Eigernordwand, 5.  November 2010, 11 Uhr, minus 10 Grad Celsius, Wind, 3970 Meter über Meer. 17 Bergsteiger formen in einer menschlichen Kette ein X – leuchtend orange gekleidet. Das X steht für die Top-Linie Eiger Extreme von Mammut. In der Outdoorindustrie zählt: aufzufallen und sich abzugrenzen um jeden Preis. Mammut lässt sich das Marketing ordentlich etwas kosten. Dem 1862 als Seilhersteller gegründeten Unternehmen ist es rund zehn Prozent (22 Millionen Franken) des Umsatzes wert, überdurchschnittlich viel. Columbia, einer der ganz Grossen der Branche, kommt für Kampagnen mit der Hälfte aus.

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Die Kleider sind für Profis gemacht, werden aber meist von Normalos getragen. Die Zeiten von Knickerbocker und roten Socken sind längst vorbei. Heute muss die Bekleidung für Aktivitäten draussen funktionell sein, wasserresistent und atmungsaktiv, wärmend und kühlend zugleich. Trotz hohen Preisen verkauft sie sich: 800 Franken kostet das Nordwand Jacket von Mammut. Das Geschäft läuft – noch. Mammut aus dem aargauischen Seon ist mit einem Marktanteil von mehr als 50 Prozent grösster Schweizer Player und setzte 2010 mehr als 220 Millionen Franken um – rund drei Prozent mehr als im Vorjahr. In den vergangenen 13 Jahren ist Mammut um den Faktor zehn gewachsen. 2010 verwässerte der Verkauf des Skiwachses Toko das Ergebnis, der starke Franken schlug durch. In Deutschland legte der zum Conzzeta-Konzern gehörende Outdoorpionier um 22 Prozent zu. Doch Mammut-Chef Rolf Schmid weiss: «Die Pionierphase ist vorbei, der Kampf um Marktanteile wird härter, viele Player werden ihre Eigenständigkeit verlieren.» Wer nicht den Sprung über die kritische Grösse von gut 50 Millionen Franken Umsatz schafft, kann kaum überleben.

Das grosse Fressen. Seit einigen Jahren findet in der Branche das grosse Fressen statt. Im Sommer schnappte sich der Leuchtstifthersteller Stabilo Boss die Rucksackmarke Ortovox und integrierte sie in seine Outdoorsparte Deuter. Der Schuhmacher Hanwag gehört der schwedischen Fenix, Lowa der italienischen Tecnica, der Schweizer Traditionsbrand Raichle ging vor Jahren in Mammut auf.

Mit der ganz grossen Kelle richtet das amerikanische Kleiderkonglomerat VF Corporation an. Dessen Outdoormarke The North Face, weltweite Nummer eins – 2000 für 25 Millionen Dollar gekauft, setzt die Marke heute mehr als eine Milliarde Dollar um –, gehört zum grössten Jeanskonzern (Lee, Wrangler) der Welt. Nun geht für 2,2 Milliarden Dollar auch die US-Marke Timberland an VF. Unter deren Konzerndach tummeln sich bereits die Outdoormarken Jansport, Eastpack, Reef und Vans. Global Player und branchenfremde Investoren mischen zunehmend mit. Etwa Blackstone: Den Finanzinvestor zieht es mit Jack Wolfskin in die Natur. Für 700 Millionen Euro sicherte er sich jüngst den deutschen Branchenkrösus.

Der Outdoormarkt ist längst ein Milliardengeschäft. Mehr als 50 Milliarden Franken werden jährlich umgesetzt, in Europa rund 11 Milliarden, in der Schweiz zwischen 400 und 500 Millionen (siehe Grafik auf Seite 46). Doch die Branche leidet am eigenen Erfolg: Outdoorbekleidung ist robust und langlebig. Wer eine Jacke kauft, kommt nicht so schnell in den Laden zurück, ergo bleibt der Umsatz aus. Die Industrie kämpft mit einem gesättigten Markt und verschärftem Verdrängungskampf. Umso wichtiger ist eine gut gefüllte Kasse für kreative Marketing-Events. Das drückt auf die Margen. Auf 5 bis 15 Prozent beziffert Schmid die Ebit-Margen in der Branche, rund 7 Prozent sind es beim Big Player Columbia.

