Am Wochenende wählte das Stimmvolk von St. Moritz den Opernsänger und Kulturmanager Christian Jott Jenny zum neuen Gemeindepräsidenten. Er bugsierte in einer Kampfwahl den altgedienten Bürgermeister Sigi Asprion aus dem Amt, der die Unterstützung der bürgerlichen Parteien genoss. Die «Handelszeitung» sprach mit dem Überraschungssieger.

Ihr erstes Wort nach Ihrer Wahl zum Bürgermeister von St. Moritz war, Sie seien «erschüttert». Reden so Sieger?
Moment. Kaum gewählt, zitiert man mich schon unvollständig? Ich habe gesagt «positiv erschüttert». Erschütterungen, wie Veränderungen, können gutartig sein.

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Was hat die Wählerschaft letztlich von Ihnen überzeugt?
Ich habe eine sehr positive Kampagne geführt. Ich hoffe, diese hat überzeugt. Zudem wissen die Menschen hier oben, wie leidenschaftlich ich bereit bin zu arbeiten und kämpfen, wenn mir etwas wichtig ist. Und St. Moritz ist mir sehr, sehr wichtig.

Ihr Slogan lautete im Wahlkampf: «St. Moritz kann es besser.» Wo?
Die Landschaft ist unschlagbar schön. Die Tradition und die Geschichte sind unersetzlich. Doch St. Moritz muss proaktiver werden, lebendiger, innovativer. Ich glaube viele Puzzle-Teile sind vorhanden, aber es passt noch nicht alles zusammen. Jetzt müssen wir die Teile richtig zusammensetzen. Ich vergleiche das immer mit dem Spielzimmer, wo ein «Puff» ist, aber alles vorhanden, um einen grossen Turm aus Lego oder so zu bauen….

Wie wollen Sie das «Puff» in den Griff kriegen? Ihre Ziele?
Die Anwohnerinnen und Anwohner müssen zufriedener sein. Und vielleicht sogar etwas stolz, auch wenn ich dieses Wort nur beschränkt mag. Davon gewinnt auch der Tourismus.

Sie haben vor der Wahl gesagt: «Der Tourismus in St. Moritz ist am Arsch.» Wie meinen Sie das?
Natürlich war das überspitzt formuliert. Aber es liegt zumindest sehr viel brach. Aber das ist eine Chance. Der Humus stimmt. Wo sich wieviel wachküssen lässt, wird sich weisen. Ich bin motiviert.

Früher haben Sie sich um die Programmierung von Festival da Jazz gekümmert, nun gehts ums Pflegheim, um eine Reithalle, Kanalisation, das Einhalten eines Millionenbudgets, Parkbussen und Ladenöffnungszeiten. Alles Neuland für Sie.
Millionenbudgets sind mir nicht ganz unbekannt und bei den Parkbussen bin ich als Rezipient mehr als erfahren. Spass beiseite. Als Unternehmer sind mir viele dieser Dinge sehr wohl bekannt. Natürlich will ich mir so viel Detailwissen wie möglich aneignen. Darüber hinaus muss man in dieser Position aber auch über einen X-Faktor verfügen, die Leute motivieren und sogar inspirieren.

Die Bürgerlichen in St. Moritz haben Ihren Gegenkandidaten votiert. Wie wollen Sie diese ins Boot holen?
Da erwarte ich ehrlich gesagt keinen grandiosen Kraftakt. Wir alle wollen ja das Beste für St. Moritz. Ich habe null Berührungsängste und schliesse sicher keine Türen für Menschen, welche für Herrn Asprion votiert haben.

Der Verkehr reduziert den Marktwert von St. Moritz. Wie wollen Sie den in den Griff kriegen?
Das werde ich mit meinem Vize-Chef, Michael Pfäffli, besprechen: ER ist Spezialist darin. Und ich habe noch zwei, drei andere Kontakte in Sachen Verkehr.

St. Moritz wirbt mit dem Claim: Style, Elegance and Class. Wie finden Sie den?
Für einen Werbe-Claim ist das sicher nicht ganz falsch. Allerdings könnte man diese drei leicht redundanten Wörter vielleicht noch ergänzen. Mir fehlt da noch etwas Esprit und Seele. Den Claim formulieren werde ich nicht. Aber wichtiger ist für mich zu wissen, wo ich den besten Claim bekomme.

Sie möchten St. Moritz jünger machen, dynamischer?
Ich darf an dieser Stelle auch an die von mir portierten KandidatInnen für den Gemeinderat und den Vorstand verweisen. Das sind Junge, Einheimische, welche Erfahrungen in aller Welt gesammelt haben und darauf brennen, ihre Heimatgemeinde mitzugestalten. Hören wir ihnen zu. Wenn die Junge hier eine Zukunft sehen, profitieren alle Generationen.

Sie möchten die Investitionen von Privaten in St. Moritz steigern. Wie?
Alle meine unternehmerischen Projekte wurden durch Investitionen von Privaten getragen. Ich kann Menschen überzeugen, weil ich für besagte Investition etwas einzigartiges und unaustauschbares biete. St. Moritz hat in dieser Hinsicht sogar sehr viel zu bieten.

Der Migros-Konzern hat kürzlich entschieden, die Filiale doch nicht in St. Moritz zu bauen, sondern in Samaden. Gut oder schlecht?
Ob gut oder schlecht sei dahingestellt. Als Bürgermeister muss man einfach auch an die nicht wahlberechtigten Menschen, die einfacheren Arbeiter denken. Es braucht auf jeden Fall Platz für kostengünstige Einkaufsmöglichkeiten. Allerdings ist Samaden auch schnell erreichbar. Und früher oder später muss das Tal sowieso fusioniert werden. Wir müssen grösser denken! Nicht bis an die Gemeindegrenzen.

Denken Sie also über einen Zusammenschluss von Gemeinden nach?
Denken sowieso. Ohne darüber nachzudenken, kann ich mir ja auch keine Meinung bilden. Und dass der Gedanke überhaupt kommt, hat seine Gründe. Im Glarnerland sind sie nicht unglücklich. Aber wie gesagt: Erst sind es Gedanken. Darüber zu reden fände ich zumindest interessant. Und enorm wichtig.

Wer führt eigentlich das Festival da Jazz weiter? Ohne Sie?
Die Crew, welche das Festival stemmt, ist grundsätzlich zusammen. Mein Entscheid für dieses Amt zu kandidieren, hat schon eine Weile in mir gereift. Entsprechend habe ich vorgesorgt.

Das Bündner Tagblatt hat Sie bereits als Macron beschrieben – von aussen, erfolgreich, unkonventionell. Zutreffend?
Als sehr grobe Umschreibung kommt das schon etwa hin. Aber man könnte auch drei andere Adjektive nehmen. Darüber wie dieser Mensch dann amtet, sagt das noch nichts aus.

Der Gemeindepräsident von St. Moritz verdient 230'000 Franken im Jahr. Ist das nicht überrissen bei knapp 3000 Einwohnern?
Schauen wir es anders an: Man muss wirklich sehr gute Arbeit abliefern, um 230'000 Franken im Jahr wert zu sein. Das ist die Herausforderung, der ich mich stellen will. Wenn es mir gelingt, profitiert St. Moritz und hoffentlich die ganze Region. Darf ich anfügen, dass es 5500 Einwohner sind bei uns.