Nicht selten stehen in Kliniken und Spitälern Medizin und Management in einem Spannungsverhältnis, das auch schon als Danse macabre beschrieben wurde. Für das Verständnis der Spannungsfelder zwischen Medizin und Management spielt das Konzept der Expertenorganisation eine Schlüsselrolle. Expertenorganisationen wie Spitäler, Anwaltskanzleien, Orchester, Universitäten oder Redaktionen weisen eigene Gesetzmässigkeiten auf, die durch das grosse Gewicht der jeweiligen Profession zu erklären sind.

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Das Kerngeschäft wird in diesen Organisationen durch die Experten (Professionals) betrieben, die nach einer langen und intensiven Ausbildung und einer entsprechenden Sozialisation über hochspezialisierte Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen. Sie organisieren und kontrollieren ihre Arbeit in hoher Autonomie und gemäss den Regeln ihrer Profession selbst. Der Experte identifiziert sich stärker mit seiner Profession, der er angehört, und weniger mit der Institution oder Organisation, in der er arbeitet. Gemäss der Karrierelogik der Expertenorganisation bestehen die Aufstiegschancen vor allem in der Weiterentwicklung und Spezialisierung der Fachexpertise und kaum in der Entwicklung von Organisations- und Managementkompetenz.

Auf der professionellen Ebene werden Innovationen meist sehr schnell umgesetzt, während sich die Institution als Ganzes sehr träge verhält. Expertenorganisationen tun sich häufig auch schwer damit, eine Beurteilung der eigenen Arbeit aus der Aussen- und Laienperspektive zuzulassen, sondern betonen die professionelle Selbstkontrolle nach eigenen fachlichen Kriterien.

Management als Störfaktor

Expertenorganisationen weisen in der Regel klare und strenge Hierarchien auf, denen oft das Gewand der Kollegialität umgezogen wird. Die Experten konzentrieren sich auf ihre Facharbeit. Organisatorische Anforderungen, Forderungen nach Transparenz oder andere Einflussnahmen seitens des Managements der Gesamtorganisation werden im Selbstverständnis der Experten als lästig, nicht selten auch als Übergriff und Grenzüberschreitung empfunden.

Für Expertenorganisationen und Professional sind besondere Führungseigenschaften erforderlich, welche er unter dem Begriff «covert leadership» (verdeckte, zurückhaltende Leadership) zusammenfasst. Die Aufgaben von «covert leadership» umfassen:

- Koordination und Integration der verschiedenen Teilbereiche;

- Unterstützung der Professionals, Ermöglichen einer Autonomie mit Verantwortlichkeit (Accountability);

- Betreuung der Unternehmensgrenzen, d.h in erster Linie der Beziehungen zu den verschiedenen Anspruchsgruppen.

Das Management von Expertenorganisationen muss somit den Widerspruch zwischen dem Fachsystem der Profession und dem sozialen System der Organisation auflösen. Gleichzeitig muss es den Spagat stehen, einerseits die Professionalität und Leistungsbereitschaft der Experten zu entwickeln und ihnen eine möglichst weitgehende Autonomie zu belassen, andererseits sie im Interesse der übergeordneten Zielsetzungen der Organisation einzubinden.

Bildung von kleinen Einheiten

Eine Möglichkeit diese widersprüchlichen Anforderungen umzusetzen, besteht in der Aufgliederung der Gesamtunternehmung in kleinere, überschaubare Einheiten (Zentren, Geschäftsfelder). Diese divisionale Organisationsstruktur bedeutet eine Abkehr von der im Krankenhausbereich bisher weit verbreiteten funktionalen Gliederung in ärztlichen Bereich, Pflege und Verwaltung.

Diese Zentren werden eigenständig von Professionals mit Managementkompetenz geführt. Sie steuern die relevanten Wertschöpfungsprozesse selbst, können auf Entwicklungen im Markt und Umfeld schnell und flexibel reagieren und weisen eine hohe Kundenorientierung auf. Die Zentren besitzen dezentrale Entscheidungskompetenz und Ergebnisverantwortung. Insbesondere bei dynamischen Umwelt- und Konkurrenzbedingungen und unterschiedlichen Entwicklungsrichtungen, wie dies im Gesundheitswesen der Fall ist, bietet die divisionale Organisationsform viele Vorteile.

Viel Autonomie für Zentren

Die Komplexität wird nämlich dort schnell, effizient und effektiv verarbeitet, wo sie entsteht, nämlich auf Ebene der Zentren: Im Kontakt mit Patienten, Kostenträgern, Lieferanten oder mit der Konkurrenz. Gemäss Ashbys «Law of requisite variety» kann sich ein System nur dann erfolgreich behaupten und entwickeln, wenn es in der Lage ist, der Umweltkomplexität eine entsprechende Systemkomplexität entgegen zu stellen. Bei einer funktionalen Organisation erfolgt die Verarbeitung der Komplexität auf einer höheren Hierarchiestufe, eventuell sogar erst an der Unternehmensspitze, und damit verzögert, unflexibel und weit weg vom Kunden.

Die Zentren entwicklen sich nach dieser Vorstellung zu fokussierten, offenen Hochleistungsorganisationen, die in komplexe interne und externe Wertschöpfungsnetzwerke eingebunden sind. Die Geschäftsführung der Gesamtorganisation erfolgt analog einer Management-Holding, welche die Gesamtstrategie formuliert, ausgewählte Aufgaben selbst übernimmt (z.B. im Finanz- und Controllingbereich) und die einzelnen Zentren überwacht. Eine anspruchsvolle Aufgabe der Geschäftsführung besteht zudem darin, einerseits Heterogenität und «eigensinnige», selbstreferenzielle Entwicklungen bewusst zuzulassen und zu fördern und gleichzeitig eine Gesamtintegration zu erreichen.

Andreas Roos, Dr. med., MHA, CEO der Klinikgruppe Humaine Schweiz, Zihlschlacht.