Jeder Bauer reagiert gleich, sobald ihm der Staat die Milch subventioniert: Er produziert so viel Milch, wie er kann. Aus der vielen Milch wird dann ein Milchsee, aus dem Milchsee ein Butterberg, aus dem Butterberg eine Käseunion, mit der die Schweiz ihre weltweit am höchsten subventionierte Milch als weltweit am höchsten subventionierten Käse vermarkten will – was grandios misslungen ist. Aus diesem Agrarwahnsinn haben die Politiker ein wenig gelernt: Statt dass sie die Milch noch stärker subventionieren, zahlen sie das Geld direkt in die Taschen der Bauern: Damit die schlauen etwas weniger überschüssige Milch produzieren – und die Umwelt etwas aufatmen kann.

Anders in der Verkehrspolitik. Hier steckt die Schweiz noch in der Butterbergphase. Es wird gebolzt, getuckert, gejettet, was das Zeug hält. «Verkehrsprognosen sind, rückblickend gesehen, in aller Regel falsch gewesen», erkennt der Schweizer Verkehrsminister Moritz Leuenberger: «Immer nämlich ist die Zunahme der Mobilität unterschätzt worden.» Das gilt vor allem für den Privatverkehr: Auf der Strasse hat sich der Personenverkehr seit 1960 verfünffacht und der Güterverkehr verzehnfacht. Beinahe ruhig läuft dagegen der öffentliche Verkehr. Seit 1960 hat sich der Schienenverkehr für Personen fast verdoppelt, für Güter gut verdoppelt. Allein in der Freizeit reisen wir Schweizerinnen und Schweizer 300-mal von der Erde zum Mond – an einem einzigen Tag, wie das Bundesamt für Raumentwicklung kürzlich errechnet hat. Wir sind manisch mobil.

Die Folgen dieser Entwicklung werden etwa vom Bundesamt für Verkehr gebetsmühlenartig repetiert: «Immer mehr Staus, Luftschadstoffe, Lärm, Zerschneiden der Landschaften. Der Lastwagenverkehr beansprucht etwa ein Drittel der Autobahnkapazität, der motorisierte Strassenverkehr verursacht ein Drittel der CO2-Emissionen, die den Treibhauseffekt mit verursachen. Jeder vierte Einwohner der Schweiz ist heute Tag und Nacht einem Lärmpegel ausgesetzt, der über den für Wohnquartiere geltenden Grenzwerten liegt.»

Vor einem Jahr, am Fest für den neuen Tunnel am Baregg, warnte Moritz Leuenberger: Statt «Stau am Baregg» werde es künftig wohl «Stau am Gubrist» heissen. Tiefsinnig fragte er: «Wie viele Röhren braucht unser Land?» Die Antwort wisse jeder Ökonomiestudent im ersten Semester, spasste der Basler Ökonomieprofessor René L. Frey. «Wird ein Gut knapp, müsste dessen Preis steigen. Geschieht das nicht, kommt es eben zu Warteschlangen.» Und Warteschlangen bezeichnet man im Verkehr als Stau.

Autofahrer kommen zu billig weg. Sie finanzieren ihr Fahrzeug und via Benzinsteuern und Autobahnvignetten die Strassen. Das genügt nicht. Autofahrer verursachen Unfälle, Lärm, Staus, Klimaschäden, ohne dass ihnen dies angelastet würde. Ökonomen sprechen von «externen Effekten», die einer Korrektur bedürfen. Der Staat muss für «richtige» Preise sorgen, sprich: höhere Preise. Davor schrecken Politiker zurück. In der Schweiz leben 5,6 Millionen Einwohner, die über zwanzig Jahre alt sind. Auf diese entfallen 3,75 Millionen Personenwagen. «Freie Fahrt für freie Bürger», einst ein Slogan der Auto-Partei, wurde zum Programm einer Zweidrittelsmehrheit.

Politiker reagieren auf diese Ausgangslage mit einer Politik, die gut gemeint ist, aber in die verkehrte Richtung geht. Sie wollen den Verkehr irgendwie reduzieren, aber nicht, indem sie ihn verteuern, sondern indem sie ihn verlagern – angeblich von der Strasse auf die Schiene. Wie soll das möglich sein? Indem sie den öffentlichen Verkehr attraktiv machen, noch attraktiver als den Privatverkehr. In einer Marktwirtschaft geht das nur über den Preis. Also werden Politiker, die beim privaten Verkehr nicht mutig genug sind, beim öffentlichen Verkehr tollkühn: Sie bauen neue Strassen und neue Schienen.

