Strahlende Gesichter an der Pressekonferenz der SIX Group von Ende März. Schliesslich konnte Konzernchef Urs Rüegsegger für den Infrastrukturbetreiber des Schweizer Finanzplatzes – Wertschriftenhandel, Aufbereitung von Finanzinformationen, bargeldloser Zahlungsverkehr – ein exzellentes Resultat für das vergangene Geschäftsjahr präsentieren. Der Gewinn rauschte um annähernd die Hälfte nach oben auf 320 Millionen Franken – und dies, obwohl die Einnahmen um 9,4 Prozent sanken.

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Die Zahlen allerdings haben einen Schönheitsfehler. Der Ertrag wurde aufgebläht durch den Verkauf der Eurex-Beteiligung. An der Derivatebörse hielt die SIX Group 50 Prozent des Kapitals, erhielt jedoch nur 15 Prozent des Gewinns. Den grossen Rest holte sich die Deutsche Börse. Nur war dies den Deutschen nicht genug: Sie wollten alles und zwangen den Juniorpartner zum Verkauf. «Sie haben uns das Messer an die Gurgel gehalten», erinnert sich ein SIX-Verwaltungsrat.

Aus der Zwangsabtretung flossen 730 Millionen Franken nach Zürich. In den Augen mancher SIX-Manager war das viel zu wenig für den Anteil an der hochlukrativen Derivatebörse. «Wir haben uns über den Tisch ziehen lassen», meint ein ehemaliges Kadermitglied.

Murren auf den Hinterbänken. Der plötzliche Geldsegen weckte unter den 150 SIX-Aktionären – ausnahmslos Banken – Begehrlichkeiten. Vor allem Privat- und Regionalbanken forderten, dass der grösste Teil unter den Anteilseignern verteilt werde. «Nach einer ausgiebigen Diskussion stimmte der Verwaltungsrat dafür, das Geld bei der SIX zu behalten für künftige Akquisitionen», sagt Pierin Vincenz, Verwaltungsratsmitglied bei SIX und CEO der Raiffeisen Gruppe.

Um auf den Hinterbänken das Murren zum Verstummen zu bringen, wird aus dem Eurex-Verkaufserlös eine Sonderdividende von 184 Millionen Franken ausgeschüttet. Damit auch künftig keine Begehrlichkeiten mehr aufflammen, hat der Verwaltungsrat ein ziemlich nebulöses Wachstumsprogramm bekanntgegeben. Dazu Präsident Peter Gomez: «SIX hat in allen Divisionen klare und erreichbare Wachstumsziele, die neben organischem auch Wachstum durch Akquisitionen beinhaltet.»

Wo genau Prosperität durch Zukäufe erfolgen könnte, wird nicht kommuniziert. Die Eurex-Beteiligung war das Kronjuwel. Denn der Derivatehandel wirft saftige Gewinne ab. Logisch wäre also der erneute, diesmal eigenständige Aufbau eines Standbeins. Doch einmal wird in diesem Bereich europaweit nichts Attraktives angeboten. Und falls doch, müsste tief in die Tasche gegriffen werden. Nur darf SIX in diesem Segment vorderhand gar nichts erwerben. Denn die Firma hat sich von den Deutschen ein zweijähriges Konkurrenzverbot diktieren lassen; dieses dauert noch bis Mai 2014.

Am raschesten ist eine Instant-Expansion im Aktiengeschäft zu bewerkstelligen. Weil die Wachstumsmöglichkeiten im Heimmarkt äusserst beschränkt sind, geht SIX im Ausland auf die Jagd. Ins Visier genommen hat das Management den im Vergleich zur Schweizer Börse SIX Swiss Exchange doppelt so grossen Konkurrenten Euronext, einen Zusammenschluss der vier Aktienmärkte in Paris, Amsterdam, Brüssel und Lissabon. SIX-Chef Urs Rüegsegger signalisierte vor Monatsfrist in einem Interview mit Bloomberg starkes Interesse an einer Übernahme. Euronext war bislang Teil des amerikanischen Börsengiganten NYSE, der jüngst von ICE übernommen wurde. Der Finanzkonzern möchte Euronext abspalten.

