Es herrschte eitel Freude an diesem schönen Herbsttag in Berlin. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und ihr deutscher Amtskollege Wolfgang Schäuble lächelten in die Kameras. Kein Wunder, war man aufgeräumter Stimmung: Mit der Unterzeichnung des Steuerabkommens schienen die über zwei Jahre dauernden Verhandlungen endlich besiegelt. In Zürich gaben Experten bereits Interviews über die Konsequenzen für die Branche, und Beraterkonzerne wie Ernst & Young boten Schulungsseminare für den Umgang mit dem komplexen Abkommen an.

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Die Vorfreude ist inzwischen verflogen. Die Tinte unter dem Vertrag war kaum trocken, da brachten sich schon die ersten Gegner in Position. Ein gewöhnliches Berliner Politspektakel, dachten viele zunächst. Doch nun ist klar: Der Steuerdeal kann scheitern. SPD und Grüne wollen das Steuerabkommen in der zweiten Kammer, dem Bundesrat, kippen. Denn in der Länderkammer hat die christlich-liberale Merkel-Regierung keine Mehrheit.

Als «Affront gegen ehrliche Steuerzahler» schmetterte SPD-Mann Norbert Walter-Borjans, Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, das Abkommen ab. Und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück rief dazu auf, «die Pferde zu satteln» für den Kavallerieritt gegen die Schweiz. Wieder einmal.

Bundesregierung in Bedrängnis. Die deutsche Opposition hat just diesen Deal als Schlüsselthema herausgepickt. Nach dem jüngsten Linksrutsch in einigen deutschen Bundesländern ist dies umso bedeutender, als der Vertrag ohne Zustimmung der Opposition reine Makulatur ist. 35 der 69 Stimmen in der Länderkammer sind nötig, damit das Abkommen ratifiziert wird. Sicher sind aber nur 25 Ja-Stimmen der christlich-liberal regierten Länder.

Nur schon wenn die Landesregierungen, in denen die CDU in einer Koalition mit der SPD mitregiert, sich nicht einigen, wird das Gesetz scheitern. Denn in solchen Fällen gilt nach einem Gentlemen’s Agreement, dass die Vertreter der Landesregierung im Bundesrat mit Enthaltung abstimmen – und die zählt wie ein Nein. Traditionell stimmt, anders als im eidgenössischen Ständerat, jedes Bundesland geschlossen ab (siehe Tabelle «Steuerdeal auf der Kippe» unter Download). Schäuble braucht dort die Mehrheit der Ja-Stimmen. Er kann daher das Ruder nur noch herumreissen, wenn er die strammen Neinsager zu überzeugen vermag. Mit dem vorliegenden Entwurf wird er das kaum noch erreichen. Er müsste mit der Schweiz nachverhandeln.

Jetzt grämt man sich auf Schweizer Seite, dass man die Opposition in den Verhandlungen vernachlässigt hat. Die Lobbyisten der Bankiervereinigung scheuten das offene Gespräch mit den potenziellen Neinsagern in Berlin. Patrick Odier, Präsident der Vereinigung, besuchte während der Verhandlungen zwar Vertreter der SPD und der Grünen sowie auch einzelne Vertreter der Länder in ihren Berliner Büros. Doch mit entscheidenden Wortführern wie Walter-Borjans wurde nicht gesprochen. Und auch die deutsche Bundesregierung behandelte die Verhandlungen als Geheimsache. Nicht einmal den Spitzen der Oppositionsparteien oder den führenden Finanzpolitikern im parlamentarischen Finanzausschuss wurden inhaltliche Einblicke gewährt. So braute sich der oppositionelle Unmut über Monate hinweg zusammen.

Allerdings war es für die Schweizer Seite auch schwierig, die tektonischen Veränderungen in der politischen Landschaft im Nachbarland vorauszusehen. So galten etwa die sechs Stimmen Baden-Württembergs, über 50 Jahre von der CDU beherrscht, bei Verhandlungsbeginn noch als sicher. Seit Mai ist dort eine rotgrüne Regierung mit einem SPD-Finanzminister am Ruder.