Dieser Weg führt in eine doppelte Sackgasse: Es kommt zu Verkehrslawinen – und zu Milliardenlöchern.

Allein der Bund verbraucht inzwischen rund vier Milliarden Franken im Jahr (für den Unterhalt und den Bau der Infrastruktur und zur Abgeltung des Regionalverkehrs). Das ist genau gleich viel wie für die Landwirtschaft. Hinzu kommen die Subventionen der Kantone, die nochmals 0,8 Milliarden in den Regionalverkehr stecken. Die Städte und Gemeinden subventionieren Trams und Busse mit 0,6 Milliarden. Macht schon 5,4 Milliarden Franken Subvention im Jahresdurchschnitt, konservativ geschätzt durch den VöV, den Verband öffentlicher Verkehr.

Noch nicht eingerechnet ist hier der Platzverschleiss. «Allein die SBB verbrauchen für ihre Anlagen rund 100 Quadratkilometer Land, ohne dass die Kosten in der Erfolgsrechnung erscheinen, obwohl die volkswirtschaftlichen Kosten für so viel bebautes Land wenigstens eine Milliarde Franken betragen», rechnete der Freiburger Ökonomieprofessor Reiner Eichenberger mit seinem Assistenten Mark Schelker in der «Weltwoche» vor. Regelmässig geht vergessen: Die Gratis-kredite der öffentlichen Hand wirken bis in die Ewigkeit. Laut der offiziellen «Schweizerischen Eisenbahnrechnung», die das Bundesamt für Statistik erstellt, schenkt der Bund damit den Bahnen 0,6 Milliarden Franken, Jahr für Jahr.

Die jüngste Gratisgabe ist die Eisenbahn-Alpentransversale Neat, die als De-Luxe-Variante durch den Gotthard und den Lötschberg doppelt gebaut wird und nach heutigem Stand 15,8 Milliarden Franken kosten wird. Vor der Volksabstimmung hiess es hoch und heilig, 25 Prozent dieser Summe würden marktüblich verzinst. «Es zeichnet sich nun ab, dass die Bahnen in den kommenden Jahren dazu nicht in der Lage sein werden», vermeldet das Bundesamt für Verkehr stoisch. Dadurch «entstehen dem Bund in der Finanzrechnung ab 2007 beträchtliche zusätzliche Kosten».

Die echten Kosten des öffentlichen Verkehrs sind derart hoch, dass das Schlagwort aller Umweltschützer – «Kostenwahrheit im Verkehr» – still verschwunden ist. Kostenwahrheit wäre heute eine unangenehme Wahrheit, wie das Buch unter dem Titel «Die vergessenen Milliarden» (Haupt Verlag Bern, 1996) klar machte, herausgegeben von den drei Instituten Infras, Econcept und Prognos. Werden die Kosten für die Infrastruktur der Bahn und sämtliche Abgeltungen für den Service-public-Auftrag offen auf den Tisch gelegt, lässt sich daraus der Schluss ziehen: «Auto schlägt Bahn.» So lautete im Sommer 1996 eine Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins «Facts», die damals einen Sturm der Entrüstung auslöste. Heute gibt selbst SBB-Ex-Generaldirektor Hans Peter Fagagnini via «Weltwoche» zu: «Die Gegenüberstellung zeigt, dass die Bahn wahrscheinlich höhere externe Kosten produziert als der private Verkehr.»

Dies ist ein ideologischer Streit. Die Umwelt hat nichts davon, wenn man die Strasse gegen die Schiene ausspielt. Entscheidend ist, dass alle Verkehrsträger viel zu billig sind.

– Der öffentliche Verkehr beansprucht offene Subventionen (wie gesagt 5,3 Milliarden Franken), versteckte Subventionen (rund 1,6 Milliarden), und er verursacht externe Kosten für Lärm (mindestens 150 Millionen Franken) und Unfälle (mindestens 20 Millionen Franken). Insgesamt werden sicher sieben Milliarden Franken Jahr für Jahr auf die Allgemeinheit überwälzt.

