Wenn der «Chäserrugg» plötzlich in Miami steht, die «Blüemlisalp» zwischen Zürich und Mykonos pendelt und «Melchsee-Frutt» sich in San Diego und Saigon wiederfindet – dann sind die Airbusse der Schweizer Fluglinie Edelweiss unterwegs. Firmenchef Bernd Bauer hat Hunderte Schweizer via Bordmagazin mit «Willkommen in den Ferien» begrüsst und sie dann 14-seitigen Fotoreportagen über Edelweiss-Ziele wie Buenos Aires oder Dubrovnik überlassen. In Vorfreude strahlen Gesichter ihrem Ferienhotel entgegen, und nach dem Durchgang der Reinigungskräfte werden entspannte, knackbraune Schweizer auf dem Weg nach Hause einsteigen, die ein erstes Stück Heimat in «ihrem» Ferienflieger finden – und dafür gern einige Franken mehr fürs Ticket springen lassen. So rosarot und eingängig sich das Edelweiss-Geschäftsmodell beschreiben lässt, so einträglich erweist es sich für die Konzernmutter Lufthansa.

«2017 war ein sehr gutes Jahr», sagt der oberste Edelweisse Bauer. Der Umsatz, zuvor stetig, aber in überschaubarem Rahmen gestiegen, kletterte um ein ganzes Viertel auf 537 Millionen Franken. Zur Gewinnmarge, die Bauer ohne Angabe von Gründen genauso verschweigt wie alle weiteren Geschäftsdaten, sagt er nur, man sei «sehr zufrieden». Branchenleute schätzen die operative Gewinnmarge auf zehn Prozent, vielleicht sogar ein, zwei Mikrometer höher.

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Damit erreicht Edelweiss zwar nicht ganz das Rekordniveau der Swiss mit ihren spektakulären 11,3 Prozent, aber in der Luftfahrt verschlingt Wachstum, wie es die Edelweiss erlebt, eben auch Geld: Neue Flugzeuge müssen umgebaut, lackiert und eingeflottet werden, kosten bisweilen schon Leasinggebühren, obwohl sie noch gar nicht startklar sind, neue Piloten und Kabinenbesatzungen wollen angeworben und eingearbeitet sein, neue Strecken im Markt mit Werbung bekannt gemacht werden. Und noch im vergangenen Jahr rentierte Edelweiss besser als die grosse Schwester Swiss.

Schwabe und Skilehrer

CEO Bernd Bauer ist alles andere als der klassische, zur Auslandstochter entsandte Lufthanseat. Als gebürtiger Schwabe aus Tübingen, das Idiom klingt immer noch durch, lag ihm die Schweiz schon immer nahe. Seine Eltern lehrten ihn das Skifahren in den Inner- und Ostschweizer Bergen – so hochklassig, dass er später das Skilehrer-Brevet erwarb. An der Hochschule Heilbronn studierte er Betriebswirtschaft mit den Schwerpunkten Verkehr und Logistik, und als nach dem Abschluss Banking oder Fliegerei zur Wahl stand (vom Elternhaus war er nicht vorbelastet, sein Vater betrieb eine kleine Schlosserei), lag ihm die Luftfahrt näher: Bauer fing, zunächst im Vertrieb, bei Moritz Suters Crossair an. Bald orientierte er sich in die Herzkammer des Airlinegeschäfts: Planung von Flotte und Streckennetz sowie «Revenue Management». In diesen Abteilungen wird grob gesagt festgelegt, wann wohin womit wie oft und zu welchen Preisen geflogen wird.

Nach der Gründung der Swiss stieg er hier bis zum Chef des Revenue Managements auf. Die Edelweiss kannte er schon seit ihrer Integration in die Lufthansa-Gruppe im Jahr 2008; Bauer hatte das Projektteam für die Übernahme geleitet. Im Herbst 2014 folgte er, selbst kein Linienpilot, dem Flugkapitän Karl Kistler auf den Chefsessel bei Edelweiss.

Bernd Bauer

Bernd Bauer im Hangar.

Quelle: Noë Flum

Keine klassische Lufthansa-Tochter

Edelweiss ist allerdings auch keine klassische Lufthansa-Tochter wie Swiss oder Austrian. Diese ehemaligen «Flag Carrier», die sich zu lange in der Reminiszenz der alten Grösse sonnten, bis sie den Billigfliegern in Europa und den Golf-Airlines wie Emirates auf der Langstrecke nicht mehr gewachsen waren, oder sich wie die Swissair mit dem Aufkaufen fusskranker Konkurrenten zusätzlich selbst strangulierten – sie hatten letztlich keine andere Wahl mehr, als sich zur Lufthansa zu flüchten. Zwar stürzten Billigflieger und Golf-Carrier auch Edelweiss in die Krise, doch hier zog Eigentümer Kuoni selbst die Notbremse und reichte sein Fluggeschäft zu einem Tiefstpreis, wie noch heute in der Lufthansa-Bilanz am lächerlich niedrigen Markenwert der Edelweiss ersichtlich, an die Deutschen weiter.

