Offene Kritik am Schwesternverband äussern will dabei niemand. Doch anonym werden durchaus Anschuldigungen laut. Es sei stossend, dass viele Milchbauernvertreter im Vorstand der BOM und in der SMP im Führungsgremium einer Milchhandelsgesellschaft oder sogar eines Milchverarbeiters sitzen, heisst es im Bauernverband. Die SMP-Vertreter verträten darum nicht in erster Linie die Interessen der Milchbauern.

«Wir wollen keine Mengensteuerung einführen»

Bei Emmi, dem grössten Milchverarbeiter des Landes, ist man derweil überzeugt, dass eine Rückkehr zur Kontingentwirtschaft bei den Bauern nur wenig Rückhalt geniesse. «Eine Mengensteuerung, wie sie der SVP vorschwebt, ist unter den Milchproduzenten nicht mehr mehrheitsfähig», sagt Sprecherin Sibylle Umiker. Denn werde die Motion angenommen, hätte dies eine lange Phase grosser Rechtsunsicherheit zur Folge.

Dabei schliesst auch die BOM eine Rückkehr in die Kontingentwirtschaft aus. «Wir können und wollen keine Mengensteuerung einführen», sagt Geschäftsführer Stefan Kohler. Nur schon die Diskussion darüber würde ihm zufolge zu einer jahrelangen Zerreissprobe der Milchbranche führen - die am Schluss nichts bringen würde.

Fessel für die Erfolgreichen

Dabei würde eine Rückkehr zur Kontingentierung ausgerechnet erfolgreiche Milchproduzenten bestrafen. Viele Bauern haben die Aufhebung der Milchkontingentierung als Chance verstanden, ihre Betriebe zu modernisieren und die Produktionskosten zu senken. Im Zuge dieser Spezialisierung haben die Betriebe ihre Milchmenge ausgedehnt. Ihnen würden nun neue Fesseln angelegt. Dabei fehlt überhaupt eine Basis, um die Liefermengen gerecht festzulegen. «Eine Rückkehr zu einer staatlichen Mengensteuerung ist aus praktischen Überlegungen nicht möglich», sagt deshalb Jürg Jordi, Sprecher des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW).

Ebenfalls bezweifeln Branchenkenner, ob eine Mengenbeschränkung den erwünschten Einfluss hätte. Die Milchmärkte sind heute teilliberalisiert - im Käsemarkt zum Beispiel schützen keine Zollschranken die heimische Branche. Kurzfristig dürften die Preise zwar steigen. Langfristig jedoch würde die Massnahme zu weniger Absatz führen und dem Einkaufstourismus weiteren Vorschub leisten. «Man würde Mengen verlieren, ohne signifikante Auswirkungen auf den Preis», konstatiert Jordi.

Krise als Chance

Derweil werden unter den Bauern Stimmen laut, die fordern, dass die Milchwirtschaft die Krise nutzt, um eine langfristige Neuausrichtung aufzugleisen. «Wir dürfen weder an die Wiedereinführung der Kontingentierung noch an andere staatliche Eingriffe einen Gedanken verlieren», erklärt Christof Dietler, Geschäftsführer der Agrarallianz, die diverse ökologisch orientierte Organisationen der Ernährungswirtschaft vereint, darunter Bio Suisse und IP Suisse.

Er regt an, die Milchwirtschaft konsequenter über die Qualität zu positionieren. Angestrebt werden soll etwa eine beispielhafte tierfreundliche Milcherzeugung mit Weidegang und sehr wenig Kraftfutter. «Die Schweiz mit ihrer langen Tradition und ihrem hohen Qualitätsanspruch ist dafür prädestiniert», meint Dietler. Diese Massnahmen würen zwar nicht über Nacht bessere Produzentenpreise ergeben. «Sie gäbe aber zusätzliche Argumente für die Schweizer Milch.»

Auch bei der BOM will man dieses Potenzial stärker nutzen. Derzeit arbeitet sie eine «Mehrwertstrategie» aus, die Aspekte wie Naturnähe und Tierwohl stärker in den Fokus rücken soll. Über 20 Jahre lang hat sich die Werbung der Milchproduzenten darauf konzentriert, dem Konsumenten einzutrichtern, dass Milch die Knochen stärkt. Es wäre an der Zeit, ihm nun beizubringen, dass die Schweizer Milch auch andere Vorzüge hat.

EU-Milchpreis Im Juni erhielten Produzenten in der EU für Milch noch 27,4 Rappen pro Kilogramm Milch. Es ist der tiefste Auszahlungspreis in den letzten 20 Jahren.

Schweizer Milchpreis Hierzulande lag der durchschnittlich ausbezahlte Milchpreis im Juni bei 58,1 Rappen pro Kilo. Er lag damit etwa doppelt so hoch wie der EU-Preis. Laut Bauernverband müsste der Milchpreis bei 67 Rappen liegen, damit die Bauern ihre Kosten decken können.