Noch vor drei Jahren war die Strombranche deutlich günstiger bewertet als der Gesamtmarkt», stellt Sven Bucher, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB) fest. Diese Zeiten sind vorbei. Der Grund: Viele Marktteilnehmer hatten damals Angst vor der anstehenden Liberalisierung. Die Entwicklung der Strompreise zeigt aber, dass die Auswirkungen bisher nicht so dramatisch sind wie befürchtet. Deshalb sind auch die Aktien nicht mehr so günstig bewertet wie auch schon. So schätzen die Analysten von Lombard Odier Darier Hentsch das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) der BKW für 2005 auf 19,7. Damit ist die Aktie so teuer wie noch nie seitdem Börsengang vor zwei Jahren. Auch das KGV von Atel beträgt geschätzte 18 und ist damit durchschnittlich bewertet. Zum Vergleich: Die europäische Elektrizitätsbranche weist ein KGV von 18,8 aus.

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Stromaktien schlagen SPI

Auch wenn die Liberalisierung über das Elektrizitätsmarktgesetz abgelehnt wurde: Es bewegt sich einiges im Schweizer Strommarkt, das auch die Geschäfte der Stromunternehmen beeinflusst. Das Stromversorgungsgesetz für die geordnete Liberalisierung des Marktes wird in der Herbstsession beraten. Und: Die Branche wartet gespannt auf den Entscheid der UBS, an wen die Grossbank ihr Mehrheitspaket an Motor Columbus (MC) verkaufen wird. Dann könnte sich das Kräfteverhältnis im Markt verschieben: Zur Axpo als starke Stromgruppe im Osten der Schweiz könnte sich eine Westgruppe um Atel und die Lausanner EOS bilden. Die BKW würde in diesem Fall im Sandwich zwischen Ost und West stehen.

Wie auch immer die Zukunft der BKW aussieht, die Resultate nach Halbzeit überzeugen: Obwohl die Preise um 6,1% gesunken sind, konnte das Unternehmen den Umsatz um 5,8% auf 952,3 Mio Fr. steigern. Der Gewinn stieg um 18,4% auf 143,6 Mio Fr. Kein Wunder zeigt auch der Kurs der Aktie nach oben: Seit Anfang Jahr hat er um rund 25% zugelegt. Auch die Aktien der anderen kotierten Schweizer Stromer schlagen den Gesamtmarkt: Atel stieg seit Anfang 2005 um 27%, Rätia Energie und CKW sogar um über 35%. Der SPI hat im gleichen Zeitraum um 21% zugelegt.

Nur die Stromhändlerin und Axpo-Tochter EGL fällt ab: Der Kurs des Titels ist seit März auf Talfahrt und hat bisher 16% verloren. Der Fall EGL zeigt: Das lukrative Geschäft im Strommarkt Italien kann auch seine Tücken haben. Die veränderte Tarifordnung beim Stromtransit nach Italien liess die Margen schrumpfen und hat die EGL-Rechnung im 1. Halbjahr per Ende März massiv belastet. Die zweitgrösste Schweizer Stromhändlerin musste einen halbierten Halbjahresgewinn ausweisen, bei stagnierendem Stromabsatz. Bis heute hat der Aktienkurs die Kehrtwende nicht geschafft.

«Übernahmespekulationen»

Für Stromunternehmen, die auf dem hochpreisigen italienischen Markt mitmischen wollen, ist es deshalb wichtig, mit eigener Produktion vor Ort zu sein. Das haben die Schweizer Stromer erkannt:Atel, EGL, BKW und Rätia Energie sind alle an verschiedenen Projekten beteiligt. Obwohl auch die Atel in Italien stark ist, hat sie im 1. Halbjahr besser gewirtschaftet als Konkurrentin EGL: Die Oltener vermeldeten 12% mehr Umsatz und 23% mehr Gewinn. Auch der Kurs verlief bisher erfreulicher. Allerdings dürfte dieser auch von Spekulationskäufen rund um den Verkauf des UBS-Mehrheitspakets von Motor Columbus getrieben sein. Denn: Als Ende Juli die mögliche Schweizer Lösung der UBS bekannt wurde, sackte der Atel-Kurs umgehend um fast über 11% auf 1782 Fr. ab. Auch die ZKB schreibt in ihrem Marktbericht zum 1. Halbjahr 2005: «Die Aktie wird derzeit stärker von den Übernahmespekulationen als durch reine Fundamentaldaten getrieben.» Heute bewegt sich der Atel-Kurs wieder bei 2200 Fr.

Im Schatten der grossen Stromer im Westen entwickelt sich die Bündner Rätia Energie. Die Aktie hebt seit Anfang Jahr ab. Das Ergebnis zum 1. Halbjahr hat dann den Höhenflug mit Zahlen untermauert: Das Bündner Energieunternehmen hat den Gewinn um 65% auf 48 Mio Fr. gesteigert. Und auch die Aussichten dürfen die Aktionäre zuversichtlich stimmen, denn: Rätia erwartet ein «sehr gutes Ergebnis», das noch besser werden soll als im Vorjahr.

Viele Unsicherheiten

Die Zukunft der Stromer sieht auf den ersten Blick rosig aus: Die Nachfrage nach Strom wird weiter steigen, darin sind sich die Prognostiker einig. Allerdings steht die Branche auch vor einigen Herausforderungen, die sie meistern müssen, wenn sie in gleichem Tempo weiterwachsen wollen: So steht die Lösung, wie die drohende Versorgungslücke gestopft werden kann, noch in den Sternen.

Und sobald in einem Markt die Politik mitredet, vergeht viel Zeit, bis Entscheide gefällt werden können. Zudem müssen die Stromunternehmen sicherstellen, dass ihre Netze auch in Zukunft fähig sind, die grossen Strommengen zu leiten. Schliesslich hat der Ausfall des Kernkraftwerks Leibstadt gezeigt, dass die Stromunternehmen leicht verletzt werden können. So bekamen Atel, EGL und die BKW den Ausfall zu spüren.

BKW (In Mio Fr.)

200320042005E2006E

Umsatz2944287229803060

Betriebsgewinn (Ebit)286283300307

Umsatzrendite (in % des Ebit)9.79.810.110.0

Reingewinn253252254258

Gewinn pro Aktie (in Fr.)4.834.924.975.05

KGV20191919

Dividende-Rendite (in %)1.61.92.32.6

E = geschätzt; KGV = Kurs-Gewinn-Verhältnis

Quelle: Bank Vontobel



Tipp

Die Schweizer Stromaktien bewegen sich seit Jahren aufwärts. Heute sind sie fair bewertet, weitere Kursgewinne müssen durch Wachstum begründet sein. Die Aussichten sind gut, die Nachfrage nach Strom steigt weiter. Indes ist unklar, woher der zusätzliche Strom kommen soll. Wie labil die Kurse auf politische Veränderung reagieren, zeigt der Absturz des EGL-Titels. Für langfristig denkende Anleger sind die Aktien immer noch ein «Kauf». (gwe)