Der Artikel erschien unauffällig, letzte Spalte unten, ein Einspalter. Die Schlagzeile versprach allerdings Wirbel. «Parteipräsidenten sprechen sich gegen Sika-Deal aus», titelte die «Schweiz am Sonntag». Der Sika-Besitzerfamilie blase ein harter Wind aus Bern entgegen, hiess es, «sämtliche Präsidenten der grossen Bundesratsparteien stellen sich gegen den Deal: Toni Brunner (SVP), Philipp Müller (FDP), Christian Levrat (SP) und Christophe Darbellay (CVP) sind dagegen, dass Sika an die französische Konkurrentin Saint-Gobain verkauft wird»

Eine klare Botschaft: Die Politik steht geschlossen hinter den leitenden Angestellten der Sika, die sich vehement gegen die Übernahmepläne stemmen. Doch die Story hat einen Haken: Sie stimmt nicht.

Keiner der vier Parteipräsidenten hat sich gegen den geplanten Verkauf ausgesprochen. Keiner will sich einmischen.

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Neue Dimensionen

Die Geschichte ist der vorläufige Höhepunkt einer beispiellosen Public-Relations-Kampagne, die in der Öffentlichkeit, bei Aktionären, Mitarbeitern und auch bei angerufenen Richtern ein verfälschtes Bild der Lage entstehen lässt. BILANZ hat sich bei allen Parteipräsidenten nach den Gründen für ihre ablehnende Haltung erkundigt. Sie reagierten zuerst mit Unverständnis. «So etwas habe ich noch nie erlebt», schimpft CVP-Präsident Darbellay, «das Lobbying im Fall Sika erreicht neue Dimensionen.»

Verärgert und entrüstet reagierten auch die anderen. Als Einziger hat sich SVP-Präsident Toni Brunner öffentlich zum Fall Sika geäussert. In der Sonntagsfernsehrunde «Sonntalk» vom 1. März sprach er mit kritischem Unterton über einen absehbaren Stellenabbau in der Schweiz und über das Privileg der Stimmrechtsmehrheit, das beim Verkauf auf den neuen Eigentümer übergehe. Doch auch er bleibt neutral. Frage an Christoph Blocher, den Parteivordenker: Hat die Politik überhaupt mitzureden, ob die Stimmenmehrheit von Sika ins Ausland verkauft werden darf? Seine Antwort: «Nein! Es ist ein rechtlicher Entscheid. Die privatrechtliche Eigentumsgarantie ist hochzuhalten. Politische Willkür hat hier keinen Platz.» Und wie stellt er sich dazu, dass Lobbyisten Parlamentarier bearbeiten, damit sich diese öffentlich gegen den Sika-Deal aussprechen? «Solches passiert halt. Dumm aber, wenn die Parlamentarier darauf hereinfallen. Hier gibt es nur eine Antwort: Das ist jetzt kein politisches, sondern ein juristisches Thema, und dafür sind die Gerichte zuständig. Ich als Politiker äussere mich nicht.»

Kampagnenmeister

Seit Monaten hält eine PR-Einsatztruppe aus der Beratungsfirma Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten den Protest der Sika-Manager gegen die verkaufswillige Burkard-Familie und den Saint-Gobain-Konzern in den Medien am Kochen. Es ist ein ungewöhnlicher Auftrag, eine Kampagne des Managements gegen deren Mehrheitsaktionär. Die Stimmungsmache zeigte Erfolge, mehr als 1600 Meldungen zum Thema verzeichnet die Schweizer Mediendatenbank SMD seit der Verkaufs ankündigung, und der Tenor spiegelte anfangs mehrheitlich die Argumente der Manager wider.

