Nachdem Victoria Hale am World Economic Forum (WEF) einen Abend lang neben Bill Gates gesessen hatte, war ihre Nonprofitorganisation One World Health um 21 Millionen Dollar reicher. Dass es überhaupt zu diesem Kontakt zwischen dem reichsten Mann der Welt und der Gründerin von One World Health kam, ist auf die 1998 von Klaus Schwab gegründete Schwab Stiftung für Social Entrepreneurship zurückzuführen. Social Entrepreneurs agieren zwischen klassischen gewinnorientierten Unternehmen und Nonprofitorganisationen. Und nicht am einen oder am anderen Ende.

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Eine Million Dollar winkten zuerst als Prämie für die ausgewählten Entrepreneurs. «Schliesslich stellten wir fest, dass wir wertvollere Ressourcen zu vergeben haben als Geld», sagt Mirjam Schöning, Direktorin der Schwab Stiftung für Social Entrepreneurship, «nämlich unser Netzwerk und jenes des World Economic Forum.» Als Folge sind alle 84 von der Stiftung geförderten Unternehmer nach New York oder Davos ans WEF eingeladen worden – unter ihnen auch Victoria Hale.

Zusätzlich vermittelte ihr die Stiftung ein Stipendium für einen Executive-Education-Kurs für Non-Profit-Leader an der Harvard Business School. Die Fallstudie, die über One World Health geschrieben wurde, ist an verschiedenen Business-Schulen präsentiert worden.

Mit ihrem Unternehmen One World Health produziert Victoria Hale Medikamente gegen Krankheiten in der Dritten Welt. Denn gegen manche Krankheiten sind bereits Medikamente entwickelt, aber mangels Marktpotenzial nie hergestellt worden. Während Menschen in Afrika an der so genannten Fluss- oder Chaga-Krankheit sterben, konzentriert sich die Pharmaindustrie auf westliche Zivilisationsleiden wie Frühjahrsdepressionen oder schlaffe Haut. Victoria Hale übernimmt die Rezepturen als Spenden, erwirbt die Rechte, treibt die Entwicklung der Medikamente durch Experimente voran, um sie schliesslich herzustellen und zu vertreiben.

Bisher ist die Schwab Stiftung aktiv auf Unternehmen und Organisationen zugegangen. Dies soll sich nun ändern. In insgesamt 22 Ländern wird dieses Jahr ein Social Entrepreneur gewählt. Social Entrepreneurs sind in verschiedenen Bereichen tätig: Sie mindern Armut oder Arbeitslosigkeit, sie leiten ökologische Projekte. «Aber ein Social Entrepreneur verteilt nicht einfach Almosen», so Mirjam Schöning. «Es reicht also nicht, einfach in einem indischen Dorf einen Computer hinzustellen.»

Bill Gates ist folglich kein Social Entrepreneur, sondern ein gewinnorientierter Unternehmer, der mit seiner Stiftung wohltätige Zwecke fördert. Die Kernidee eines Social Entrepreneur soll auf andere Regionen übertragbar sein, um dort ähnliche Probleme lösen zu helfen. Wenn also eine Organisation eine rein regionale Legitimation hat, dann gehört sie nicht zu den potenziellen Titularen.

Auch auf ökonomischer Ebene gibt es spezielle Voraussetzungen: Die Existenz der Organisation darf nicht ausschliesslich durch Spenden gewährleistet sein, sondern auch durch eigene Leistungen. Ein exemplarischer Social Entrepreneur ist Mel Young, der in Schottland eine Obdachlosenzeitung mit hohem journalistischem Renommee aufgebaut hat und der dieses Jahr erneut die Fussballweltmeisterschaft der Obdachlosen organisiert. Dass Nike diesen Anlass in grossem Stil sponsert, ist übrigens auch darauf zurückzuführen, dass Mel Young am WEF einst neben Nike-CEO Philip Knight platziert war.

Vordergründig geht es um die Förderung des sozialen Handelns. Dahinter verbirgt sich aber ein gesellschaftspolitischer Wandel – vom Wohlfahrtsstaat zur Selbstorganisation, vom Kollektiven zum Individuellen. Wir werden in Zukunft nicht einfach jegliche soziale Verantwortung an den Staat delegieren können, so wie dies in den Nachkriegsjahren zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.

Und wie Nationen in einer globalisierten Welt an Einfluss einbüssen, so verlagert sich staatliche Wohlfahrt von der Makroebene in Richtung Selbstorganisation auf mehreren Mikroebenen. Wie die zahlreichen Wohltätigkeitsanlässe und das grosszügige Mäzenatentum zeigen, sind diese Entwicklungen in den USA bereits weiter fortgeschritten, weil sie tiefer in der von Individualismus geprägten Mentalität wurzeln.

Damit diese Entwicklung auch wirklich voranschreitet, sind mediale Leitbilder gefragt, also Menschen, die soziales Engagement vom Drittweltlädeli-Mief befreien. Menschen, die Gutes tun – und trotzdem Sexappeal haben. Denn gerade im deutschsprachigen Kulturraum hält man hartnäckig an der Idee fest, dass diese beiden Ansätze einander ausschliessen. Wer Gutes tut, muss in Lumpen und Jesus-Sandalen daherkommen. Und wer sich diesem antiästhetischen Ideal entzieht, verspielt die Glaubwürdigkeit. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, braucht es sozial engagierte Menschen, welche die Mittel des medialen und des ökonomischen Systems zu nutzen vermögen. Es braucht Pragmatiker und nicht Ideologen und Weltverbesserer.

Menschen wie Safia Minney, die mit ihrem Modelabel People Tree an prominentester Lage in Tokio Kleider verkauft, die unter ethisch korrekten Bedingungen produziert werden, aber gleichwohl ästhetisch mit Gucci mithalten können. Die zum Netzwerk der Schwab Foundation gehörende Modedesignerin verkörpert die Kernidee von Social Entrepreneurship: sozial engagiert, urban und vor allem sehr professionell. Letztgenanntes ist besonders in der Mode Bedingung. Da die Mode sich saisonal neu erfinden muss, ist der Zeitdruck enorm hoch, neue Kollektionen zu entwerfen, die auch den stilistischen Nerv der Zeit treffen. Wenn ethisch einwandfrei hergestellte Kleider nur dem Alt-Hippie-Look entsprechen, schadet das nämlich der Sache selbst: Entsprechend klein bleibt dann das Marktpotenzial für solche Produkte, und entsprechend klein bleibt die Menge der Betroffenen, denen das Projekt eine bessere Lebenssituation ermöglicht.

So macht es mehr Sinn, ein Projekt mit sozialem Nutzen zu realisieren, anstatt mit Heuschrecken-Metaphern und anderen rhetorischen Vereinfachungen über Entwicklungen herzuziehen, die irreversibel sind. Weshalb das System nicht mit seinen eigenen Mitteln verändern, zumal die wirklich konstruktiven Alternativen nicht sichtbar sind? Wenn einmal Menschen wie Victoria Hale, Safia Minney oder Mel Young an Eliteuniversitäten mehr Sozialprestige haben als jene, die in einem Weltkonzern Karriere machen, dann hätte sich das System tatsächlich ein klein wenig geändert – von innen heraus, was nachhaltiger ist.