Wenn Heinz-Herbert Dustmann durch seine Fabrik in Vreden unweit der niederländischen Grenze führt, ist ihm bei jedem Schritt der Stolz anzumerken. Für einen Mittelständler ist das nicht ungewöhnlich. Doch Dustmann ist noch ein wenig stolzer als andere. Er weist Besucher auf Fugen hin, die kaum als solche zu erkennen sind, so passgenau sind sie verarbeitet. Er bittet sie eindringlich, über Tischplattenoberflächen zu streichen, um ihre Werthaltigkeit zu fühlen, Schubladen herauszuziehen, um über deren Leichtgängigkeit zu staunen.

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Dula steht für Dustmann-Ladenbau. Und Dula baut die Möbel für das wertvollste Unternehmen der Welt: Apple. Was dem 63-jährigen Firmenchef bislang vertraglich verwehrt blieb, sprudelt nun aus ihm förmlich heraus. Zum ersten Mal darf Dustmann offen über seinen grössten Kunden sprechen. «Für uns ist das ein grosser Vertrauensbeweis«, sagt Dustmann. Er wird das an diesem Tag noch viele Male sagen.

Niemand soll wissen, mit wem Apple redet

Apple ist nicht nur seiner Grösse wegen ein besonderer Kunde. Wohl kein anderes Unternehmen ist so sehr von Kontrolle besessen wie der amerikanische iPhone-Hersteller. Wer mit Apple verhandelt, muss erst einmal eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Niemand soll wissen, mit wem Apple redet. Entscheidet sich Apple für eine Zusammenarbeit, ist das Schweigegelübde dauerhaft. Es sei denn, der US-Konzern macht eine Ausnahme. Nachdem Apple-Chef Tim Cook in diesem Jahr bereits den schwäbischen Spezialglashersteller Seele besuchte, darf nun auch Dustmann sein Geheimnis lüften.

Dula hat die Möbel für einige der bekanntesten Apple-Stores gebaut, darunter den Londoner Flaggschiff-Laden in der Regent Street, die Vorzeige-Geschäfte am Berliner Kurfürstendamm und am Louvre in Paris. Egal, wo auf der Welt sich Menschen über eine Apple Watch beugen – sie stehen an einem Tisch, der bei Dula entstanden ist.

Denn Apples Elektronik-Gadgets liegen nirgendwo einfach so im Regal. Jedes Gerät bekommt eigens dafür entworfene und gebaute Möbel, auf denen es präsentiert wird. Das gilt für die Apple-Stores genauso wie für die Verkaufsflächen in den Elektronikmärkten von Media Markt und Saturn oder für die Geschäfte von Telekom und Vodafone. Apple baut nicht nur die Geräte, der Konzern schafft auch die Atmosphäre, in der die iPhones, iPads, Apple Watches und Macs verkauft werden.

Steve Jobs liess alle Teile demontieren

Was es bedeutet, Apple als Kunden zu haben, lernte Dustmann schon vor gut neun Jahren, als er die ersten Präsentationsmöbel für Apples Musikspieler iPod baute. Zeitgleich hatte Apple einen japanischen Konkurrenten mit dem gleichen Design beauftragt, denn Apple verlässt sich nie nur auf einen Zulieferer. Nachdem Apple-Mitgründer Steve Jobs die ersten Möbel in Japan begutachtet hatte, liess er alle Teile wieder demontieren, das galt auch für Dula. «Apple hat aber anstandslos bezahlt«, sagt Dustmann.

Seitdem ist der US-Konzern stetig gewachsen – und Dula mit ihm. Die Fabrik in Vreden, im westlichen Münsterland, produziert fast ausschliesslich für Apple. Dula hat drei Produktionsbetriebe in Deutschland, vier in Spanien und einen in Russland. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen mehr als 1000 Mitarbeiter, darunter Tischler, Elektriker, Ingenieure, Architekten, Lichtplaner und Designer.

Möbel für BMW, Zara und Tom Tailor

Auch wenn Apple der wichtigste Kunde ist, so ist er nicht der einzige. Dula baut unter anderen für BMW, Leica, Zara, Tom Tailor und sogar die deutsche Bundesagentur für Arbeit. Auch Schiffe rüstet Dula mit aus, darunter die «MS Deutschland«, die vielen aus der Fernsehserie «Traumschiff« bekannt ist, aber auch die «MS Europa« und die «MS Queen Elizabeth II«. In Dortmund, wo die Firmenzentrale ist, unterhält Dula ein Restaurant und ein komplettes Warenhaus als lebendigen Showroom. «Wir wollen damit zeigen, was alles möglich ist«, sagt Dustmann.

Und so experimentiert auch Dustmann mit allerlei Technik herum. In einem Ausstellungsraum zeigt ein grosses Display über einem Regalbrett einen Stimmungsfilm an, der sich ändert, sobald ein anderes Kleidungsstück auf das Regal gelegt wird. Der Trick: Ein kleiner Drahtlos-Chip im Kleidungsetikett signalisiert, ob es sich um Winter- oder Sommermode handelt.

