Die Zahlen sind eindrücklich: Jährlich muss die Suva rund 500 000 Meldungen von verunfallten Menschen bearbeiten. Den ganzen Prozess zur Schadensabwicklung hat der grösste Unfallversicherer der Schweiz vor über zwei Jahren stark digitalisiert. Das Projekt nennt sich smartCare.
Trotz Digitalisierung: Bei der Suva ist Unfall nicht einfach gleich Unfall. «Hinter jedem Fall steckt ein individuelles Schicksal», sagt Suva-Geschäftsleitungsmitglied Daniel Roscher. Er ist für den Bereich Schadenmanagement und Rehabilitation verantwortlich. Heute würden etwa die Hälfte der Fälle – also rund 250 000 – automatisch bearbeitet. «Bei diesen einfachen Fällen erkennt die Maschine den Unfall nach einem fest vorgegebenen Regelwerk und wickelt ihn bis hin zur Auszahlung der Taggelder selbstständig ab.» Der Vorteil: «Wir erzielen dadurch einen Effizienzgewinn, den wir für die gezielte Beratung und Betreuung einsetzen können.» Was konkrete Auswirkungen hat: «Wir haben mehr Zeit für die Verunfallten selbst.»
Der Mensch komme dann zum Zug, wenn die Maschine die Limiten, die ihr gesetzt wurden, erreicht hat oder wenn ein Betreuungsbedarf wie beispielsweise bei einer Wiedereingliederung vorliegt. «Dann übernehmen unsere Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter den Fall und lösen die Probleme. Hier steuert dann auch nicht mehr die Maschine den Fall, sondern unsere Expertinnen und Experten», sagt Roscher. «Komplexe Fälle bearbeiten wir individuell.» Das System selbst fälle zudem nur positive, aber nie negative Entscheide. «Diese Kompetenz hat bei uns ausschliesslich der Mensch.»
Daniel Roscher
Daniel Roscher (61) ist Mitglied der Geschäftsleitung der Suva. Er leitet das Departement Schadenmanagement und Rehabilitation. Zudem ist er für die Militärversicherung und für die beiden Suva Rehabilitationskliniken in Bellikon (AG) und Sion (VS) verantwortlich. Er hat Betriebsökonomie studiert und an der Universität Zürich das Executive-MBA absolviert.
Roscher ist überzeugt, dass smartCare die Qualität der Entscheide gesteigert hat. Früher seien diese beispielsweise abhängig vom Ausbildungsgrad oder sogar von der Tagesform eines Sachbearbeiters gewesen. «Durch den hohen Automatisierungsgrad erreichen wir einen hohen und einheitlichen Standard – die Maschine entscheidet alleine aufgrund des Regelwerks», sagt er.
Ausserdem sorge smartCare dafür, dass die maschinelle Unterstützung spezifische Konstellationen zuverlässig erkenne und einen Prozess auslöse. Beispielsweise bei der Anmeldung eines Falls bei der Invalidenversicherung IV. «Zuvor hat sich der Sachbearbeiter dazu möglicherweise eine Notiz in der Agenda gemacht, um die Anmeldung zu prüfen, heute stellt das die Maschine fest, da die exakten Kriterien dafür im Regelwerk hinterlegt sind.»
Die Prozesse sind dank smartCare auch beschleunigt worden. So werden die Taggelder heute schneller ausbezahlt. «Bei einem komplett automatisierten Schadenfall beträgt die durchschnittliche Dauer von der Fallanlage bis zur ersten Taggeldzahlung 34,5 Tage. Vor der Umstellung nahmen die gleichen Arbeitsschritte 42,7 Tage in Anspruch.» Zudem würden die Taggelder nun wöchentlich ausbezahlt und nicht mehr nur einmal im Monat. «Unter spezifischen Bedingungen ist es sogar möglich, dass der Kunde die Taggeldzahlung selber auslösen kann.»
Die Suva hat bei der Betreuung von grossen Kunden Tandem-Besuche eingeführt. Vor Ort gehen heute zwei Suva-Fachleute: ein Kundenbetreuer und ein Schadenspezialist. Denn bei solchen Gesprächen würden immer verschiedenste Fragen auftauchen, sagt Roscher. Zu den Prämien, zur Prävention, zur Abwicklung von Fällen, zur Betreuung von Verunfallten, zur Zusammenführung von Prozessen, zu den Zuständigkeiten im Unternehmen und vielen mehr.
Die Suva in Zahlen
Rund 494 000 Unfälle und Berufskrankheiten haben die versicherten Betriebe der Suva im vergangenen Jahr gemeldet – nur unwesentlich mehr als im Vorjahr. Die Berufsunfälle und Berufskrankheiten stiegen auf rund 186 000 Fälle, die Freizeitunfälle auf rund 292 000 Fälle an. Somit ereigneten sich 61 Prozent aller gemeldeten Fälle in der Freizeit. Die Suva versichert als selbstständiges Unternehmen des öffentlichen Rechts rund 135 000 Unternehmen mit über 2,2 Millionen Berufstätigen gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten.
Für Roscher ist der Transformationsprozess ein Erfolg. «Bei den Kundenbefragungen habe ich erwartet, dass die Zufriedenheit zu Beginn sinkt. Doch der Rückgang ist nicht eingetreten», sagt er. Lag die Kundenzufriedenheit zuvor bei 82 von 100 Punkten, ist sie auf Ende 2023 um 1 Punkt auf 83 angestiegen. Befragt wurden dabei versicherte Unternehmen, aber auch verunfallte Personen selbst.
Abgeschlossen ist das Projekt smartCare noch nicht, sagt Roscher. Die Suva strebt an, dass die betriebseigenen Computersysteme mit den HR-Systemen der Kunden in Kommunikation treten können. Dazu hat die Suva einen Standard zusammen mit Swissdec entwickelt. Die Ausbreitung braucht Zeit, aber Roscher ist zuversichtlich, dass dies in Zukunft vermehrt so abgewickelt wird.