Unter ihrer Obhut hat das Edelweiss zu blühen begonnen. Vor allem über die letzten beiden Jahre hat Bauer die Flotte ausgebaut, Hunderte Mitarbeiter eingestellt, Hunderttausende zusätzliche Passagiere befördert (siehe Grafik unten). Beim Umsatz – 2017 bereits um ein Viertel gewachsen, für 2018 sollen deutlich mehr als 600 Millionen budgetiert sein, was wiederum einem Wachstum im geforderten Zielband entspräche – erwartet die Lufthansa von der Edelweiss aktuell eine jährliche Steigerung von satten 13 bis 24 Prozent.

Erreicht hat Bauer das mit der Ausweitung des Flugprogramms: 2017 kamen zwei neue Long-Haul-Flugziele, San Diego und Costa Rica, hinzu, 2018 folgt gleich ein ganzes Bündel an neuen Destinationen, auf der Kurzstrecke etwa Spitzbergen, das schottische Inverness, Dubrovnik oder Djerba, auf der Langstrecke Sri Lanka und die Seychellen, die aufstrebende US-Metropole Denver, Buenos Aires und Ho Chi Minh City, besser bekannt als Saigon. Ihre Maschinen konnte die Edelweiss bisher noch immer füllen – der sogenannte Sitzladefaktor, der die Auslastung misst, liegt seit Jahren bei guten 80 Prozent, meistens sogar leicht darüber.

Edelweiss Kennzahlen

Die wichtigsten Kennzahlen des Schweizer Ferienfliegers kennen seit Jahren nur eine Richtung: steil nach oben.

Quelle: Edelweiss

Monopol in Zürich

Die Gründe für den Erfolg sind einerseits simpel: Im kaufkräftigen Markt Schweiz lebt es sich gut als Edel-Ferienflieger mit Flachbett in der Businessklasse, mit guter Economy-Klasse und Beinfreiheit-optimierter «Economy Max». Nicht nur, dass «die Edelweiss im Langstrecken-Ferienverkehr aus der Schweiz heraus faktisch ein Monopol hat», analysiert Thomas Jaeger, Chef der Churer Luftfahrtberatungsfirma CHAviation, auch «legen die Schweizer Kunden eine leicht irrationale Zahlungsbereitschaft an den Tag». Weil sie an ihre Flugreisen Schweizer Qualitätsansprüche stellen, aber auch Heimatgefühle entwickeln, wenn die Fleischwaren bei Edelweiss von einer Metzgerei aus dem Appenzellischen stammen. Diese Zahlungsbereitschaft, bilanziert Jaeger, «schöpft die Lufthansa-Gruppe natürlich gern ab». Dazu gehören auch koordinierte Preise.

Andererseits gibt die kleine Schweiz alleine zu wenig Nachfrage her, um jahrelanges Wachstum zu befeuern. Und so sitzen in den Edelweiss-Maschinen inzwischen 18 Prozent Umsteiger – Passagiere, die ihre Reise nicht in Zürich antreten, sondern zuvor mit einem anderen Flug hierher angereist sind. Hier kommt Bauer die Einbindung in die Lufthansa-Gruppe zugute, insbesondere die Kooperation mit der Swiss: ihre Flieger bringen Reisende aus den Metropolen Europas nach Zürich, Edelweiss hat ihre Abflugzeiten auf die Ankunftwellen der Swiss abgestimmt, das Gepäck ist bereits zum Reiseziel durchgecheckt – die Umsteiger sollen gar nicht merken, dass sie die Airline wechseln.

Nicht weniger als 21 Langstreckenziele zählt Bauers Streckennetz; kaum weniger, als die Swiss anbietet. Ein so umfangreiches Netz betreibt weltweit wohl kein anderer Urlaubsflieger. Jaeger liefert ein Beispiel: «Zu vielen Zielen in der Karibik bieten nur Edelweiss, vielleicht teilweise noch die deutsche Condor, aus Mitteleuropa Direktverbindungen an.» Unter anderen reisen viele Osteuropäer zu ihrem Badeurlaub im Baströckchen mit Edelweiss via Zürich.

