Derzeit setzen Aviatiker gerne auf drastische Begriffe: Es drohe ein «perfekter Sturm», Europas Passagierluftfahrtmarkt sei «krank» und was sich im Sommer 2018 bezüglich Verspätungen und Annullierungen abgespielt habe, sei eine «Katastrophe».

Europas Airline-Manager sind nicht nur in Wallung wegen der angeheizten Klimadebatte und der Frage, wie umweltschädlich die Fliegerei sei. Ebenso dramatisch finden sie, was ihnen und ihren Kunden im Sommer bevorstehen könnte: massive Verspätungen und Flugausfälle, inklusive genervter Passagiere und hoher Zusatzkosten. Das wollen sie unbedingt verhindern.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Fluglotsen streikten oft

Tatsächlich erlebte Europa im Sommer 2018 ein Flugchaos. Damals war auch wegen der Air-Berlin-Pleite viel in Unordnung geraten. «Viele Airlines haben versucht, sich einen Teil des Kuchens zu schnappen. Dann haben aber einige gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist, wenn Flieger nicht am richtigen Ort sind oder die Flugrechte (Slots) nicht so gut passen», sagte Edelweiss-Air-Chef Bernd Bauer kürzlich im «Handelszeitung»-Interview.

Hinzu kam, dass Fluglotsen oft streikten, besonders in Frankreich. Engpässe gibt es aber auch in Deutschland und anderen Ländern. Die Luftfahrtbranche ist zudem immer noch im Konsolidierungsmodus, erst kürzlich ging der deutsche Ferienflieger Germania pleite. Soll heissen: Es gibt viel Veränderung. Auch in Sachen Fluglotsen ist kaum Besserung in Sicht.

Das Finger-Pointing ist im voll im Gange

Airlines und ihre Interessenvertreter forcieren deshalb die Debatte. Sie argumentieren, dass alle Beteiligten handeln müssten – also Fluggesellschaften, Airports, die Flugsicherung und die Politik. So gibt es gemeinsame Absichtserklärungen, um das Chaos am Himmel zu vermeiden. Doch das Finger-Pointing ist voll im Gange – und zwar primär Richtung Flugsicherung.

So bemängelt A4E, eine Vereinigung europäischer Fluggesellschaften mit Mitgliedern wie Lufthansa-Gruppe, IAG und Ryanair, dass «der Mangel an Flugsicherheitskapazitäten und Personalengpässe für mehr als 75 Prozent aller Verspätungen» im Jahr 2018 verantwortlich waren. 334 Millionen Passagiere seien betroffen gewesen, 26 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Kosten der Misere hätten sich auf 18 Milliarden Euro summiert – ein Anstieg um 28 Prozent gegenüber 2017.

Swiss-CEO Thomas Kluehr

Swiss-Chef Thomas Klühr: Mehr Reserveflieger eingeplant.

Quelle: © KEYSTONE / ENNIO LEANZA

«Mehr Kummer» diesen Sommer

Was die Airline-Branche besonders nervt: Auch wenn sie aus ihrer Sicht oft gar nicht direkt verantwortlich ist für das Chaos, müsste sie Kompensationen zahlen. Da unter den Airlines ohnehin ein heftiger Preiskampf tobt und das Kerosin teurer geworden ist, können diese Zahlungen gerade für kleinere Gesellschaften zu dramatisch höheren Kosten führen.

Und was sagt Eurocontrol? Die europäische Luftverkehrskontrolle macht keinen Hehl aus dem Ernst der Lage: In einem CNN-Interview kündigte Eurocontrol-Chef Eamonn Brennan kürzlich an, dass es diesen Sommer für Passagiere «mehr Kummer» geben werde, Verspätungen würden zunehmen. Wohl erst nach 2020 sei mit Besserung zu rechnen. Primär in der deutschen und französischen Luftraumüberwachung gebe es Engpässe.

Brennan verspricht einige Massnahmen wie veränderte Flugrouten, doch das verlängert auch Flugreisen und erhöht den CO2-Ausstoss. Derweil zeigt Brennan auf die nächsten Schuldigen: Die EU-Kommission. Europas Nationalstaaten müssten die Fragmentierung und das Pochen auf Einzelinteressen beenden und endlich eine gemeinsame Luftraumüberwachung wie in den USA ermöglichen. Doch an der Idee eines europäischen Luftraums werkelt die Kommission schon seit den 1990er Jahren.

Swiss plant längere Bodenzeiten

Auch die Schweiz steckt mitten drin im Dilemma: Die Schweizer Skyguide ist Teil von Eurocontrol. Skyguide half schon der Flugsicherung in Deutschland und Frankreich aus, um die Kapazität zu erhöhen. Und die Swiss hat derweil damit zu kämpfen, dass generell sehr viele ihrer Flüge durch den deutschen Luftraum führen. Entsprechend gross ist die Gefahr, von Flugraum-Problemen in Deutschland betroffen zu sein.

Nun ist die Swiss daran, mehr als vierzig Massnahmen umzusetzen: Mehr Reserveflieger soll es geben. Die «Bodenzeiten» mancher Maschinen im Ausland werden länger, das gibt mehr Puffer. Auch Triebwerkwechsel sollen fixer erledigt sein. Es gibt mehr Leute fürs Groundhandling und zusätzliche Crews, die bei Verspätung einspringen. Ebenso das Slot-Management wird angepasst. Und: Die Passagiere sollen schneller mehr Infos erhalten.

Eurocontrol: Europas Luftraum im Blick

Die europäische Luftverkehrskontrolle Eurocontrol mit Sitz in Brüssel wurde 1960 gegründet. Sie hat 41 Mitgliedsländer plus zwei assoziierte Mitgliedsländer.

Eine ausführliche Studie zum Wachstum im europäischen Luftraum und den Herausforderungen findet sich hier.

Eine Live-Übersicht über die Lage im europäischen Luftraum findet sich hier.

Mehr und bessere Kundeninfos

Bei der zweitgrössten Airline in der Schweiz, Easyjet, gibt man sich ebenfalls «besser vorbereitet als im vergangenen Jahr». Auch bei Easyjet gibt es zum Beispiel zusätzliche Reserveflieger und mehr datengetriebene Entscheidungen, damit man besser gewappnet ist – inklusive besserer Kundeninfos.

Ob das alles reicht, um das Chaos zu verhindern? Fakt ist: Während der Luftverkehr weiterwächst, sind die Kapazitäten am Boden oft gleich geblieben. So moniert die Swiss, dass es am Flughafen Zürich nicht nur die Pistenverlängerung brauche, sondern auch mehr Standplätze, weitere Sicherheits- und Passkontrollen sowie zusätzliche automatische Gepäckabgabestellen.

Was besonders in Zürich, dem grössten Airport des Landes, erschwerend hinzukommt, sind Wetterlagen wie Bise: Dann kann die Zahl der Flugbewegungen von 66 pro Stunde schnell auf nur noch 40 Bewegungen sinken. Und dies führt zu weiteren Verzögerungen – unabhängig davon, was sonst noch alles in Europas Luftraum schiefgehen kann.