Die Speicherseen sind voll – ihr Volumen liegt 16 Prozentpunkte über dem Niveau des Vorjahres zu dieser Jahreszeit. Der Winter war mild: Es wurde um knapp 2 Prozent weniger Strom in der Schweiz verbraucht als 2021. Heizen war also nicht kritisch. Und dennoch sorgt man sich bei Alpiq und Axpo wegen des Wetters.

Denn Wetterverhältnisse sind unsicher, derweil sie grossen Einfluss auf die Energieproduktion nehmen. Und damit auf das Geschäft der Stromfirmen sowie auf die Versorgungslage in der Schweiz. Das macht die Wetterfrösche der Stromkonzerne zu wichtigen Mitarbeitenden.

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Insbesondere der kommende Sommer bereitet den Meteorologen der zwei grössten Schweizer Stromfirmen derzeit Kopfzerbrechen. «Dieser könnte, falls sich der Trend der letzten Sommer fortsetzt, ziemlich heiss und trocken werden», sagt Axpo-Meteorologe Remo Beerli. «Das kann zum Problem werden.» Alpiq-Meteorologe Martin Bolliger kommt zum gleichen Schluss.

Ein heisser, trockener Sommer gibt tiefe Wasserstände. Das ist schlecht für die Wasserkraft. Und hohe Wassertemperaturen, «das mindert die Effizienz von flusswassergekühlten Kernkraftwerken, wie es sie vor allem in Frankreich gibt, und kann zu geringerer Produktion führen», sagt Bolliger.

Auch in der Schweiz ist das ein Thema: Das Axpo-AKW Beznau zum Beispiel wurde im vergangenen Jahr zurückgefahren, weil die Aare zu warm wurde. Das zeigt klar, Wettervorhersagen sind für die Stromfirmen nicht einfach ein teures Hobby.

Vereiste Windräder

Alpiq-Meteorologe Bolliger ist derzeit besonders gefragt. Denn der Stromerzeuger fokussiert in der Windenergie und Photovoltaik nach dem Rückzug aus Bulgarien jetzt auf neue Projekte in der Schweiz, in Spanien, Italien, Frankreich – und in den nordischen Ländern.

Wird es im Norden etwa sehr kalt, dann gibt es weniger Wind. Im schlimmsten Fall können die Windräder vereisen, und es bewegt sich gar nichts mehr. Dann steht die Windproduktion still. Im Meteorologen-Sprech klingt das so: «Ein schwacher zirkumpolarer Westwind reduziert die Windproduktion und kann zu stärkeren Temperaturschwankungen führen. Und wenig Wind, kombiniert mit warmen oder kalten Temperaturen, ist preistreibend.»

Meteorologie ist viel Kauderwelsch. Aber eben auch ein Business: Wer die bessere Prognose hat, der hat im Energiemarkt einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz. Nicht ohne Grund sitzen die Wetterfrösche der Stromkonzerne gleich neben den Händlern im Trading Room. Diese brauchen laufend Wetterprognosen, um die Kapazitäten im Energie- und Strommarkt richtig einzuschätzen. Und um im passenden Moment Strom- und Gaskapazitäten zu kaufen und die benötigten Mengen abzusichern.

Denken und Leben in Megawattstunden

«Wenn ich als Meteorologe dem Händler sage, dass es morgen Wind von 20 Metern pro Sekunde gibt, dann kann er noch wenig damit anfangen. Der Händler denkt und lebt in Euro pro Megawattstunde», sagt Bolliger. Der Spotmarkt für Strom ist in Paris, nicht auf der Wetterwarte.

Ganz ohne Celsius, Bar und Beaufort geht es auch nicht. Konjunkturdaten, Energienachfrage und die Geopolitik allein reichen für die Treasury eines Energieversorgers nicht aus. Auch wenn die Prognoseleistungen der Wetterfrösche begrenzt sind: Vorausschauende Wettervorhersagen bis in den Herbst und Winter sind laut Beerli «in Europa nicht belastbar und in der Welt der Meteorologie eher unseriös».