Relevante Grössenordnung

Dass die gesamte Lufthansa-Gruppe inzwischen Edelweiss-Tickets mitverkauft und der Ferienflieger seit Jahresanfang voll ins Meilenprogramm «Miles & More» integriert ist, gibt zusätzlichen Absatzschub. Denn nun werden auch Statusmeilen ausgeschüttet, die es für schöne Titel wie «Frequent Traveller» oder «Senator» und Zutritt ins Reich der Airport-Lounges braucht.

Die schicken Renditen und der kontinuierliche Steigflug sind den Konzernherren nicht verborgen geblieben. Edelweiss hat finanziell eine für die Lufthansa-Gruppe relevante Grössenordnung erreicht. Deshalb bricht für die Airline nun ein neues Zeitalter an. Künftig will die Swiss Edelweiss in ihre jährliche Berichterstattung integrieren, das sei «geplant», bestätigt Swiss-Chef Thomas Klühr, «in welcher Form, ist derzeit noch in Abklärung».

Insider sprechen von Plänen, ein gemeinsames Schweiz-Ergebnis wie auch zwei getrennte Ergebnisse für beide Airlines auszuweisen; dann wäre das heitere Margen-Schätzen bei Edelweiss Vergangenheit. Als familiäre Übernahme will Bauer diese Pläne nicht werten, denn «juristisch ändert sich nichts» – in der Lufthansa-Tochter Air Trust Holding, die alle Schweizer Beteiligungen bündelt, bleiben beide Fluglinien auf derselben Stufe.

Thomas Klühr Der Swiss-Chef präsidiert den VR der Edelweiss. Gilt als guter, loyaler Partner.

Alles ist abgestimmt

Ausserdem sei die Abstimmung im Fluggeschäft ohnehin schon «sehr eng», bestätigt Klühr. Die Langstrecken-Flugpläne werden für sämtliche Lufthansa-Fluglinien koordiniert, die an Drehkreuzen stationiert sind (also nicht für Billigableger Eurowings), aber nur mit Swiss bildet Edelweiss «passende Kombinationsmöglichkeiten»; so flankiert Bauer die Swiss-Flüge nach Los Angeles oder Bangkok mit Verbindungen nach Las Vegas und Phuket. Das Revenue Management lässt Bauer von der Swiss mit erledigen, dafür hat er eigens fünf Mitarbeiter dorthin abgeordnet. Und dass die Edelweiss mit Buenos Aires und Saigon zwei neue Destinationen erschliesst, die nicht zu den herkömmlichen Ferienzielen zählen, wird auch Schwester Swiss gefallen: Entwickeln sich diese Märkte, kann Swiss später ein Netz an Flügen für Geschäftsleute spannen.

Neben der Top Line, dem Umsatz, stimmt bei Edelweiss aber vor allem die Kostenstruktur. Das fliegende Personal erfreut sich an mehrtägigen dienstlichen Aufenthalten in den Urlaubsparadiesen dieser Erde und erkauft sich diese Privilegien mit Gehältern unter dem Niveau der Swiss-Kollegen. Und weil Edelweiss viele Flugziele rund ums Mittelmeer, aber kaum Kurzflüge zu teuren europäischen Metropolen im Programm hat, sinken Gebühren und unproduktive Bodenzeiten. «Wir sind bei den Kosten eher mit reinen Langstreckenairlines vergleichbar», sagt Bauer, der etwa Dubais Emirates meint.

So dürfte der sogenannte «Crew-Faktor», also die notwendige Anzahl an Besatzungen, um ein Flugzeug jederzeit bemannen (und befrauen) zu können, bei Edelweiss Insidern zufolge rund 13 betragen, für Netzwerk-Airlines wie Lufthansa oder Swiss soll dieser Faktor um 17 liegen. Das heisst: Wo Edelweiss 26 Piloten pro Maschine genügen, brauchen die grossen Schwestern 34 – in der Kabine noch deutlich mehr. Dass die Swiss für Edelweiss Wartung und Technik erledigt, schadet natürlich auch nicht.

6 Rappen pro angebotenem Sitzkilometer

Das alles addiert sich zu enormen Kostenvorteilen. Während die Swiss Kosten pro angebotenem Sitzkilometer (CASK) von 9,07 Rappen ausweist, Konzern-Lowcoster Eurowings sogar leicht höher liegen dürfte, schätzen Branchenleute die Edelweiss auf lediglich 6 Rappen.