Und ausgerechnet während dieser Debatte zeigen die Amerikaner auf, wie man auch mit der Schweiz umgehen könnte: nicht freundlich wie Schäuble, sondern hart und kompromisslos. Sollten die Amerikaner mehr herausschlagen, dürften sich die Deutschen gelackmeiert vorkommen. In Berlin fordern denn auch einige Oppositionspolitiker, den amerikanischen Weg zu gehen.

Für die Schweizer Banken steht damit die Zukunftsstrategie auf der Kippe. Der Deal in Berlin sollte das Schlüsselabkommen für die «Finanzplatzstrategie 2015» bilden, die im Frühling 2010 verabschiedet wurde. Er habe Pilotfunktion, so Widmer-Schlumpf. Der Plan war einfach: Sollte sich mit den wichtigsten europäischen Ländern eine Einigung in einem Abkommen erzielen lassen, wäre die EU mit ihrer Forderung nach dem automatischen Informationsaustausch ausgehebelt. «Es war immer unsere Idee, mit Deutschland einen Markstein zu setzen», so Claude-Alain Margelisch, Geschäftsführer der Bankiervereinigung. Ist dieser Sockel zementiert, könnten Länder wie Italien oder Frankreich mit ähnlichen Abkommen folgen. «Der Vertrag mit Deutschland dient dabei als Basismodell», so Margelisch.

Dominoeffekt. Kippt nun aber Deutschland, so kippt das ganze Konzept: «Würde das Steuerabkommen auf politischer Bühne versenkt, hätte das möglicherweise einen Dominoeffekt auf die Verhandlungen mit den USA und der EU zur Folge», sagt Peter Briner, Schaffhauser FDP–Ständerat und Mitglied der Aussenpolitischen Kommission. Die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, Christa Markwalder (FDP/BE), setzt auf die konstruktiven Kräfte in der Politik und hofft. Doch was, wenn sich die Hoffnung zerschlagen sollte? «Einen Plan B haben wir nicht», räumt Markwalder ein.

Nun ist erst einmal Abwarten angesagt. Verhandlungsführer Michael Ambühl, Chef des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen (SIF), hält sich zurück. «Wir sind stumme Beobachter», sagt SIF-Sprecher Roland Meier. Die Ratifizierung sei eine innerdeutsche Angelegenheit, und es liege an Schäuble, in Deutschland zu überzeugen. Departementschefin Widmer–Schlumpf verteidigte den Entwurf wenigstens in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»: «Deutschland erhält auf relativ einfache Weise das ihm zustehende Steuersubstrat.» Hinter den Kulissen will man neue Überzeugungsversuche wagen. Die Bankiervereinigung plant im Oktober ein Treffen in Berlin mit Vertretern von SPD und hohen Fraktionsmitgliedern der Grünen. Die Banken halten sich indes bewusst zurück. Es wäre «kontraproduktiv», wenn ein Schweizer Bankchef persönlich bei der Opposition weibeln würde, heisst es unisono bei allen angefragten Instituten.

Man überlässt den Ball Schäuble. Was das an Schwierigkeiten mit sich bringen könnte, zeigt der Schlagabtausch in der Aufklärungsstunde im Deutschen Bundestag vom 29. September. Schäuble bat die Oppositionellen um eine «unvoreingenommene Prüfung» seines Entwurfs, das Abkommen sei die «einzig denkbare Regelung». Dann liess er die Attacken der Oppositionspolitiker auf sich niederprasseln und an sich abperlen. Die übliche deutsche Parlamentsshow eben.

