Mai 2005. Die Resignation steht Werner Seifert ins Gesicht geschrieben. Kurzatmig und unkonzentriert tritt der Chef der Deutschen Börse vor den Aufsichtsrat. Seifert weiss: Die Investoren wollen seinen Kopf. Allen voran der Brite Christopher Hohn, Chef des Hedge-Fund TCI. Seiferts Pläne, die London Stock Exchange zu übernehmen, passten Hohn nicht in den Kram. TCI hält selbst nur acht Prozent an der Deutschen Börse, aber Hohn gelingt es, die Unterstützung anderer Investorengruppen zu erlangen. Zusammen kommen sie auf rund 30 Prozent. Ein aggressiver Aktionär setzt seinen Willen durch: Zum ersten Mal in der Geschichte wird der Chef eines deutschen Unternehmens von einem ausländischen Investor gefeuert.

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In der Schweiz halten Ausländer seit Jahrzehnten hohe Beteiligungen. Von ABB bis UBS – fast jede Firma hat Grossaktionäre aus dem Ausland an Bord. Die Nachkommen der Gründerfamilien und wohlhabende Privatpersonen wurden längst von internationalen Finanzgesellschaften abgelöst. So halten die Fondsgesellschaften Harris Associates und Franklin Templeton je zehn Prozent an Lonza. Der Value-Investor Tweedy Browne ist Grossaktionär bei Schweizer Mid-Caps wie Edipresse, PubliGroupe oder Siegfried. Und der Treuhänder Chase Nominees investiert über zehn Milliarden Franken in zwölf verschiedene SPI-Werte.

Auf der Suche nach unterbewerteten Aktien durchkämmen diese Finanzgesellschaften den Globus. In der Schweiz werden sie fündig. Hier gibt es Qualität zum kleinen Preis. Und was noch wichtiger ist: Die Eidgenossen empfangen sie mit offenen Armen.

In Deutschland entfachten die Ereignisse um die Deutsche Börse eine sehr emotionale politische Diskussion. «Wie Heuschreckenschwärme», so der Chef der deutschen Sozialdemokraten, Frank Müntefering, fielen Hedge-Funds und Beteiligungsgesellschaften über das Land her. Und Bundeskanzler Gerhard Schröder zettelte eine Anti-Kapitalismus-Debatte an, indem er «das entfesselte neoliberale Wirtschaftssystem» zu verteufeln begann. Voller Angst und Schrecken fordern Politik und Wirtschaft mehr Transparenz, Regulierungen und Überwachungen von internationalem Kapital.

Ein solch gestörtes Verhältnis zur eigenen Wirtschaftsordnung gibt es in der Schweiz nicht. Josef Ackermann stellt die berechtigte Frage: «Sollen alle ausländischen Investoren einen Bogen um Deutschland machen?» Kapitalismus wird in der Schweiz nicht verflucht, und schon gar nicht findet eine vergleichbare Polemik in der politischen Diskussion statt.

Die Eidgenössische Bankenkommission, die unter anderem auch Fonds kontrolliert, gibt sich völlig entspannt. Von Regulierungen oder stärkeren Überwachungen von Hedge-Funds oder Beteiligungsgesellschaften ist nicht die Rede. Und auch auf Seiten der Unternehmen scheint hier niemand in Panik zu geraten – dies, obwohl sich bei zahlreichen Schweizer Firmen mehr als die Hälfte der Aktien in der Hand von angelsächsischen Finanzgesellschaften befindet.

Wie etwa bei Actelion: Aktionäre aus den USA und Grossbritannien halten jeweils rund 15 Prozent am Biotechnologiekonzern. Weitere 30 Prozent sind über den ganzen Erdball verstreut. Weniger als die Hälfte der Marktkapitalisierung lässt sich Schweizer Anlegern zuordnen. Für Mareike Borchert, Investor-Relations-Managerin bei Actelion, ist das allerdings überhaupt kein Problem: «Obwohl viele unserer Aktionäre aus dem Ausland sind, pflegen wir ein enges Verhältnis zu ihnen.» Es gibt eine Reihe von Roadshows, an denen bestehende und potenzielle Investoren auf der ganzen Welt besucht werden. Mehrsprachige Videokonferenzen und Internetpräsentationen sollen die Geldgeber langfristig an das Biotechunternehmen binden. Die Rede des CEO wird auch schon mal ins Japanische übersetzt.