Der Mammut-CEO setzt auf die veränderten Bedürfnisse der Konsumenten. «Die Zielgruppe ist heute eine andere als noch vor zehn Jahren.» Am Ursprung stand die Funktionalität für Wanderer und Bergsteiger, dann entdeckte die Branche die Frauen, heute zählt der Lifestyle-Faktor. Die Konsumenten sind jünger, kaufkräftiger, urbaner und tragen Outdoorkleidung weniger für Berggänge, sondern vielmehr im Alltag. Outdoorbekleidung quasi indoors, etwa über dem Businessanzug auf dem Weg ins Büro. Dass viele Träger die Sonderfunktionen der Outdoorkleider nicht brauchen, spielt keine Rolle. Das sei heute akzeptiert, sagt Schmid. «All die Geländewagen in der Stadt bekommen auch nie eine nicht asphaltierte Unterlage unter die Räder.» Und wer einen SUV in der Garage stehen hat, der kauft sich auch mal eine Outdoorjacke mehr. Schliesslich ist Violett im nächsten Jahr out und Orange in.

Weg von der Masse! Einigen Anbietern geht das zu weit. Ihr Credo: weg von der Masse, hin zur Individualität. Die Hardcore-Marke Arc’teryx definiert sich heute nicht mehr als Outdoormarke, sondern als Designunternehmen; die Textilien von Fjällräven, einer Tochter der schwedischen Fenix, hängen in Designerläden, und Salewa, seit September in der Schweiz von Sven Vock geführt, sieht sich mehr als «Bergsportspezialist mit Multibrandstrategie und nicht so sehr als Outdoorunternehmen». Philipp Schnell, CEO des Outdoorausrüsters Transa: «Die Hersteller werden sich noch mehr in Richtung Urban Outdoor entwickeln.» Wer sich nicht vom Rest abhebt, der geht unter. Wieso soll sich der Konsument für die Marke X entscheiden, wenn die Marke Y das Gleiche anbietet? Image ist alles, und «je mehr Kommunikationsbudget in diesen Bereich fliesst, umso begehrenswerter wird Attraktivität in den Bergen», sagt Reiner Gerstner, Group Brand & Marketing Director bei Salewa.

Markenstores. Exklusive Monobrand Stores sollen helfen. Am Weinmarkt, an bester Lage in der Luzerner Altstadt, steht einer von schweizweit fünf Mammut-Läden. Auf drei Stockwerken gibt es alles für Überlandabenteurer und Stadtindianer. Es sind Imageaushängeschilder, betrieben von Franchisenehmern. Im Ausland führt der Schweizer Branchenkrösus seine Shops selbst. Keine fünf Prozent steuerten sie zum Umsatz bei, sagt Schmid. Mehr wäre möglich. Führende Sportartikelhersteller erzielen laut Branchenkennern rund ein Fünftel ihres Umsatzes mit Retailing.

In Luzern ist die Angebotsdichte besonders gross. Keinen Steinwurf entfernt von Mammut wirbt Jack Wolfskin um Kunden, um die Ecke hat Sherpa einen Monobrand Store eröffnet, dazwischen liegen Manor und Ochsner Sport.

In der Branche wird die verschärfte Konkurrenz der Monobrand Stores mit Argwohn beobachtet. Bei einer Multichannel-Strategie besteht die Gefahr, sich selber zu kannibalisieren. Filialisten (Ochsner Sport, Transa, Manor, Bächli, Athleticum, SportXX), Einkaufsverbände (Intersport, Sport 2000) und Einzelhändler buhlen um die Kundschaft. Transa mischt gleich doppelt mit. Die Tochter Outdoor Trading führt als Franchise-nehmerin die Schweizer Jack-Wolfskin-Shops. Transa legt ein forsches Tempo vor: Nächstes Jahr öffnet an der Europa-allee in Zürich ein 3000 Quadratmeter grosser Shop, der grösste in der Schweiz.

Werden die Schalthebel auf internationaler Ebene betätigt, verschärft sich der Kampf im Markt. Blackstone macht es vor. Kaum hat das Unternehmen Jack Wolfskin unter seinen Fittichen, verschärft es die Gangart und nimmt die Wachstumsmärkte ins Visier. Bis 2015 sollen in China Jack-Wolfskin-Artikel in 600 Verkaufsstellen erhältlich sein. Das sind mehr als doppelt so viele wie heute. Mit dem neuen Besitzer haben die Deutschen einen finanziell potenten Investor, der die Expansion forciert.

Gleiches gilt für The North Face. Bis 2015 wollen die Amerikaner den Umsatz auf drei Milliarden Dollar verdoppeln und jedes Jahr 16 Prozent wachsen. Präsenz markieren auch die kleineren Player. Salewa pusht besonders in China, Korea und Japan. Preise seien weniger wichtig als in Europa und den USA, sagt Gerstner. «Wir erwarten ein überproportionales Wachstum.» Und auch in China gilt: Image ist alles. Salewa veranschaulichte die Bergsportstrategie im Reich der Mitte jüngst mit einer Klettershow.