Neun Uhr dreissig: Der zum Plenum umfunktionierte Saal im Hotel Kapplerhof in Ebnat- Kappel im Toggenburg hat etwas von einer Kirche und passt auf den ersten Blick nicht so recht zur Affiche der nächsten 30 Stunden. Angesagt ist die Battle of the Brains zwischen je zwei Teams der renommiertesten Schweizer Wirtschaftsfakultäten von ETH Zürich und der Universität St. Gallen, besser bekannt als HSG. Lanciert und organisiert wird das Duell der Talente vom Schweizer Büro der internationalen Strategieberatung Monitor Group (siehe «Der Veranstalter»). Monitor pflegt ihr Image und präsentiert sich als attraktiver Arbeitgeber für potenzielle Jungberater unter den 20 ausgewählten Hirnkämpfern. Gut 50 hatten sich schriftlich mit allem Drum und Dran beworben.

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10:15 Der zu bearbeitende Fall wird vorgestellt. Es geht um ein reales Schweizer Beispiel vom letzten Sommer, aufbereitet von der Harvard Business School und ergänzt durch Monitor: Die SIG Holding in Neuhausen, Herstellerin von Verpackungsmaschinen, sucht für ihren neu formierten Geschäftsbereich Beverages nach einer Servicestrategie. Denn Ersatzteile, Modernisierung installierter Maschinen und Service bringen vergleichsweise viel bessere Erträge als der Verkauf neuer Anlagen. Die Teams bekommen die Aufgabe, SIG Beverages auszuleuchten, die geplante Servicestrategie zu beurteilen und konkrete Vorschläge zu präsentieren. Und das alles bis zum Vormittag des folgenden Tages.

10:45 Die Brain-Fighters – alle Unterlagen wie Geschäftsberichte und Finanzreport sowie eine Analystenstudie der Bank Pictet sind in Englisch abgefasst – verteilen sich auf ihre Gruppenräume. Die Coaches mahnen zur Zeitplanung: «Das Ziel ist, nicht die ganze Nacht zu arbeiten.» Das sechsköpfige ETH-Team 2 ist knapp vor dem Mittagessen so weit, intern die Aufgaben zu verteilen. Albrecht Haake, ein Maschinenbauingenieur, nimmt sanft die Zügel in die Hand: «Wenn alle alles machen, verzetteln wir uns.» Rasch einigt man sich, wer welche Fakten suchen soll. Sie haben die Botschaft ihres Coaches im Ohr: «Fokussiert euch auf konkrete Vorschläge, und hinterfragt sie.» Es ist nicht erlaubt, via Telefon oder Internet die SIG-Gegenwart abzurufen.

13:15 Die Botschaft vom professionellen Umgang ist beim HSG-Team 1 nicht angekommen. Es kriselt intern in der Multikulti-Truppe aus fünf Nationen. Die beiden Männer – zwei Alpha-Typen – und die drei Frauen konnten sich bisher weder auf einen Zeitplan noch aufs Vorgehen einigen. Sie fallen sich gegenseitig ins Wort und kritzeln parallel Flipcharts mit divergierenden Weisheiten voll. Das Hauptproblem ist der Mitstreiter mit dem grössten Potenzial. Zielsicher hat er Schwachstellen von SIG Beverages erkannt: Weniger als die Hälfte der SIG-Maschinen würden auch von SIG gewartet, die Reaktionszeit bei Kundenpannen sei um Wochen zu lang, es fehlten Daten zum Zustand der installierten Anlagen. Fix hat er dazu konkrete Zahlen parat. Doch er überfährt sein Team gnadenlos.

Die Wettkampf-Aufgabe
Servicestrategie


Die SIG Holding in Neuhausen, Herstellerin von Verpackungsmaschinen, suchte 2003 für ihren neu formierten Geschäftsbereich Beverages nach einer Servicestrategie. Denn Ersatzteile, Modernisierung installierter Maschinen und Service bringen vergleichsweise viel bessere Erträge als der Verkauf neuer Anlagen. Die Teams von ETH und HSG fassten die Aufgabe – ohne den realen Fall zu kennen –, die SIG Beverages auszuleuchten, die Servicestrategie zu beurteilen und konkrete Vorschläge zu präsentieren.

16:15 «Wo ist Fleisch am Knochen?», fragt man sich bei ETH 1. Die Chancen im Servicegeschäft wollen sie in Franken und Prozentzahlen aufbereiten. Möglichst vor Mitternacht, um beim Beauty-Contest vor den Juroren «nicht wie tote Hunde auszusehen». Hahnenkämpfe gibt es hier nicht, die fünf Ingenieure mit Fachrichtung Betriebswissenschaft haben sich als Team zum Uni-Duell angemeldet. Sie extrapolieren das Wachstum im Bereich Getränkemaschinen bis ins Jahr 2005, loten den Gesamtmarkt aus, vergleichen die bisherige Marktpenetration und kommen zum Schluss: 50 Prozent plus sind ein ehrgeiziges Ziel, aber möglich.