Investoren wollen gehegt und gepflegt werden. Im Umgang mit den Geldgebern lautet das Motto «Kooperation statt Konfrontation». Und damit fahren Schweizer Unternehmen recht gut. Denn wer die Ziele und Strategien der Investoren kennt, erlebt keine böse Überraschung. Die Investor-Relations-Abteilungen der Unternehmen bemühen sich daher um einen regen Meinungs- und Informationsaustausch zwischen Investoren und Management. Dies kann sich bei einem Übernahmekampf auszahlen.

Dem Industriekonzern Sulzer drohte vor vier Jahren eine feindliche Übernahme. Die Beteiligungsgesellschaft InCentive Capital bot 430 Franken pro Aktie. Die Aktionäre lehnten ab. «Wir konnten die Investoren davon überzeugen», sagt Gabriele Weiher, Head of Investor Relations bei Sulzer, «dass unsere Strategie gut ist und dass sie ein besseres Geschäft machen, wenn sie die Aktie halten.» Heute liegt der Kurs bei über 510 Franken. Der lange Atem bei Sulzer hat sich gelohnt.

So sieht das klassische Vorgehen langfristiger Anleger aus, und genau dies ist die Strategie der grossen Fondsgesellschaften. Sie verfolgen den so genannten Value-Ansatz. Das Prinzip ist einfach: Investoren suchen unterbewertete Titel und legen sie ins Depot, bis der faire Wert erreicht ist. So agieren Fidelity, Franklin Templeton, Tweedy Browne und Harris Associates. Sie lassen sich auch von schlechten Neuigkeiten nicht abschrecken. Kurzfristige Krisen werden ausgesessen, weil auf lange Sicht eine attraktive Rendite lockt. «Wir würden eher zuerst das Gespräch mit einem Unternehmen suchen und eine Entscheidung diskutieren», sagt Frederic de Merode, Fondsanalyst bei Fidelity, «als bei der ersten schlechten Nachricht die Aktie zu verkaufen.»

Wie dankbar man für Investoren mit langem Anlagehorizont sein muss, weiss man bei Forbo inzwischen sehr gut. Der britische Finanzinvestor CVC Capital Partners scheiterte mit seinem Versuch, den Klebstoff- und Bodenbelagshersteller zu übernehmen. Die Aktionäre, unter ihnen die Fondsgesellschaft Tweedy Browne aus den Vereinigten Staaten, waren überzeugt, dass der Übernahmepreis von 260 Franken je Aktie zu gering sei. Die Anteilseigner trauten dem Unternehmen zu, die geplante Reorganisation erfolgreich abzuschliessen. Ein weit höherer Kurs sei in Zukunft zu erzielen.

«Unser Anlagehorizont liegt bei drei bis fünf Jahren und länger», sagt David Herro, Chief Investment Officer für ausländische Aktien bei Harris, «wir wollen nicht kurzfristige Gewinne mitnehmen. Wir wollen langfristig Wert generieren.» Die Fondsgesellschaft aus Chicago kauft nicht einfach billige Aktien, sondern nimmt gleich auch das Management gründlich unter die Lupe. Denn von diesem erwartet Harris, dass es Firma und Aktienkurs wieder auf Vordermann bringt. Grosse Einmischungen in die Strategie der Geschäftsführung gibt es daher nicht. «Es ist nicht unsere Politik, ein günstiges Unternehmen zu kaufen und es dann aufzupäppeln. Das muss die Geschäftsführung schon selbst erledigen», so Herro.

Auch die kalifornische Firma Capital Guardian Trust hält grundsätzlich nichts davon, der Geschäftsleitung in deren Entscheidungen dreinzureden: «Ob wir einen Titel halten oder verkaufen», sagt Konzernsprecher Chuck Freadhoff, «hängt vielmehr von den Aussichten für das Unternehmen ab.» Um diese richtig einschätzen zu können, investiert Capital Guardian Trust viel Zeit und Geld in fundamentales Research. Neben Besuchen bei den Unternehmen und Gesprächen mit dem CEO werden auch Zulieferer, Wettbewerber und Kunden interviewt. Den Schweizer Markt kennt man inzwischen sehr gut. Denn die amerikanische Finanzgesellschaft führt seit 1962 ein Researchbüro in Genf.

Das ist das ideale Bild vom Investor in der Schweiz: Er investiert langfristig. Er steht in engem Kontakt zum Unternehmen. Er spricht offen über seine Ziele und Strategien. Und er mischt sich nicht in die Aufgaben des Managements ein. Ganz so einfach ist es aber in Wirklichkeit nicht immer. Wenn ein Investor mit Entscheidungen der Geschäftsführung nicht einverstanden ist, dann ist schnell Schluss mit Friede, Freude, Eierkuchen.