Als Starredner der SPD trat Norbert Walter-Borjans aus Nordrhein-Westfalen auf, eigentlich kein Mann des grossen Krawalls. Sein Bundesland ist heillos verschuldet, nicht zuletzt durch das Missmanagement seiner Vorgänger, darunter Peer Steinbrück, bei der mangelhaften Aufsicht über die Landesbank WestLB. Schnelles Geld aus der Schweiz könnte er gebrauchen. Aber dafür müssten hohe moralische und ideologische Hürden genommen werden, es geht schliesslich um das Urthema der Sozialdemokraten: Gerechtigkeit. Sie können nicht einfach ihre Stimme dafür geben, dass sich die Millionäre in der Anonymität freikaufen. Walter-Borjans stört sich besonders daran, dass nun die Hinterzieher von Erbschaftssteuern billig wegkommen, indem sie nur noch die Zinserträge versteuern müssen.

«Die Kontrolle von morgen obliegt künftig den Mittätern von gestern», so Walter-Borjans. «Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht.» Er meint die Schweizer Banken, die «Helfershelfer». Er ist darum bemüht, Schweizer Bürger und Politiker zu schonen. «Aber mein Vertrauen in die Schweizer Banken, auch in die Schweizer Bankenaufsicht ist begrenzt», sagte er, trocken, nüchtern, ohne Aggression.

Liebäugeln mit Tricks. Walter-Borjans hat unter den deutschen Finanzministern derzeit den tiefsten Einblick in die Schwarzgeld-Dossiers. Die meisten Steuerstrafverfahren wurden in seinem Bundesland abgewickelt: Alleine nach den CD-ROM-Enthüllungen kam es zu 6000 Selbstanzeigen reuiger Steuersünder. Und er weiss, welche Daten-CD im Angebot sind und was sie abwerfen könnten. Für sein Land ist die Kalkulation noch offen, was mehr bringt – Erträge aus Selbstanzeigen und CD-Ermittlungen oder Zuflüsse aus dem geplanten Abkommen.

Dass er während der gesamten Verhandlung nicht konsultiert wurde, ärgert ihn. «Es war ein grosser Fehler, dieses Abkommen an den Oppositionsparteien vorbeizuverhandeln», sagt auch der Grüne Gerhard Schick. Erst am Tag der symbolischen Unterzeichnung durften sie den Text lesen. Die Koordinierungsgruppe der SPD-Landesfinanzminister hat sich in ihrer Position festgelegt: auf ein Nein. Wolfgang Schäuble hat die Sache politisch vermasselt. Nun regiert die Hilflosigkeit. Laut Medienberichten wälzt man in Koalitionskreisen gar Pläne, den Deal mit einem juristischen Trick an der Länderkammer vorbeizumanövrieren, mit einem passenden Rechtsgutachten zur Frage der Zustimmungspflicht nämlich. Laut SIF-Sprecher Meier war dies in den Verhandlungen nie ein Thema, und Politbeobachter halten es für unrealistisch. Zu viel Gewicht hat das Thema, als dass Tricks von Erfolg gekrönt sein könnten.

Am 1. November könnte das Geschäft im Bundestag behandelt werden, frühestens im Dezember in der Länderkammer. Schäuble wird die Zeit möglicherweise für ein paar Verständigungsdeals nutzen: etwas mehr Vorauszahlung der Banken, ein höherer Steuersatz, strengere Kontrolle. Am Paradeplatz herrscht Skepsis. So schätzt der Chef einer grossen Privatbank die Erfolgschancen auf «bestenfalls 50 zu 50» ein.

Einige Banken haben eigene Lösungswege gefunden. So kauften sich Julius Bär und Credit Suisse mit Ablasszahlungen von 50 beziehungsweise 150 Millionen Euro von Strafverfahren in Deutschland frei.

Die Grossbanken, aber auch Privatbanken wie beispielsweise Clariden Leu wollen deutschen Kunden nur noch Produkte anbieten, die deren Steuervorschriften entsprechen. Diese Taktik könnte auf andere europäische Länder ausgedehnt werden. Doch eine spezifische Produktlinie für jedes Land ist teurer als ein System mit Pauschalabgeltungen. Scheitert das Konzept der Abgeltungssteuer in Deutschland, so ist nicht nur das Bankgeheimnis bedroht. Die Banken würden auch hohe Mehrkosten haben – und die ohnehin gedrückten Margen weiter sinken.

Erik Nolmans
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