Das lässt sich wohl am besten mit Aktienanalysen vergleichen: Dabei weiss auch niemand, wo der Kurs in einem Jahr stehen wird. «Für zwei bis sechs Tage traue ich mir akkurate Wettervorhersagen zu», sagt Alpiq-Mann Bolliger, «alles, was darüber hinausgeht, versehe ich mit einem Fragezeichen.»

Prognosefokus: Sommer

Bei saisonalen Prognosen bis in den Sommer geht es eher um den roten Faden in der Wetterentwicklung, um Trends für die Händler. Darauf sind die Energieproduzenten angewiesen, die jetzt schon ahnen müssen, wie viel Strom sie im Sommer liefern und zu welchem Preis verkaufen wollen.

Dabei geht es um wertvolle Informationen, aus denen sich eine Reihe von Auswirkungen auf die Strom- und Energiemärkte ableiten lassen. Und die weit über Füllstände und Gasspeicher hinausgehen.

So können niedrige Flussstände nicht nur die Kernkraft, sondern auch die Schifffahrt behindern. Mehr als hundert Kohlekraftwerke in Deutschland benötigen grosse Schiffsladungen von Braun- und Steinkohle zur Energieerzeugung, die über den Rhein durch Basel transportiert werden.

Sahara-Stürme blockieren Sonnenkollektoren

Sahara-Stürme können Sand auf die Sonnenkollektoren legen, und anhaltende Bewölkung kann die Leistung stören. «Bewölkung ist besonders schwer vorherzusagen», sagt der Wetterprofi der Axpo.

Beim Gas spielt vor allem die Temperatur im Winter eine Rolle: Wird es kalt, wird mehr geheizt und mehr Gas benötigt. Und das nicht nur in der Schweiz, sondern in allen Regionen der Erde. Vor allem in Asien, wo die Nachfrage laut den Wetterpäpsten aus ökonomischen und meteorologischen Gründen ansteigen dürfte.

«Asien könnte Europa stärker um Flüssiggaslieferungen konkurrenzieren», sagt Beerli. Hier gilt es, die Trader gut zu beraten, damit diese die Nachfrage einschätzen und ihre Termingeschäfte bestmöglich abschliessen können.

Hurricanes gefährden Gasversorgung

Also selbst gut verschiffbares Flüssiggas ist kein Allheilmittel für Europas Energieproblem, russische Erdgasausfälle zu kompensieren. Es gibt noch mehr Risiken aus Wettersicht: Die Exportterminals für Flüssiggas in den USA gehören zu den weltgrössten und sind für Europa entscheidend. Diese Terminals liegen am Golf von Mexiko, zwischen Texas und Louisiana. Das ist eine Hurricane-intensive Region, und es kann zu Unterbrüchen und massiven Schäden kommen.

Es könnte in diesem Jahr also eng werden beim Heizen in den Haushalten und bei der Energieverfügbarkeit für Schweizer Unternehmen. Denn: «Folgt ein deutlich kälterer Winter als 2022/23, würde sich das direkt auf den Energieverbrauch auswirken», sagt Marianne Zünd vom Bundesamt für Energie (BFE).

Angespannte Versorgungslage

Zwar ist in der Schweiz laut BFE per Ende März 2023 die Versorgung für den Moment gesichert. Doch wie es sich aufs gesamte Jahr gesehen entwickeln wird, sei «höchst unsicher». Sowohl beim Strom als auch beim Gas sei die Versorgungslage nach wie vor «angespannt». Derzeit sind sämtliche Kernkraftwerke der Schweiz in Betrieb und laufen mit regulärer Leistung. Alle inländischen Pipeline-Kapazitäten sowie die Import- und Exportkapazitäten stehen uneingeschränkt zur Verfügung.

Wenn das Wetter mitspielt.