Büro per iPhone gesteuert

In seinem Büro öffnet Dustmann die Fenster am liebsten mit einem Fingerwisch auf seinem iPhone. Der gelernte Tischler hat das Unternehmen von seinem Vater Heinrich übernommen, dem er zu dessen Erstaunen diese Absicht schon im Alter von zwölf Jahren mitteilte. In die Finanzbuchhaltung griff der Sohn schon vor seinem zweiten Lebensjahr ein: Er zerriss die erste Kundenrechnung des Unternehmens, die unvorsichtigerweise in seiner Nähe abgelegt worden war.

Das Unternehmen, das 1953 gegründet wurde, hatte bereits 1960 fünf Fabriken. Als Apple über ein britisches Architekturbüro auf Dula stiess, hatte sich Dustmann schon international einen Namen gemacht, unter anderem mit Puma und Marks & Spencer. Heute liefert Dula in 60 Länder weltweit und übernimmt nicht nur den Bau, sondern auch den Entwurf, die Logistik, die Montage und die Wartung.

«Sie schauen sich unsere Möbel mit der Lupe an»

Und doch dürfte Apple der anspruchsvollste Kunde sein. «Sie schauen sich unsere Möbel mit der Lupe an«, sagt Dula-Projektmanager Helmut Hollekamp. Inzwischen könne Dula sogar Einfluss auf das Design ausüben, sagt er.
Letztlich aber wird jedes neue Möbelstück von Apples Design-Chef Jonathan Ive abgenickt. Als er den Präsentationstisch für die Apple Watch aus Deutschland zu Gesicht bekam, soll er «Amazing« gesagt haben, sagt Hollekamp. Für Dula ist das ein Ritterschlag. Schon macht sich der Ladenbauer Hoffnung auf ein ganz anderes Projekt: Bis Ende kommenden Jahres soll der neue Apple Campus in Cupertino fertig sein. 12.000 Mitarbeiter finden dann Platz in einer Konzernzentrale, die grösser ist als das Pentagon. Noch ist offenbar nicht entschieden, wer die Möbel dafür liefert. «Wir stehen dafür bereit«, sagt Dula-Chef Dustmann.

Die Tische, die bei Dula in Vreden entstehen, sind keine gewöhnlichen Möbel. Für den Betrachter unsichtbar, versteckt sich viel Hightech darin. Schubladenschlösser, die kontaktlos mit Chipkarten geöffnet werden, Ladeelektronik für jedes einzelne Apple-Gerät und Drahtlos-Router für den Internetzugang, Klappen, die mit kleinen Motoren hoch- und runterfahren.

Ein Tisch kostet so viel wie ein Kleinwagen

Alles geschützt mit Spezialglas, das sich Dula vom Panzerglashersteller Isoclima aus Italien liefern lässt. Ein solcher Tisch wiegt eine viertel Tonne und kostet so viel wie ein Kleinwagen. Apple gibt jedes Detail vor, Toleranzen werden kaum geduldet. So muss die Furniermaserung genauso den Vorgaben aus den USA entsprechen wie der Glanzgrad von Metallplatten, auf denen in Spezialöfen Nanolacke eingebrannt werden.

Auch Dula überlässt nichts dem Zufall. So werden die Tische im Werk komplett zusammengebaut. «Dann gibt es in den Stores später keine Überraschungen«, sagt Hollekamp. Ausserdem sei die Elektronik zum Teil so komplex, dass bei einem Fehler gleich ganze Platten ausgetauscht werden müssten.

Möbel beim Transport klimatisiert

Je nach Dringlichkeit und Destination verschickt Dula die Möbel per Lastwagen, Schiffscontainer oder Luftfracht. In Vreden verraten die Etiketten auf den Kisten und Kartons die Ziele der Apple-Tische: Brasilien, Israel, China, Tunesien, Japan. Mehr als 7000 dieser Tische hat Dula bereits gebaut und verschickt. Da sich Schiffscontainer in der Sonne auf bis zu 100 Grad aufheizen können, werden die Möbel während des Transports sogar klimatisiert. Kleine Schockdetektoren an den Kartonagen zeigen mit Verfärbungen an, ob die Ware auch pfleglich behandelt wurde.

Die neue Offenheit bei Dula endet jedoch, sobald die grosse Lagerhalle in Vreden durchquert ist. An der Längsseite befindet sich eine mit einem Chipkartenleser gesicherte Tür. «Hier ist Schluss«, sagt Hollekamp. Gäste dürfen nicht weiter. Nach Vorgabe von Apple hat Dula drei fensterlose Räume bauen müssen, in denen die Prototypen neuer Möbel begutachtet werden, wenn Apple-Manager aus den USA anreisen.

Apple hat Zugriff auf Videoüberwachung

Nur zehn Dula-Mitarbeiter haben hier Zutritt. Sobald die Tür geöffnet wird, nimmt eine Kamera auf, wer hineingeht. Die Videobänder, auf die Apple Zugriff hat, werden ein Jahr lang aufbewahrt. Möbel dürfen nur in Einzelteilen hineingetragen und erst im Sicherheitsbereich zusammengebaut werden. «Wir haben schon mehr als ein Jahr vor der Veröffentlichung der Apple Watch mit dem Präsentationstisch begonnen« sagt Hollekamp.

Die Frage, was derzeit in den Räumen zusammengeschraubt wird, beantworten Helmut Hollekamp und Heinz-Herbert Dustmann mit einem stummen Lächeln.

Dieser Artikel erschien zunächst in der «Welt» unter dem Titel «Das ist Apples geheime Tischlerei im Münsterland».