Der Europa-Börsenverbund ist ein schwerer Brocken, er repräsentiert einen Wert von schätzungsweise 1,3 bis 1,5 Milliarden Dollar. Ein Verkaufspreis, den sich die SIX dank schuldenfreier Bilanz leisten könnte. Dank Euronext könnte sie das Volumen im Aktienhandel auf einen Schlag verdreifachen. «Euronext würde unser Portfolio ausgezeichnet ergänzen», schwärmt VR-Präsident Peter Gomez. «Sollte Euronext wirklich zum Verkauf kommen, würden wir sicher einen Blick darauf werfen», meint Urs Rüegsegger. Das tönt schon viel verhaltener.

Unattraktiver Aktienhandel. Mit der Akquisition der Mehrländerbörse hätte die SIX denn auch nur das Volumenproblem gelöst. Die damit ebenfalls zugekauften Schwierigkeiten hingegen würden der Zürcher Konzernzentrale einiges Kopfzerbrechen bereiten. Die Franzosen jedenfalls sind nicht bereit, «ihre» Börse so ohne weiteres in fremde Hände zu geben. Die Regierung unter François Hollande hat gedroht, «dass sie über einen Aktienanteil eine ausländische Kontrolle» (Rüegsegger) zu verhindern gedenke.

Fast noch schwerer wiegt, dass Euronext wahrscheinlich gar kein Geld verdient. Die Zeiten für europäische Aktienmärkte seien ausgesprochen schwierig, meint Peter Clifford, COO der World Federation of Exchanges. Die Misere lässt sich am Kursverlauf der Börsenbetreiber ablesen: Die NYSE-Euronext-Aktien sind während der Finanzkrise bös abgestürzt und vermochten sich seither nicht mehr zu erholen. Ähnlich die Valoren der Deutschen Börse. Der SIX läuft es im Aktiengeschäft noch vergleichsweise gut, doch auch in diesem Geschäftszweig schmolz der Betriebsgewinn 2012 um 22 Prozent. Die Einverleibung der Euronext würde den Ertrag der SIX stark verwässern.

Im Wertschriftengeschäft erscheint eine Expansion nur noch in spezielle Segmente sinnvoll, beispielsweise in dem Handel nachgelagerte Geschäfte. In diese Strategie passt die vergangenen Dezember erfolgte Akquisition des Clearinghauses Oslo für 30 Millionen Franken. Die Übernahmemöglichkeiten in diesem Bereich sind jedoch begrenzt.
Die SIX Group zielt deshalb in eine andere Richtung. Urs Rüegsegger: «Das grösste Wachstumspotenzial sehen wir im Geschäftsbereich Zahlungsverkehr, wo wir uns zu einem der führenden Anbieter in Europa entwickeln wollen.» Diese Division hat denn auch 2012 erstmals den grössten Anteil an den Betriebsgewinn beigesteuert. Ein interessanter Zukauf wird dieser Tage abgewickelt: SIX übernimmt den österreichischen Kreditkartenanbieter Paylife, angeblich für rund 100 Millionen Euro. Investiert werden soll nicht nur in neue Firmen, sondern auch ins organische Wachstum. Denn der Betrieb einer Finanzmarktinfrastruktur ist ein Skalengeschäft mit hohen Fixkosten.

Das Hauptproblem der SIX aber bleibt bestehen: den enormen Geldberg so rasch als möglich abzutragen. Einige Verwaltungsräte sind sich sicher: Wenn nicht innerhalb eines Jahres der grösste Teil der Liquidität in sinnvolle Zukäufe geflossen ist, fordern Aktionäre wieder die Auszahlung. Damit wartet auf Alexandre Zeller, der Ende Mai Peter Gomez als VR-Präsident ablöst, eine Knacknuss. Geld ausgeben jedoch ist ein Luxusproblem. Weitaus schwieriger wird es für den einstigen Chef der HSBC Private Bank (Schweiz), der SIX Group ertragsstarkes Wachstum zu verschaffen.