17:40 Die Wände im Gruppenraum Selun sind verklebt mit Flipchart-Blättern, auf den Tischen türmt sich Papier. Die vier Frauen von HSG 2 legen sich voll ins Zeug. Das eingespielte Quartett hat sich mit femininem Anspruch angemeldet. «Wir brauchen für diesen Wettbewerb keine Männer», sagt Rositsa Shivacheva. Die Bulgarin strahlt Selbstsicherheit aus. Anders als ihre Mitbewerber entscheidet sich die Gruppe für wenig Zahlen und viel Marketing. HSG 2 wird der Jury ihre «Vision SIG Beverages 2005» samt einem Baukastensystem in Sachen Service vorstellen. Dazu teilen sie die Kunden je nach Grösse in drei Gruppen ein, denen sie vom Fullservice bis zum – teureren – Rosinenpicken verschiedene Pakete anbieten. Die Hoffnungsmärkte China und Indien wollen sie mit Joint Ventures beackern.

19:15 Zwei Kleinbusse bringen Wettkämpfer und Betreuer nach Wildhaus. Dann geht es per Gondel hoch zum Fondue im Berggasthof mit atemberaubendem Blick auf das Alpstein-Massiv im Mondlicht. Ortswechsel, Weisswein und Kirsch sind die richtige Mischung, um sich für gut zwei Stunden von den Serviceproblemen des Automatenbauers im nun weit entfernten Neuhausen zu lösen.

Der Veranstalter
Erfolg trotz Flaute


Vor 20 Jahren von den beiden Harvard-Professoren Michael Porter und Mark Fuller gegründet, beschäftigt die Monitor Group mittlerweile in 29 Offices weltweit über 1000 Mitarbeitende. Vom Zürcher Büro aus arbeiten ein knappes Dutzend Consultants mit Schwerpunkt Strategieberatung. Offensichtlich mit Erfolg: Im Gegensatz zur darbenden Consulting-Branche hat Monitor Schweiz in den letzten Jahren zugelegt – im Jahr 2003 gar zweistellig. Infos unter www.monitor.com (Tel. 01 389 71 11).

23:00 Zurück am Wettkampfort. Nachschub an Cola, Früchten und Riegeln wird angeliefert. Die Coaches wollen bis Mitternacht präsent sein, bleiben dann aber doch meist länger. Nur der Berater der Frauengruppe kann sich früher verabschieden. Rasch haben sich die vier abgesprochen, wer was präsentiert. Sie verabreden sich zum Probelauf um halb acht und haben noch die Musse für einen kurzen Schlummertrunk an der Hotelbar.

Zur gleichen Zeit fühlt sich ETH 2 «auf dünnem Eis». Man habe wenige gesicherte Fakten, um schon Lösungen anzubieten. Als Königsidee wollen sie neben Fullservice-Verträgen auch Anlagenleasing pushen. Sie tun sich jedoch schwer damit, die Penalty-Zahlungen zu kalkulieren, die bei einem Ausfall der Automaten fällig werden. Auch wegen persönlicher Materialermüdung. Gegen ein Uhr wird die Feinabstimmung bis zum Frühstück vertagt.

1:10 Bei HSG 1 ist das allgemeine Unbehagen zwar thematisiert, doch die Stimmung bleibt angespannt. Zwei Frauen aus der Gruppe tun demonstrativ nichts. Immerhin sind nun sechs Serviceinitiativen konkretisiert und das finanzielle Potenzial in Millionenbeträgen aufgelistet. Gegen halb drei brechen sie ab. An der Bar nimmt dann ein Coach den allzu dominierenden Gruppenmitstreiter ins Gebet.

7:00 Frisch gestylt üben die Präsentatoren ihren Auftritt. Die ersten nippen bereits an Cola-Flaschen. Drei Teams haben sich für eine Doppel-Conférence entschlossen, nur die vier Frauen von HSG 2 werden gemeinsam auftreten.

Die Jury
Erfahrene Runde


Sie spielten die Rolle des Verwaltungsrates: Juhani Anttila (CEO Ascom Holding, Bern), Roman Boutellier (CEO SIG Group, Neuhausen), Carsten B. Henkel (Managing Director Monitor Group, Zürich), Georges Kern (CEO IWC, Schaffhausen), Marc Kowalsky (Redaktor BILANZ, Zürich), Werner Kummer (CEO Forbo International, Eglisau), Hans Lerch (CEO Kuoni Holding, Zürich), Medard Meier (ehemaliger Chefredaktor BILANZ), Ronald Schlegel (CEO Axima, Zürich), Philipp Weckherlin (CEO Competitive Edge Investment Group, Küsnacht), Andreas Wetter (CEO Orange Communication, Lausanne).

