Ein höherrangiger Google-Mitarbeiter hat ein offen sexistisches «Anti-Diversitäts-Manifest» verbreitet, mit der Klage, dass diese Standpunkte von der Mehrheitsgesellschaft und im Tech-Konzern unterdrückt würden.

Nachdem das Dokument zunächst im Konzern im Umlauf war, publizierten es am Wochenende mehrere englischsprachige Portale (lesen Sie es hier in voller Länge). Eine hitzige Debatte auf Twitter entstand, Google-Offizielle reagierten. Google-Chef Sundar Pichai schrieb am Montag in einem Memo an seine Mitarbeiter, dass Teile des Textes «unseren Code of Conduct verletzen und eine Grenze überschreiten, indem es schädigende Geschlechter-Stereotypen befördert» (auch dieses Memo hier in voller Länge). Am Dienstag bestätigte der Verfasser des «Manifestes» gegenüber Bloomberg, dass er entlassen wurde.

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Das Ausmass der Erschütterung ist unfassbar

Ein Text, dessen Kernthese darin besteht, dass Frauen «aus biologischen Gründen» weniger in Tech-Berufen zu finden seien, hat also eine Lawine ausgelöst. Das an sich ist unfassbar: Dass ein so leichtgewichtiges Schreiben eine solche Erschütterung nach sich zieht. Die Debatte ist derart hochgekocht, dass Google-Chef Pichai sich zur Rückkehr aus dem Urlaub entschied, um die Wogen im Unternehmen persönlich zu glätten.

Der Verfasser, um hier kurz einen historischen Vergleich zu ziehen, liegt mit seiner Argumentation auf Wellenlänge etwa mit dem Physiologen Gustav Fritsch. Dieser bescheinigte Frauen ein «häufig mangelhaftes Gedächtnis» und überhaupt eine «zarte Natur». Aus diesen Gründen plädierte er gegen die Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium – in Berlin im Jahr 1908. Weitere 47 Gelehrte bezweifelten damals als Brüder im Geiste die Studierfähigkeit von Frauen aufgrund des «namhaften Unterschieds in der Ausbildung und Anordnung der Hirnwindungen beim Manne und beim Weibe».

Ex-Google-Angesteller als Held gefeiert

Die Argumentation des Ex-Google-Mitarbeiters ist also in keinster Weise neu oder originell. Im Gegenteil, das Repertoire ist mehr als angestaubt. Wann immer in der Geschichte zum Argument der Biologie gegriffen wurde, ging es um zweierlei: einen Status quo in einem Machtverhältnis zu zementieren oder die gewaltsame Unterdrückung einer Minderheit zu legitimieren.

Warum also ist dieses unglückselige Schreiben überhaupt der Diskussion wert? Deswegen, weil die Entlassung den Ex-Google-Angestellten ungewollt glorifiziert. Viele Stimmen auf Twitter verstehen diesen Schritt als Verrat an der Grundhaltung, die Google als Konzern propagiert. Der Autor erscheint als tapferer Streiter, der sich für die Meinungsfreiheit aufopfert. Die neue Rechte hat ihn umgehend als Helden gefeiert. Flugs entstand in Reaktion ein Fundraising, um den Autoren finanziell zu unterstützen, damit er «Google bekämpfen» kann (Stand Dienstagmittag: 2900 Dollar, 47 anonyme Geldgeber).

Teures Scheingefecht

Damit ist es dem Mitarbeiter gelungen, ein Scheingefecht zu entfachen, wie es typisch ist für die derzeitige politische Kultur in den USA. Unter dem Vorwand der freien Meinungsäusserung kehrt eine Diskussion zurück in die Ursuppe. Denn gefährlich daran ist, dass diese Nebelkerzen den Fortschritt bremsen, weil sie Kraft und Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Es ist lange bekannt, dass das Silicon Valley ein Problem mit Sexismus und Rassismus hat. Google, Uber und Co. sind längst nicht damit fertig, diese Missstände zu beseitigen. Das bedeutet aber nicht, dass die Debatte noch einmal die kulturelle Entwicklung seit dem Jahr 1908 nachvollziehen muss. Es ist Aufgabe der Tech-Riesen, die Konzernkultur zeitgemäss weiterzuentwickeln, was ihm jetzt hoffentlich noch gelingt. Dem Autor des «Manifests» verdankt das Unternehmen dabei, wenn es gut läuft, nicht mehr als eine kräftezehrende Volte.