Nach dem Corona-Stillstand waren Ende Juni immerhin wieder rund 15 Prozent der Swiss-Flotte in der Luft, das Rettungspaket des Bundes war ausgehandelt, das Grounding der Airline vorerst abgewendet. Just in dieser Zeit versandte der Berufsverband der Piloten (Aeropers) zusammen mit der Swiss eine interne Mail an seine Mitglieder. Sie enthielt eine brisante Information: Teilzeit arbeitende Piloten können ihr Pensum auf 100 Prozent erhöhen.

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Dabei ist absehbar, dass die wenigsten Piloten in den nächsten Monaten ihr übliches Pensum an Flügen absolvieren können. Die Airline hatte im März für die gesamte Belegschaft Kurzarbeit angemeldet und diese bis Ende Februar 2021 verlängert. Bis im Herbst will sie wieder wenigstens 40 Prozent der geplanten Flüge durchführen. Einige Piloten erhalten bis auf weiteres nur gerade so viele Starts und Landungen pro Monat, wie sie brauchen, damit sie ihre Lizenz behalten dürfen.

Bisher «weniger als ein Prozent»

Wie viele der rund 450 Teilzeit arbeitenden Piloten dem Hinweis von Aeropers bereits gefolgt sind und ihr Pensum auf 100 Prozent erhöht haben, ist unklar. Bislang seien es «weniger als ein Prozent des Cockpitpersonals» gewesen, schreibt die Swiss auf Anfrage. Insidern zufolge sollen jedoch Dutzende zugegriffen haben. Die Swiss hat keine Wahl und muss ihren Piloten noch bis Ende Jahr erlauben, die Pensen zu erhöhen.

Sie ist vertraglich dazu verpflichtet, unabhängig von der Situation des Unternehmens. Der Grund ist eine unscheinbare Klausel im Gesamtarbeitsvertrag der Piloten, die nach dem Swissair-Grounding von 2001 ausgehandelt, aber bisher nie angewendet wurde.

Der Originaltext liegt dem Beobachter vor: «Ändern sich die Anstellungsbedingungen substanziell, besteht die Möglichkeit, aus dem Teilzeitvertrag auszutreten oder das Arbeitspensum zu erhöhen.» Die verordnete Kurzarbeit ist gemäss Swiss und Aeropers eine «substanzielle» Änderung, die Klausel deshalb anwendbar.

Mächtiger Pilotenverband

Ausgehandelt wurde sie damals vom mächtigen Pilotenverband Aeropers, «um die Auswirkungen einer erneuten Krise zu mildern», wie Geschäftsführer Henning Hoffmann vermutet. Genau wisse er es aber nicht, er sei erst seit 2008 bei Aeropers.

Sein Verband könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn Piloten jetzt ihre Pensen aufstocken. Das sei ihr gutes Recht. «Zusammen mit der Swiss versuchten wir den Piloten aber zu erklären, dass eine Aufstockung des Pensums natürlich nicht im Gesamtinteresse der Firma ist», sagt Hoffmann. Eine Aufstockung sei in gewissen Fällen nachvollziehbar. Am Ende müsse jeder für sich entscheiden.

Besonders irritierend: Die Vertragsklausel gilt nur für Piloten. Geringverdienende wie Flight-Attendants oder das Bodenpersonal gehen leer aus und können ihre Pensen nicht aufstocken. Hoffmann sagt dazu: «Jeder Berufsverband verhandelt seinen eigenen GAV. Damit ist auch jeder für das Ergebnis verantwortlich.»

Bei der Swiss werde Solidarität hochgehalten, Krisen stehe man gemeinsam durch, wiederholt Swiss-Chef Thomas Klühr bei jeder Gelegenheit. Die Sonderbehandlung der Piloten sei nicht unsolidarisch, sagt Aeropers-Geschäftsführer Hoffmann. Man müsse die Thematik in einem grösseren Zusammenhang sehen. «Wir erhalten im zweiten Halbjahr 2020 bis zu 40 Prozent weniger Lohn als letztes Jahr. Das ist eine ganze Menge.»

Gerade noch begehrt, jetzt überflüssig: In der Corona-Krise braucht niemand mehr neue Piloten

Zudem müsse man bedenken: «Die Piloten verdienen zwar mehr als andere Berufsgruppen bei der Swiss, verzichten dementsprechend aber auch auf mehr.» Hoffmann denkt, dass darum niemand an der Solidarität der Piloten zweifle.

Swiss muss selbst zahlen

Die Rechnung für die Pensenerhöhung bezahlen muss nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch die Swiss selbst. Bis zu einer Obergrenze von 12'350 Franken pro Monat wird ein Lohnausfall über die Kurzarbeitsentschädigung des Bundes gedeckt, den Rest muss die Airline übernehmen.

In seiner ersten Stellungnahme verneint Aeropers-Geschäftsführer Hoffmann, dass eine Pensenerhöhung auch die Kasse der Swiss belasten könnte. Erst auf Nachfrage räumt er diesen Umstand ein. Wenn nun also ein dienstälterer Langstreckenpilot mit einem Monatslohn von 15'000 Franken sein Pensum erhöht, belastet das vor allem die Swiss. Sie wird dafür wohl den vom Bund verbürgten Milliardenkredit benötigen.

Dieser Artikel erschien zuerst beim «Beobachter» unter dem Titel «Swiss-Piloten stocken Pensen auf».

Und von den gut 1400 Swiss-Piloten sind es tatsächlich vor allem langjährige und dementsprechend gut bezahlte Piloten, die Teilzeit arbeiten. Auf der obersten Hierarchiestufe, bei den Kapitänen, arbeitet rund die Hälfte in Teilzeit, bei den Co-Piloten sind es gerade einmal 15 Prozent.

Die Swiss bestätigt: «Bei einem Einkommen über der Bemessungsgrenze des Bundes für Kurzarbeit liegt die finanzielle Konsequenz bei der Swiss. Es sind häufiger dienstältere Piloten und Pilotinnen, die Teilzeitverträge ausüben». Weiter schreibt sie: «Wir können bestätigen, dass der im Jahr 2018 mit dem Sozialpartner Aeropers ausgehandelte Gesamtarbeitsvertrag die besagte Klausel enthält. Es gilt, diesen Vertrag und somit auch diese Klausel einzuhalten.»

«Arbeitsplatzgarantie nicht enthalten»

Die Rettung der Swiss steht kurz bevor. Noch diese Woche will die Airline den vom Bund verbürgten Milliardenkredit unterzeichnen. Für die rund 9500 Swiss-Angestellten wird damit die Zeit der Unsicherheit aber nicht beendet sein. «Eine Arbeitsplatzgarantie ist im Vertragswerk mit dem Bund nicht enthalten», schreibt die Eidgenössische Finanzverwaltung auf Anfrage.

Piloten dürften allerdings ruhig schlafen können. Dank dem von Aeropers ausgehandelten Gesamtarbeitsvertrag geniessen sie ab dem zweiten Dienstjahr einen absoluten Kündigungsschutz.

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