9:00 Mittlerweile ist die hochkarätig besetzte Jury im Plenum versammelt, die Beurteilungsblätter vor sich. Zu bewerten sind Inhalt und Präsentation nach total neun Kriterien. Carsten Henkel, Leiter des Schweizer Büros der Monitor Group, erklärt die Agenda und ruft dann zur jeweils zwanzigminütigen Präsentation. Berücksichtigt man die Rahmenbedingungen, beeindrucken die Zahlenreihen, Schaubilder und Servicevorschläge, die da an die Wand gebeamt werden. Zumindest auf den ersten Blick.

Jedes Team setzt die Schwerpunkte anders: Das Spektrum reicht vom Ausbau des profitträchtigen Ersatzteilgeschäfts über das Anheuern von mehr Servicepersonal, die Konzentration auf Schlüsselkunden, die Wartung auch von fremden Maschinen, eine Helpline für schnelle Reparaturen bis zur bereits erwähnten «Vision SIG Beverages 2005». Am besten verkauft sich HSG 2.

Die Jury, die in die Rolle des SIG-Verwaltungsrats zu schlüpfen hat, kratzt an allen Fassaden. Die erfahrene Runde stellt die richtigen Fragen: Wann greifen die vorgeschlagenen Massnahmen? Was kostet das alles? Sind die Kunden überhaupt zufrieden mit den gelieferten Maschinen? Warum soll ein Kunde ein teures Service-Abo lösen? Weshalb schlagen Sie keine Akquisitionen vor? Kennen Sie überhaupt unsere Konkurrenten? Die Antworten befriedigen nur teilweise. Sobald nachgefasst wird, geraten die Jung-Consultants ins Schleudern.

12:00 Roman Boutellier, CEO der SIG-Gruppe, lüftet den Schleier und erzählt, was im Servicebereich seit letztem Sommer tatsächlich geschah. Er beschönigt nichts. So ist etwa die Ersatzteilbewirtschaftung Zeit raubende Detektivarbeit. Weil für Hunderttausende Einzelteile Angaben fehlen, müssen die defekten Anlageteile vor Ort fotografiert werden. Ein Dutzend Leute sind nur damit beschäftigt, anhand der Digitalbilder das richtige Ersatzstück zu finden. Da drei Teilbereiche tief in den roten Zahlen stecken, ist das Gesamtergebnis um 70 Prozent eingebrochen. Noch bestehen kulturelle Unterschiede zwischen helvetischer Genauigkeit und südländischem Schlendrian. Nur für eine Hand voll Kunden wurden bisher Fullservice-Verträge abgeschlossen. Ernüchterung bei den Battle-Teilnehmern. Sie sehen ihre Vorschläge von den Realitäten zerzaust.

12:30 Die Jury tagt und tafelt im Wintergarten. Die Stimmung ist aufgeräumt. Dann ruft Carsten Henkel die Bewertungen ab. Vier Preise sind zu vergeben: für das beste Teamwork, die kreativste Lösung, die beste Präsentation und den Gesamtsieger. Einig sind sich alle darüber, dass die Frauengruppe am besten präsentiert hat. Wegen inhaltlicher Mängel («Die wenigen Zahlen wurden nicht schlüssig belegt») reicht es zum Preis für den besten Auftritt, aber nicht zum Gesamtsieg. Den heimst das Team ETH 2 ein, das vor allem mit seiner Leasingidee und klarer Fokussierung punktet. ETH 1 beeindruckt als stärkstes Team. Und für HSG 1 gibt es den Preis für die kreativste Lösung.

13:30 Bei der Preisverleihung dürfen sich die Duellanten vorab im Lob von Monitor-Chef Henkel und weiteren Jurymitgliedern baden. Das Niveau sei beachtlich gewesen, der Einsatz enorm. Auf dem Netzwerk, das hier geknüpft wurde, lasse sich aufbauen. Einige der Studenten erhalten von den CEOs aus der Jury Visitenkarten zugesteckt. Da alle gewonnen haben, sind auch alle zufrieden. Am meisten natürlich ETH 2, wo sich die Mitstreiter um den Hals fallen. «Die Erfahrungen der letzten beiden Tage möchte ich nicht missen», meint Albrecht Haake. Er will promovieren und dann in die Strategieberatung einsteigen.