– Der private Verkehr führt zu externen Kosten in derselben Grössenordnung: rund sieben Milliarden Franken für Unfälle, Lärm, Staus, Klimaschäden. Diese Zahl stammt aus dem Schlussbericht des Nationalfonds-Programms 41, das auf einer Studie des Büros Infras aus dem Jahr 2000 basiert. Es scheint sich hier um Grössenordnungen zu handeln, die seither allgemein zitiert und akzeptiert werden. Der Basler Ökonomieprofessor René L. Frey meint: «Lieber ein bisschen falsch als ganz sicher falsch.» Die heutige Politik, diese sieben Milliarden Franken mit null Franken in Rechnung zu stellen, ist ganz sicher falsch.

– Gigantische externe Kosten verursacht der Luftverkehr, die schmutzigste aller Transportarten. Er ist zu 13 Prozent für die Klimabelastungen der Schweizerinnen und Schweizer verantwortlich, 2020 werden es über 30 Prozent sein. Trotzdem wird Kerosin im internationalen Verkehr von der Steuer befreit, sogar von der Mehrwertsteuer, was die beiden kanadischen Umweltökonomen Norman Myers und Jennifer Kent zum Standardbeispiel für «perverse Subventionen» (Titel ihres Buchs) ernannt haben.

Die Schweiz erhebt immerhin auf Inlandflüge eine minimale Flugtreibstoffsteuer. Diese ergibt Einnahmen von rund 70 Millionen Franken. Das Bundesamt für Raumentwicklung hat vom Büro Infras ausrechnen lassen, wie viel der Bund einnehmen könnte, würden auch die internationalen Flüge derselben Steuer unterworfen: rund 1,5 Milliarden Franken. Würde diese Summe auf die Ticketpreise überwälzt, käme es wohl zu «einem Nachfragerückgang, der schlussendlich auch in einen tieferen Verbrauch mündet», wie es in der Studie des Bundesamts für Raumplanung heisst. Das ist Wunschdenken: Eine Flugverkehrssteuer liesse sich nur international einführen, ist aber nirgendwo in Sicht.

Warum wird das Konzept der externen Kosten so selten befolgt? Eine positive Ausnahme macht die Schweiz – im Güterverkehr auf der Strasse, dank der Einführung der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA). «Die LSVA wird dazu führen, dass die externen Kosten gedeckt sind», heisst es dazu in der Infras-Studie. Voraussetzung sei, dass die LSVA in der Höhe von 2,7 Rappen pro Kilometer und Tonne Gesamtgewicht erhoben wird, wie es mit der Eröffnung der Neat am Lötschberg vorgesehen ist, also im Jahr 2008.

Derweil träumt der Basler Professor René L. Frey von einer leistungsabhängigen Personenwagen-Abgabe (LPWA). «Der Automobilist würde am Ende des Monats eine Rechnung für Strassenbenützung erhalten, genau gleich wie wir monatliche Rechnungen fürs Telefonieren bekommen. Auch beim Telefonieren richtet sich der Betrag nach Gesprächsminuten, Tageszeit und Wochentag. Tagsüber, wenn viel telefoniert wird, ist der Tarif hoch. Ausserhalb der Arbeitszeiten tief.»

Im Ausland nennt man das Road-Pricing, und die Erfahrungen in London sind sehr ermutigend: Der Verkehr reduzierte sich um 20 Prozent, die Staus um 30 Prozent. Angenehme Nebenwirkung: Die Fahrpläne der Busse mussten angepasst werden, denn jetzt kommen sie viel schneller durch die City.

Road-Pricing, ein marktwirtschaftliches Instrument erster Güte, kommt den Schweizer Bürgerlichen aber in den falschen Hals. FDP-Nationalrat Ruedi Noser, Protagonist von Avenir Radical, erntete mit seinem Vorschlag bei seiner eigenen Partei und vor allem bei der SVP nur höhnisches Gelächter.

Auch die unabhängigen Experten nehmen zur Kenntnis, dass Road-Pricing in der Schweiz keine politische Chance hat, leider. Das Büro Infras schlägt ein Konzept auf drei Beinen vor:

– Eine kilometerabhängige Grundgebühr. Keine Angst, daraus wird keine prohibitive Abgabe: «Eine Abgabe von fünf Rappen pro Kilometer mit Zuschlägen in den Agglomerationen» würde reichen, «die heute bekannten externen Kosten zu decken». Zu messen ist diese Gebühr an den effektiven Kosten eines gewöhnlichen Autos: Laut TCS betragen sie für einen Kilometer rund 70 Rappen, wenn man alles mitrechnet (Kaufpreis, Amortisation, Versicherung, Abschreibung, Service, Raparatur, Benzin).