Die Chancen nach dem Ende der Air Berlin hat Bauer genutzt, «wir haben mit unserem Aufstocken ein gutes Stück des Kuchens beansprucht», sagt er selbstbewusst. Zwei zusätzliche Airbusse hat Bauer eingeflottet. Aktuell «läuft Griechenland sehr gut, vor allem Kreta, die Türkei immer besser seit den Vorfällen von 2015 und 2016», und auch die Nachfrage Richtung Ägypten habe sich «dramatisch schnell erholt». Die Lücken im Angebot sind nicht nur geschlossen, Bauer schätzt vielmehr, dass «in Bezug auf Ferienfliegerei ab Zürich sogar mehr Kapazität im Markt ist».

Laudamotion, Nachfolger von Air-Berlin-Nachfolger Niki, fliege ein ähnliches Sommerprogramm wie Niki, sei allerdings etwas kleiner dimensioniert, sagt Luftfahrtexperte Jaeger, und der dritte Wettbewerber Germania habe wohl die von Air Berlin hinterlassene Lücke «als zu gross eingeschätzt und sich etwas übernommen»; diverse Strecken von Zürich aus, die Germania angekündigt hatte, etwa nach Faro, Funchal oder auf die Griecheninseln Samos und Zakynthos, haben die Deutschen wieder gestrichen.

Grundsätzlich geht Jaeger aber davon aus, dass sich «in Zürich und Basel mit Edelweiss, Germania und Laudamotion ein ähnliches Anbieter-Dreieck einpendeln wird wie zuvor mit Niki». Die Ticketpreise seien stabil, sagt Bauer, «auch von den Reiseveranstaltern, die bei uns Sitzkontingente buchen, verlangen wir nicht mehr als im Vorjahr». Kunden, die spät buchen, dürften dennoch immer wieder in teurere Ticketkategorien rutschen, weil «die Nachfrage zugenommen hat».

Bernd Bauer

Bernd Bauer im Hangar unter dem Heck eines Fliegers. Der HB-JJM ist ein Airbus A320 mit 174 Sitzplätzen.

Quelle: Noë Flum

Häufig ausgebucht

Vor allem in der Hochsaison sind Bauers Flieger häufig ausgebucht. Wenn die Edelweiss die Kapazitäten ausweiten, aber zugleich nicht die Harmonie der Airbus-Flotte aufbrechen möchte, weil nur so bei Bedarf Maschinen in der gesamten Lufthansa-Gruppe ausgetauscht werden können und die Wartungskosten tief bleiben, dann bietet sich vor allem das grösste Mittelstreckenmodell A321 an. «Den müssen wir uns sicher mal anschauen», sagt Bauer, zumal er mit der neuen, reichweitenstärksten Modellvariante «Flugziele ins Programm nehmen könnte, die wir heute nicht erschliessen könnten, wie etwa die Kapverden». Die Inseln «des ewigen Sommers» liegen südlich der «Inseln des ewigen Frühlings», der Kanaren, die Edelweiss bereits bedient.

Auch auf der Langstrecke steht mittelfristig eine Erneuerung an. Denn sogar die von Swiss übernommenen Vierstrahler-Airbusse A340 kommen bei Flugzielen wie San Diego oder Buenos Aires an ihre Reichweitengrenze. Ähnliches gelte für die bisher unbespielte Ferienregion Philippinen, womöglich ein künftiges Edelweiss-Ziel. Diese A340 «werden bei uns bis zirka 2024, 2025 laufen», prognostiziert Bauer, also muss er um das Jahr 2020 Überlegungen aufnehmen, welcher Flieger dem A340 nachfolgen soll. Derzeit wäre «der einzige Flieger, der diese Lücke füllen könnte, der A350». Mit diesem eben erst gelaunchten Zweistrahler wäre Edelweiss moderner ausgerüstet als die Swiss.

Gauchos am Chäserrugg

Beim Namenskonzept bleibt Bernd Bauer jedoch konservativ. Seit zwei Jahren heissen die Flieger nach Berggebieten, wo das Edelweiss wächst, und weil jeder vierzehnte Fluggast kein Schweizer ist, sondern ein einreisender Tourist, stossen diese Ausländer auf Schweizer Ferienregionen, von denen sie zuvor kaum jemals gehört haben. Stehen also künftig Vietnamesen oder argentinische Gauchos sommers auf dem Chäserrugg, sind sie vermutlich auf der Suche nach dem Edelweiss. Und im Winter könnten sie hinter Skilehrer Bauer die Ostschweizer Pisten hinab wedeln.

Dieser Artikel erschien in der April-Ausgabe 04/2018 der BILANZ.

Dirk Ruschmann
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