So geschehen beim Anlagenbauunternehmen SIG. Vor fünf Jahren wollte die Konzernspitze den ehemaligen Sulzer-Chef Fritz Fahrni zum Verwaltungsratspräsidenten wählen lassen. Die Fondsgesellschaft Tweedy Browne aus Boston, die gerade mal zwei Prozent der SIG-Aktien hielt, war strikt dagegen. Thomas Shrager, Managing Director bei Tweedy Browne und zuständig für den Schweizer Markt, äusserte sich in einem Leserbrief in der «Finanz und Wirtschaft» gegen die Nomination Fahrnis. Daraufhin reiste das SIG-Management nach London, um mit dem Fondsmanager zu sprechen. Shrager setzte sich durch – Fritz Fahrni wurde nicht Verwaltungsratspräsident. Eines der wenigen Beispiele, bei denen eine Einflussnahme durch einen Investor öffentlich ausgetragen wurde.

Normalerweise spielt sich solches unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Dies entspricht auch der Politik der Fondsgesellschaft Fidelity. «Öffentliche Kritik würden wir nur im Notfall üben», bestätigt Frederic de Merode von Fidelity. «Wir haben in Europa beinahe 3000 Meetings mit Unternehmen pro Jahr. Da gibt es genug Gelegenheit für Diskussionen.» Bei diesen Anlässen wird dann auch über strategische Entscheidungen gesprochen. «Es wird dann schon öfter heftig diskutiert», sagt Fondsmanager Shrager, «meistens passiert das aber hinter verschlossenen Türen. Denn es ist kontraproduktiv, das Management in der Öffentlichkeit zu kritisieren.» So halten es viele unter den angelsächsischen Investoren.

Daher reisen sie auch nur selten zu den Generalversammlungen an. Das ist nicht der geeignete Rahmen, über Strategien zu streiten oder Kritik zu üben.

Die meisten ausländischen Investoren sind also nichts anderes als aktive und kritische Aktionäre: eine wichtige Instanz, die dem Management und dem Verwaltungsrat auf die Finger schaut, die mit der Geschäftsführung an einem Strang ziehen will zu Gunsten des gemeinsamen Ziels einer hohen Rendite. Um diese Lektion zu lernen, erlebte so manches Unternehmen sein blaues Wunder.

So etwa die Jungfraubahn AG. Im Dezember 1998 tauchte ein neuer Investor aus den USA auf. Die Finanzgesellschaft Pico kaufte 18 Prozent am Berner Traditionsunternehmen. Aber was für Pläne hatte Pico-Chef Ronald Langley mit der Jungfraubahn? Ihn überzeugten die starken Zahlen und die hohe Dividendenrendite, sagt der Australier. So weit, so gut. Zwei Jahre später war es dann vorbei mit eitlem Sonnenschein. Die Valiant Holding wollte ihr Jungfraubahn-Paket verkaufen – an Pico. Der US-Investor wäre dann zu 44 Prozent der Anteile gekommen. Im Verwaltungsrat der Jungfraubahn brach Panik aus. Es begann eine eifrige Suche nach einem geeigneten Investor. Die Rentenanstalt konnte vom Kauf der Valiant-Beteiligung überzeugt werden, und die Gefahr war gebannt. Rückblickend wurde der Geschäftsleitung klar, dass eine Kooperation mit Langley vorteilhafter wäre als eine Konfrontation. So bekam dieser einen Sitz im Verwaltungsrat. «Herr Langley reist fünf- oder sechsmal im Jahr zu allen wichtigen Sitzungen des Verwaltungsrates an», erklärt der Investor-Relations-Manager bei der Jungfraubahn, Christoph Seiler. «Am Anfang waren wir alle besorgt, weil wir nicht wussten, ob seine Vorstellungen mit unseren übereinstimmen würden. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass sich seine Ziele als Long-Term-Investor mit denen vom restlichen Verwaltungsrat decken.»

Kein Wunder, dass die Eidgenossenschaft ein beliebtes Anlageziel ist. Anders als in Deutschland, wo die Anti-Kapitalismus-Debatte ausländische Investoren verunsichert und verärgert, bleibt der Umgang mit Geldgebern hierzulande professionell und ohne Emotionen. «In diesem Punkt ist die Schweiz anders als der Rest Europas», bestätigt David Herro von Harris. Zumindest darin ist die Schweiz der EU bereits einen Schritt voraus.