– Eine neue CO2-Steuer, welche die heutige Mineralölsteuer ersetzen und gar «reduzieren» könnte. Dafür würde damit der effektive CO2-Ausstoss besteuert und wohl reduziert.

– Neue «risikogerechte Prämien» für die Unfallversicherung. Auch davor müssen sich Autofahrer nicht gross fürchten: Sie würde «zwischen 200 bis 300 Franken pro Versicherten» steigen.

Es sind also keine ökologischen Fundamentalisten, die «Kostenwahrheit im Verkehr» fordern, sondern nüchtern kalkulierende Ökonomen. Die wollen nicht den Autoverkehr auf null reduzieren, sondern diesem lediglich die effektiven Kosten in Rechnung stellen. Sieben Milliarden Franken – das tönt vielleicht nach viel Geld, macht auf jedes Automobil in der Schweiz noch 1850 Franken im Durchschnitt. Eine solche Durchschnittssteuer bringt den Verkehr nicht zum Erliegen, sie bremst jedoch das Verkehrswachstum – und fördert das Wirtschaftswachstum. «Wir brauchen dann weniger Tunnels und Strassen und könnten Kosten sparen», prophezeit René L. Frey.

Viel tiefgreifender wäre die Herstellung der «Kostenwahrheit» im öffentlichen Verkehr. Würde der Staat dazu übergehen, die unrentabelsten Strecken stillzulegen, könnte er sehr viel Geld sparen. Statt Eisenbahnen würden dann Busse in die hintersten Täler verkehren. Endlich, müsste man hier kommentieren. Bereits 1992 haben SBB-Verantwortliche bei 22 Linien «dringenden Handlungsbedarf» geortet. Die Umsetzung lässt auf sich warten: Ganze fünf SBB-Linien wurden auf Busbetrieb umgestellt, mehr erwies sich als politisch nicht machbar.

Dabei könnte der Staat von einer ökologisch verträglichen und ökonomisch vernünftigen Verkehrspolitik enorm profitieren. Sieben Milliarden zusätzliche Steuereinnahmen vom privaten Autoverkehr, zwei Milliarden vom Flugverkehr, macht neun Milliarden. Wird zudem das Defizit im öffentlichen Verkehr wenigstens halbiert, so ergäbe das bereits gut zwölf Milliarden Franken Manövriermasse, die der Staat neu nutzen könnte.

Wozu? Zu Steuersenkungen. Der Staat könnte zum Beispiel die AHV-Beitragssätze halbieren, davon würden immerhin alle Berufstätigen profitieren. Oder er könnte, wie es die beiden Freiburger Ökonomen Eichenberger und Schelker vorschlagen, die Mehrwertsteuer abschaffen. Davon würden dann wirklich alle profitieren.

Diese Politik wäre nachhaltig. Sogar die künftigen Generationen könnten aufatmen, wenn der Verkehr nicht länger vom Staat angekurbelt würde.

Literatur zum Thema

  • Markus Maibach et al.: Faire und effiziente Preise im Verkehr, Bericht D3 des NF-Programms 41. Bern 1999. Eine Kurzversion unter www.nfp41.ch
  • Martin Peter et al.: Infrastrukturkosten Luftverkehr. Zürich, 2003. Herunterzuladen unter www.are.admin.ch
  • Norman Myers, Jeniffer Kent: Perverse Subsidies. Island Press, 2001

BILANZ-Serie: Irrtümer der Wirtschaftspolitik

Bisher erschienen sind:

  • Irrtum Nr. 1: Die Ausländer nehmen uns die Jobs weg (BILANZ 3/2004)
  • Irrtum Nr. 2: Der Staat fördert das Wohneigentum (BILANZ 4/2004)
  • Irrtum Nr. 3: Die Inflation muss null Prozent betragen (BILANZ 5/2004)
  • Irrtum Nr. 4: Die Sozialhilfe belohnt das Nichtstun (BILANZ 6/2004)
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