«Einzelabreibung» im Bundeshaus

In der Wandelhalle des Bundeshauses versuchen die Konsulenten-Lobbyisten Dominique Reber und Hugo Schittenhelm Parlamentarier in Hintergrundgesprächen zu überzeugen. «Einzelabreibung» heisst die Prozedur in der Branche. Ein Parlamentarierfrühstück für Stände- und Nationalräte mit VR-Präsident Paul Hälg haben sie im Angebot, im Salon Casino, Hotel Bellevue Palace. Wie gelangte die Politikerliste an die Zeitung? «Ich werde mich nicht an solchen Spekulationen beteiligen», sagt Reber. Ein Dementi tönt anders, aber auch Mauern zählt zum Handwerk der PR-Leute.

Und ja, natürlich haben die Konsulenten eine ethische Charta: «Professionalität, Unabhängigkeit, Integrität, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und Diskretion sind für uns Kernwerte in der Beratung unserer Klienten.» Auch die Redaktion der «Schweiz am Sonntag» will sich nicht zu den Abläufen äussern.

Es sind Botschaften zur argumentativen Unterfütterung von Rechtsstreitigkeiten, die kein Thema der Politik sind. Die Übernahmekommission (UEK) liess sich davon nicht beirren, als sie über ein Feststellungsbegehren der Familienholding zu entscheiden hatte. Die Kommission gab der Familie Burkard recht. Im Kantonsgericht Zug wiederum soll Ende März Richter Rolf Meyer darüber urteilen, ob die Sika-Verwaltungsräte kurzerhand die Stimmrechte der Gründerfamilie wegen eines unterstellten Missbrauchs beschneiden dürfen - und somit deren Mehrheit in der Generalversammlung am 14. April kippen könnten.

Richter müssen unbefangen entscheiden, so die reine Lehre, doch Richter lesen auch Zeitungen. Es dürfte sie wohl nicht kaltlassen, wenn sie den Protest des kompletten politischen Mainstreams von links bis rechts gegen sich hätten. Mit Richter Meyer entscheidet allerdings ein Mann mit 30 Jahren Berufs erfah rung. 18 Jahre lang amtete Meyer sogar als Gerichtspräsident, er wurde von der CVP für das Richteramt nominiert. Meyer muss sich auf die Erfüllung der Anforderungen des formalen Rechts konzentrieren, nicht auf PR-Getöse. Ende März urteilte er gegen die Inhaberfamilie Burkhard und für das Sika-Management.

Bescheidener Erfolg

Zahlreiche Investoren und Ex-Sika-Manager haben sich mit Kommentaren und Statements dem Protest angeschlossen. Doch die Argumente der PR-Aktionen wiederholen sich inzwischen, und manche dieser Stimmen aus dem Sika-Lager verweisen auf die Aktionärsdemokratie. So betont Ex-Sika-Mann Walter Grüebler den «Sika-Spirit» und gibt sich als Kämpfer für die Rechte der Publikumsaktionäre.

Doch er zeigt einen erstaunlichen Wandel: Vor wenigen Jahren noch hat er selbst in einem weiteren Fall auf der anderen Seite gestanden (siehe unten, »Sika-Spirit»). Nennenswerten Erfolg hatten die Lobbyisten nur bei Doris Fiala (FDP), der Präsidentin des Kunststoff verbands, bei dem auch Sika Mitglied ist, sowie bei Markus Lehmann (CVP), Edith Graf-Litscher (SP), Karl Vogler (CSP) und Dominique de Buman (CVP). Die Sorge um Arbeitsplätze treibe sie an, sagen sie. Das ist durchaus verständlich. Sika ist ein wichtiger Arbeitgeber im Thurgau, in Obwalden, in Freiburg. Fiala lässt sich gar zitieren, dass Sika von Saint-Gobain «wahrhaft ausgeblutet» werde.

