Das Schweizer Luxus-Gesundheitswesen schlägt mit jährlich 45 Mrd Fr. zu Buche. Trotz diesem stattlichen Betrag wird den Leistungsbezügern nicht immer das Neueste vom Neuen geboten: So steckt namentlich die Telemedizin (siehe Fachwort), in den USA seit längerem genutzt, noch immer in den Kinderschuhen.

Dies obwohl die Industrie den Nutzen der Telemedizin in den höchsten Tönen lobt: Sie erleichtere das Leben Chronischkranker ungemein: Arzt- und Krankenhausbesuche würden auf ein Minimum reduziert. Dennoch lebten die Patienten sicherer, weil rund um die Uhr betreut. Mit der neuen Technologie könnten die Kosten massiv gesenkt werden, während die Qualität der Behandlung gleichzeitig steige. Die Ärzte schliesslich hätten die Möglichkeit, Routinearbeiten auszulagern, ihre Patienten aber dennoch stärker an sich zu binden. Nicht zuletzt rette die neue Technologie Leben, weil weniger Zeit verstreiche, bis lebensrettende Massnahmen ergriffen würden.

Martin D. Denz ist als Gründungsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für TeleMedizin (SGTM) sicherlich alles andere als ein Gegner der Telemedizin-Industrie. Dennoch sagt er: «Wir können noch nicht belegen, dass Telemedizin einen kostensenkenden Effekt hat. Ihre Einführung könnte geradeso gut zu einer Verteuerung des Gesundheitswesens führen.» Denz betont, dass es sich dabei um Opportunitätskosten handelt, welche einem Gewinn an medizinischer Versorgungsqualität gegenübergestellt werden müssen. Deshalb sollten telemedizinische Dienstleistungen in ein Gesamtbetreuungskonzept eingebettet werden.

Dass die Telemedizin in Europa und der Schweiz Einzug halten wird, ist absehbar: In den USA sind entsprechende Dienstleistungen längst Alltag und werden von Kassen wie der Medicare vergütet. In Israel nehmen nach Angaben von SHL Telemedizine über 60 000 Personen den Telemedizin-Service der Firma in Anspruch und bezahlen diesen bereitwillig aus der eigenen Tasche. Es gibt also einen funktionierenden Markt sowohl für kassenpflichtige Telemedizin-Dienstleistungen wie auch für solche, die sich direkt an die «Konsumenten» wenden.

*Bisher kaum bekannt*

In der Schweiz wissen ausserhalb der Fachkreise primär die Investoren um die Existenz von Telemedizin; weil sich das genannte israelische Unternehmen im November 2000 an der Schweizer Börse SWX kotieren liess. Nur Wochen zuvor hatte sich bereits die ebenfalls israelisch-stämmige Card Guard dem Publikum geöffnet. Nur, die Unternehmung ist heute schwer angeschlagen und hat unlängst bekannt gegeben, dass sie sich auf den US-Markt zurückziehen will.

SHL Telemedicine ist hingegen nicht nur in der Schweiz kotiert, sondern auch hier tätig: Zusammen mit dem Elektronikkonzern Philips will SHL Kontinentaleuropa erschliessen. Vor einem Jahr hat das Joint Venture Philips HeartCare Telemedicine Services ein Servicecenter in Zürich eröffnet. Das Angebot richtet sich bisher an Personen mit erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Derzeit kursiert jedoch das Gerücht, das Callcenter sei faktisch geschlossen worden und die bestehenden Patienten würden nach Deutschland geroutet. Auch UBS Warburg, als Emissionsbank von SHL gewöhnlich gut informiert, hat vor kurzem das Kursziel der Aktie gesenkt, mit dem Verweis auf die eher harzige Expansion in Europa.

Urs Schneider, Chief Medical Officer von Philips HeartCare Switzerland, bestätigt, dass der deutsche Sprachraum vom Callcenter in Düsseldorf abgedeckt werde, um die Fixkosten kleinzuhalten. «Wir gewinnen in der Schweiz aber laufend neue Kunden und wichtiger noch: Wir verlieren keine», sagt Schneider. Inzwischen hat sich aber noch ein weiterer Anbieter auf dem Schweizer Markt positioniert: Die deutsche Vitaphone. Der Schweizer Ableger nahm seine Tätigkeit im März auf. Ab Februar will Vitaphone Schweiz ihre Dienstleistung anbieten: Ein Herz-Handy, das EKG-Daten aufzeichnet. Damit wird sie eine direkte Konkurrentin von Philips HeartCare. Und auch Vitaphone muss anfangs wohl hohe Akquisitionskosten in Kauf nehmen, um Kunden zu gewinnen.

Aber auch die medizinischen Beratungszentren Medgate und Medi-24 möchten den Telemedizin-Zug nicht verpassen. Gegenüber Philips HeartCare und Vitaphone haben sie einen wesentlichen Vorteil: Sie besitzen bereits eine Kundenbasis. Medi-24 bietet den Versicherten von Helsana und Progrès, Kolping, Krankenkasse Steffisburg, der Wincare und der Kranken- und Unfallversicherung für Private der Winterthur eine Gratis-Beratung an. Christian Simonin, Geschäftsführer von Medi-24, sieht in Telemedizin-Dienstleistungen eine logische Ergänzung der bisherigen Beratung. «Wir sammeln erste Erfahrungen. Seit einem halben Jahr läuft ein kleines Pilotprojekt im Diabetes-Bereich, das hauptsächlich von der Helsana finanziert wird.» Es sei zudem ein Projekt im Bereich Herzinsuffizienz geplant, das im ersten Semester 2003 starten soll.

Das unabhängige Beratungszentrum Medgate arbeitet auf Vertragsbasis mit den Krankenversicherern Sanitas, Intras, Innova, KPT und HMO-Gesundheitsplan und gewinnt die Patienten eines ersten Behandlungsprogramms für chronisch Lungenkranke primär bei den Vertragspartnern.

*BSV liefert im Januar*

Das Beratungscenter sammelte erste Telemedizin-Erfahrungen im Rahmen des EU-Projektes Moebius. Für das geplante Betreuungsprogramm wird Medgate ein Messgerät für Lungenwerte einsetzen, wie Serge Reichlin, Verantwortlicher für Telemedizin, erläutert. Im Jahr 2003 soll ein weiteres Programm folgen, das gegenwärtig evaluiert werde.

Natürlich kommt der Telemedizinzug erst richtig in Fahrt, wenn vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ein klares Signal kommt, dass solche Leistungen in die Grundversicherung aufgenommen werden. Das BSV arbeitet gegenwärtig noch an den Grundlagen, will diese aber bereits im Januar veröffentlichen.

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