Einige Wirtschaftspolitiker werfen grundsätzliche Fragen zum Aktienrecht auf - nachvollziehbare Fragen. CVP-Ständerat Pirmin Bischof zum Beispiel wollte vom Bundesrat wissen, was die Vor- und Nachteile des heutigen Systems mit Opting-out-Klausel und Stimmrechtsaktien seien und ob Handlungsbedarf bestehe. Doch die Regierung hat sich um eine detaillierte Antwort gedrückt. «Offenbar ortet der Bundesrat keine Probleme», sagt Bischof, «deshalb sollten wir als Gesetzgeber jetzt auch nichts ändern.» In den Fall selbst will er sich nicht einmischen: «Ich will mich auch nicht instrumentalisieren lassen, weder von der einen noch von der anderen Seite.»

Weitere Politiker sollen angeblich auf der Sika-Seite stehen, wie die «Schweiz am Sonntag» berichtete. Genannt wurden die SVP-Nationalräte Thomas Aeschi aus Zug und der Zürcher Banker Thomas Matter wie auch Ruth Humbel (CVP), Josias Gasser (GLP), Margret Kiener Nellen (SP) und Alois Gmür (CVP). Tatsächlich fühlen sich die Genannten missbraucht. «Ich habe mich nie öffentlich zum Fall Sika geäussert», sagt Aeschi gegenüber BILANZ. «Es ist stossend, dass mein Name herumgereicht wird», führt Matter aus, «ich wurde im Fall Sika nie angegangen, weder von Lobbyisten noch von Medien.»

Saint-Gobain-Chef bleibt hart

Die PR-Aktionen der Konsulenten hatten schon gleich nach der Verkaufsankündigung die Familie Burkard und den Saint-Gobain-Konzern überrumpelt. Erst zögerlich reagierten sie mit dem Einsatz jeweils eines PR-Beraters. Doch inzwischen haben auch sie ihre Kommunikationsteams verstärkt. Medien, Politiker und Investoren werden nun von allen Seiten bearbeitet. Saint-Gobain-Chef Pierre-André de Chalendar ist nach Bern gekommen, hat in der Wandelhalle angeblich kritische Parlamentarier getroffen - und seine Pläne offengelegt. Nein, er wolle Sika nicht aushöhlen. Warum auch? Das Unternehmen floriert schliesslich so, wie es ist. «Wir halten an unseren Absichten fest und erwarten den Abschluss der Übernahme im zweiten Halbjahr», erklärt er gegenüber BILANZ. Er wackelt nicht. Aus seiner Heimat ist er ganz andere politische Kämpfe gewohnt.

Scheinheiliger «Sika-Spirit»

Die Ex-Manager halten den «Sika-Spirit» hoch. Sie kennen es auch anders. Walter Grüebler, Ex-Sika-Präsident, wirft der Familie Burkard einen unlauteren Deal vor, weil diese beim Verkauf ihrer Holding mit 16 Prozent der Anteile, aber 52 Prozent der Stimmrechte eine Prämie in Höhe von mehr als 80 Prozent auf dem Aktienkurs kassiere - zum Nachteil der Publikumsaktionäre. Aus Protest hat er mit Ex-Managern eine Aktionärsgruppe gebildet, die er «Sika-Spirit» nennt.

Grüebler hat Erfahrung mit dieser Fallsituation, nämlich auf der anderen Seite. 2009 hatte er mit drei weiteren Verwaltungsräten eine Beteiligung von 16 Prozent und Optionen an der Plastikproduzentin Quadrant. Sie brachten ihren Anteil in die neu gegründete Aquamit B.V. ein und verkauften unmittelbar danach 50 Prozent der Holding an den japanischen Mitsubishi-Konzern.

Mit diesem Dreh kamen die vier in den Genuss einer Prämie von 33 Prozent; die anderen Publikumsaktionäre bekamen entsprechend weniger. In Form von günstigen Krediten erhielten sie zusätzliche finanzielle Vorteile. Gesamthaft erhielten sie so, umgerechnet auf den Verkaufspreis der Aktie, eine Prämie von mehr als 100 Prozent. Grüebler fand das damals ganz in Ordnung so.